Prozess Wiesdorferin schildert Vergewaltigung – Angeklagter will von nichts wissen Von Hartmut Zitzen 10.03.17, 16:49 Uhr
Leverkusen - Es gibt wohl kaum eine Aufgabe, um die Richter weniger zu beneiden sind als die Wahrheitsfindung in einem Vergewaltigungsprozess. Außer den unmittelbar Beteiligten gibt es meist keine Zeugen, und wenn Aussage gegen Aussage steht, folgt daraus zwar keineswegs zwangsläufig ein Freispruch für den Angeklagten, wohl aber die schwierige Entscheidung, wem geglaubt werden darf.
Weiter auseinander als in dem Verfahren wegen sexueller Nötigung am Freitag im Amtsgericht könnten die Schilderungen des 24-jährigen Informatikstudenten Mati A. (Name geändert) aus Düsseldorf und einer 20 Jahre alten Wiesdorferin nicht liegen.
Während der Angeklagte das Geschehen als völlig einvernehmlich und gewaltlos schildert, will die junge Frau keinen Zweifel daran gelassen haben, dass sie nichts von ihm gewollt habe. Mati A. schilderte dem Schöffengericht in seiner Aussage zunächst seinen Werdegang, der ihn von seiner estnischen Heimat 2012 nach Leverkusen geführt hatte.
Freunde gefunden
Zuvor hatte er schon als Stabhochspringer an der U-20-Europameisterschaft teilgenommen und dann die Möglichkeit wahrgenommen, sich der Leichtathletik-Abteilung von Bayer 04 anzuschließen. Statt in Tallinn studierte er fortan in Düsseldorf und trainierte mehrmals pro Woche auf der Fritz-Jacobi-Sportanlage.
Dabei freundete er sich mit einem jungen Athleten aus Wiesdorf an, bei dem er nach gemeinsamen Feiern auch des öfteren übernachten konnte, um nicht zu später Stunde den Heimweg nach Düsseldorf antreten zu müssen. In der Nacht zum 31. Oktober 2015 beschlossen die beiden Stabhochspringer, zur Kölner Klapsmühle zu fahren und die Schwester des Leverkuseners mitzunehmen.
In der Diskothek habe er mit der jungen Frau getanzt und Zärtlichkeiten ausgetauscht, behauptet der Angeklagte. Dabei habe man verabredet, dass er nach der Rückkehr, sobald der Bruder eingeschlafen sei, in ihr Schlafzimmer kommen werde. Gesagt getan, wobei die damals 19-Jährige zunächst nicht ohne Kondom und etwas später dann gar nicht mehr mit ihm schlafen wollte. Daraufhin sei er zurück in sein Gästezimmer gegangen.
Von der angeblichen Vergewaltigung habe er erst Wochen erfahren, nachdem Anzeige gegen ihn erstattet worden war. Die Zeugin, die bei einem katholischen Verein für Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin macht, schilderte den Verlauf des Abends indes völlig konträr. Schon in der Klapsmühle sei Mati A. trotz ihrer Proteste zudringlich geworden, berichtete sie dem Schöffengericht.
Ihrem Bruder habe sie aus Angst vor einer Schlägerei nichts davon gesagt. Zuhause habe sie sich sofort ins Bett gelegt und sei eingeschlafen. Irgendwann habe er dann nackt vor ihr gestanden und versucht, sie zu vergewaltigen. Bei einer ärztlichen Untersuchung am nächsten Tag wurde denn auch eine blutende Unterleibsverletzung festgestellt.
Freispruch im Prozess um mutmaßliche Vergewaltigung Leverkusen Im Prozess um eine vermeintliche versuchte Vergewaltigung ist nach rund eineinhalb Jahren ein Urteil gefällt worden.
Das Amtsgericht in Opladen sprach den Angeklagten aufgrund von Zweifeln gestern frei.
Der 26-Jährige soll in der Nacht auf den 31. August versucht haben, eine 19-Jährige mit leichter mentaler Behinderung in ihrem Elternhaus zu vergewaltigen. Er bestritt den Vorwurf, sprach davon, dass die Initiative von ihr ausgegangen sei. Sie habe ihn zunächst in der Disco geküsst und ihn zum späteren Sex in ihr Zimmer eingeladen. Die junge Frau wiederum hatte ausgesagt, sie habe mehrfach ihr Desinteresse zum Ausdruck gebracht - zunächst in der Disco, dann in der Bahn und schließlich im Elternhaus.
Gestern konnte ein psychologisches Gutachten vorgelegt werden. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Glaubwürdigkeit des Opfers, das aufgrund der Behinderung kognitiv stark eingeschränkt ist. Die Psychologin habe dafür mit der Frau gesprochen. Zur Hilfe kamen zudem Einschätzungen des Arbeitgebers und der LVR-Klinik Langenfeld.
Fast eine Stunde dauerte ihr Vortrag. Zusammengefasst bliebe die Aussage der 19-Jährigen zwar eingeschränkt wertbar, sie besitze dennoch eine "hohe Qualität". Dass sie die Aussage - aus welchen Beweggründen auch immer - nur konstruiert habe, sei sehr unwahrscheinlich. Schließlich sei sie aufgrund der Behinderung nicht in der Lage, sich eine Geschichte in ihren Einzelheiten auszudenken. Dass sie sich überhaupt an den Vorfall erinnere, spreche dafür, dass sie ihn so erlebt habe.
Doch sowohl bei Staatsanwaltschaft als auch bei der Verteidigung blieben Zweifel. Schließlich bliebe die Frage, warum sich die 19-Jährige keine Hilfe suchte. Mehrfach habe ihr Bruder in der Disco nach ihr gesehen - auch auf dem Heimweg sei er immer dabei gewesen. Zwar gebe es keine opfertypischen Handlungen, doch dass sich die junge Frau bei Gelegenheit nicht aus dem Zimmer flüchtete, sondern ihren Pyjama erneut anzog und sich zurück ins Bett legte, stieß auf Unverständnis. Auch das Opfer selbst habe an einem Verhandlungstag erklärt, käme es zu keiner Verurteilung, sei das nicht schlimm.
Das Gericht sah die Zweifel ebenso - ob der fehlenden Klarheit merklich bedrückt.