Während er durch Zürich fuhr, wurde Manfred R. (†34) vor 20 Jahren erschossen. Von wem und warum? Darüber rätselt ein zuständiger Polizist noch heute.
«Es ist ein Tod, der völlig unerklärlich ist und sinnlos erscheint.» Heinz Mora (62) schüttelt den Kopf und zeigt auf die Stelle, wo Manfred R.* (†34) starb. Der Informatiker wurde vor 20 Jahren am Bucheggplatz in Zürich erschossen, in seinem eigenen Auto. Von wem und warum, weiss keiner. Polizist Mora war damals als Sachbearbeiter für den Fall zuständig. Er steht bis heute vor einem Rätsel.
Es ist Freitag, der 15. November 1996. Um 21.10 Uhr fährt Manfred R. mit seinem blauen Chrysler von der Tièchestrasse über den Bucheggplatz. Der Zürcher ist auf dem Weg in die Stadt, dort wartet seine Freundin. Die beiden wollen gemeinsam zu Abend essen. Doch R. kommt nie im Restaurant an. Als er stadteinwärts in die Hofwiesenstrasse abbiegen will, passiert es: Sein Auto kommt von der Spur ab, prallt in einen Kandelaber. Manfred R. sitzt im Auto, bewusstlos und schwer verletzt. Zunächst sieht alles wie ein Unfall aus.
Doch dann stellen die Retter fest: Ein Schuss hat den Mann getroffen. Die Kugel durchschlug die Heckscheibe des Wagens, dann die Nackenstütze. Sie traf Manfred R. im Hinterkopf. Sofort bringt die Ambulanz R. ins Spital, noch lebt er. Doch am nächsten Tag erliegt er seinen schweren Hirnverletzungen.
Keine Hinweise trotz Rekord-Belohnung
Die Verdächtigen
Die Ermittler überprüften Dutzende Personen. Auch eine Rekord-Belohnung für Hinweise brachte nichts.
Der Mord am Bucheggplatz ist einer der mysteriösesten Fälle der jüngeren Schweizer Kriminalgeschichte. Bis heute gibt es nicht die geringsten Hinweise auf ein Motiv. Hatte es der Täter auf R. abgesehen? War es die Amoktat eines Verrückten, der wahllos auf ein vorbeifahrendes Auto zielte? Oder wollte der Täter gar nicht töten und probierte nur eine neue Waffe aus?
«Bei fast allen Verbrechen, die ich in meiner 37-jährigen Berufslaufbahn als Polizist untersucht habe, haben die Ermittlungen neue Erkenntnisse gebracht», sagt Heinz Mora. Doch beim Mord am Bucheggplatz muss er passen: «Ich weiss praktisch noch genauso wenig wie vor 20 Jahren.»
Die Ermittler überprüften Dutzende Personen aus dem Umfeld des Toten, aber auch solche, die sich zum Tatzeitpunkt am Bucheggplatz aufgehalten haben. Unzählige Varianten spielten sie durch, wie es zum Mord kommen konnte. Doch keine brachte sie weiter, auch nicht die Belohnung von 40’000 Franken, die Kanton, Arbeitgeber und Angehörige von R. aussetzten – für damalige Verhältnisse eine Rekordsumme.
Wo stand der Mörder
Der Tatort
Ballistiker konnten ermitteln, woher der Schuss kam. Und, dass er aus einer Faustfeuerwaffe kam.
Bekannt sind heute über den Mord am Bucheggplatz nur wenige Fakten: Erstens ist gesichert, dass es sich bei der Tatwaffe um eine Faustfeuerwaffe handelt. Und zweitens, dass R. auf der linken Spur des Kreisels war, als er tödlich getroffen wurde. Zusammen mit Ballistikern fanden die Ermittler heraus, von wo ungefähr der Schuss abgefeuert wurde: bei der Einfahrt von der Tièchestrasse auf den Bucheggplatz – und zwar etwa auf Achselhöhe einer stehenden Person.
Somit ist ausgeschlossen, dass der Täter aus einem der angrenzenden Häuser geschossen hat. Auch kam die Kugel nicht aus dem Gebiet Chäferwald oberhalb des Bucheggplatzes, wo im Sommer Waffennarren ihr Unwesen trieben und ihre neuen Pistolen ausprobierten. Ausgeschlossen ist zudem, dass der Schuss aus einem fahrenden Auto abgefeuert wurde. Wo also stand der Mörder?
Das ist das Seltsamste an diesem Fall: Niemand sah den Täter, niemand nahm eine verdächtige Person wahr. Selbst ein Mann, der mit seinem Auto dicht hinter dem Opfer auf der Tièchestrasse gefahren war und der sich später als Zeuge bei der Polizei meldete, hatte nichts Auffälliges bemerkt.