Phantombild von Michis Mörder veröffentlicht von Marco Lüssi - Über drei Jahre nach dem Mord am 17-jährigen Michi vor dem Zürcher Club Q hat die Polizei ein Phantombild des Täters veröffentlicht. Bereits sind erste Hinweise eingegangen. Bildstrecke im Grossformat »
Es ist einer der wenigen ungelösten Mordfälle im Kanton Zürich: Am 20. März 2010 hat ein Unbekannter den 17-jährigen Gärtnerlehrling Michi vor dem damaligen Club Q in Zürich-West erstochen und seinen Kollegen mit dem Messer schwer verletzt. Nach der Tat fuhr der Mörder seelenruhig auf einem Cruiser-Velo davon. Bis heute fehlt von dem jungen Mann jede Spur.
37 Monate nach der aufsehenerregenden Bluttat hat die Kantonspolizei Zürich gestern Mittwoch auf ihrer Facebook-Seite und im Internet erstmals ein Phantombild des Täters veröffentlicht. Es zeigt einen jungen Latino mit Schnauz und Mütze. Angefertigt wurde das Bild bereits im Jahr 2010. Bisher habe man es aber nur polizeiintern verwendet, sagt Werner Benz, Kommunikationschef der Kapo Zürich, auf Anfrage.
Phantombild hat laut Polizei Mängel
Warum wurde es nicht schon früher veröffentlicht? «Das Phantombild ist nicht von einer idealen Qualität», sagt Benz. Was mit der Qualität des Bildes nicht stimmt, wolle er aus taktischen Gründen aber nicht verraten. Weil man bei den Ermittlungen aber nicht weiterkomme, habe man nun entschieden, das Bild trotz seiner Mängel zu publizieren. «Wir wollen nichts unversucht lassen, um diesen für uns wichtigen Fall zu lösen», so Benz. Die Aufklärungsquote ist bei Tötungsdelikten sehr hoch – im Kanton Zürich liegt sie bei annähernd 100 Prozent. «Ungeklärte Tötungsdelikte bleiben deshalb bei unseren Kripo-Ermittlern immer auf dem Schreibtisch liegen, ergeben sich neue Ermittlungsansätze, gehen sie diesen nach», so Benz.
10'000 Franken Belohnung ausgesetzt
Die Veröffentlichung des Phantombilds könnte die Polizei beim Lösen dieses Falls nun tatsächlich weiterbringen. Benz: «Wir haben aufgrund dieses Bildes bereits Hinweise erhalten, denen wir nun nachgehen.» Auf Facbook hatten bis heute bereits über 100 Personen das Phantombild des Täters geteilt.
Für Hinweise zu diesem Fall hat die Polizei bereits 2010 eine Belohnung von 10'000 Franken ausgesetzt. «Dies gilt selbstverständlich auch heute noch», so Benz.
Dieses Video zeigt, wie der Täter nach dem Mord an Michi auf dem Velo davonfährt:
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Laut der Polizei war der Gesuchte zur Tatzeit zwischen 20 und 35 Jahre alt, 185 bis 190 Zentimeter gross, schlank, spricht gebrochen Deutsch, hat schlechte Zähne und dunkle Haare. Hinweise nimmt die Kantonspolizei Zürich unter der Telefonnummer 044 247 22 11 entgegen.
Der Mörder kam mit dem Velo Ein Unbekannter sticht vor dem Club Q in Zürich-West zwei junge Männer nieder. Eines der Opfer stirbt. Obwohl eine Überwachungskamera den Täter filmt, fehlt von ihm bis heute jede Spur.
Monica Müller und Stefan Hohler 28.12.2012
Tragen Sie mit Hinweisen zu diesem Artikel bei oder melden Sie uns Fehler. Zwei junge Männer rennen aus einem Club, lachen und umarmen sich – einige Minuten später ist der eine schwer verletzt, und der andere liegt erstochen am Boden. Das Drama spielt sich am frühen Samstagmorgen des 20. März 2010 vor dem Club Q an der Förrlibuckstrasse in Zürich-West ab. Die beiden jungen Männer heissen Michi und Marco, sie sind 17 und 18 Jahre alt, Gärtnerlehrling und Pizzaiolo, und kommen aus dem Limmattal. Eine Überwachungskamera hat die Tat gefilmt, und auch der Täter ist auf dem Film zu sehen. Dennoch tappt die Polizei weiterhin im Dunkeln. Der Messerstecher ist unauffindbar.
Das Video
Die Filmsequenz aus der Überwachungskamera wirkt gespenstisch: Ein Velofahrer fährt am Club Q vorbei, seine Gesichtszüge sind nicht zu erkennen, das Bild ist verschwommen. Er radelt auf seinem geschwungenen Beachcruiser-Velo gemütlich am Club-Ausgang vorbei und erblickt auf der anderen Strassenseite Michi und Marco hinter der schulterhohen Betonwand einer Abfallcontainersammelstelle.
Der Unbekannte wendet plötzlich sein Velo und fährt auf die beiden jungen Männer zu. Ein dritter Mann mit einem auffälligen Smiley-Pullover, der kurz zuvor zu Michi und Marc gestossen ist, flüchtet an den beiden Teenagern vorbei in den Mühleweg, als er den Velofahrer sieht. Inzwischen ist der Velofahrer zu Michi und Marco hinter der Containerwand gelangt.
Auf dem Film sieht man nur die Oberkörper und die Köpfe der beiden jungen Männer und des Unbekannten. Die drei sprechen etwa eine Minute lang miteinander; sie wirken dabei weder aggressiv noch aufgeregt. Dann plötzlich holt der Velofahrer mit dem Arm aus und schwingt etwas gegen Michi und Marco. Was er in der Hand hält, erkennt man nicht, zu unscharf ist das Bild.
Flucht mit dem Velo
Marco und Michi flüchten: Der 18-Jährige rennt zum Club-Ausgang – sein 17-jähriger Freund zum seitlichen Teil des Gebäudes, in dem damals der Club BBQ untergebracht war. Sekunden später rennt Marco, der sich am Arm hält, mit Sicherheitsleuten zum Tatort zurück. Doch der Velofahrer ist bereits auf dem Mühleweg Richtung Altstetten verschwunden.
Michi kehrt nicht mehr zurück. Er bricht vor dem BBQ zusammen, der Täter hat ihn tödlich verletzt. Die beiden Sicherheitsleute vor dem BBQ blicken auf und rennen los – zu Michi, der noch vor dem Club am Boden verblutet. Sein Freund Marco hat Stich- und Schnittverletzungen am Brustkorb und am rechten Oberarm erlitten, diese sind jedoch nicht lebensbedrohlich.
Am kommenden Tag teilt die Stadtpolizei Zürich mit: «In der Nacht auf Samstag, 20. März 2010, kam es am Mühleweg in Zürich-West zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung. Ein junger Mann erlitt dabei schwere Stichverletzungen und verstarb noch am Tatort. Ein weiteres Opfer musste mit Stich- und Schnittverletzungen ins Spital gebracht werden. Dem Täter gelang die Flucht. Die Polizei sucht Zeugen.»
Die Polizei sucht einen Latino
Selten ist ein Tötungsdelikt mit einer Überwachungskamera so genau aufgenommen worden, und trotzdem bleibt der Täter unbekannt. Die Kantonspolizei veröffentlicht auf ihrer Website eine kurze Filmsequenz, die den Mörder auf dem Velo zeigt. Obwohl die Polizei dem Hauptzeugen, dem 18-jährigen Marco, Tausende Fotos von möglichen Tätern vorlegt, kann dieser den Unbekannten nicht identifizieren. Inzwischen sind die Ermittlungen in diesem Mordfall einstweilen sistiert. Dies, obwohl die Polizei eine Belohnung von bis zu 10'000 Franken ausgeschrieben und viele weitere Personen überprüft hat.
Beim Täter handelt es sich gemäss Zeugenaussagen um einen 20- bis 25-jährigen Mann, 185 bis 190 Zentimeter gross, vermutlich ein «Latino-Typ». Er spricht gebrochen Deutsch und hat schlechte Zähne. Die Ermittlungsbehörden gehen davon aus, dass der Täter höchstwahrscheinlich um den Tatzeitpunkt herum mit seinem Beachcruiser-Velo in der Stadt unterwegs war. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass er das auffällige Velo gestohlen hatte.
Am Abend der Tat trug der Täter ein weisses langärmliges Sweatshirt, darüber ein rotes T-Shirt. Da der Mann vermutlich Südamerikaner ist, wurde ein Foto des gesuchten Velofahrers sowie die Filmsequenz vor dem Club auch auf der in Zürich produzierten dominikanischen Website http://www.corillo.ch aufgeschaltet. Auch dieser Zeugenaufruf in spanischer Sprache führte die Polizei nicht weiter. Die Zürcher Untersuchungsbehörden vermuten den Täter in der Karibik.
Es war wohl ein Racheakt
Die Tat hat eine Vorgeschichte, wie die Kantonspolizei Zürich bei den Ermittlungen herausfindet. Rund eine Stunde vor der Tat sind sich Michi, Marco und der Velofahrer erstmals begegnet. Die beiden jungen Männer und ein weiterer Begleiter stiessen am nahen Fischerweg beim Hardturmsteg auf den Unbekannten, der noch zu Fuss unterwegs war.
Wie Marco und der dritte Begleiter später sagten, haben sie ihn um einen Joint gebeten. Der Unbekannte habe sie aber ignoriert und sei einfach weitergegangen. Da rannte ihm Marco nach und berührte ihn an der Schulter. Der Unbekannte versuchte Marco ins Gesicht zu boxen und sprintete davon. Marco wollte ihm ein Bein stellen, was ihm aber misslang.
Das Gutachten der Rechtsmediziner hat später gezeigt, dass Michi nicht unter Drogen stand. Für die Ermittler drängt sich wegen der Vorgeschichte die Hypothese auf, dass es sich bei der Messerattacke um einen Racheakt handelte. Der Täter sei gezielt auf Michi und Marco zugegangen, als er sie vor dem Club wiedererkannt habe. Unklar ist, ob der Täter schon zu diesem Zeitpunkt die Absicht hatte, die jungen Männer niederzustechen, oder ob er sich erst im Gespräch mit ihnen dazu entschloss.
Mit falschem Ausweis ins Q
Die Ermittlungen der Polizei lösen auch das Rätsel, warum die zwei jungen Männer jubelten und sich lachend umarmten, als sie aus dem Club rannten: Der erst 17-jährige Michi war mithilfe einer ausgeliehenen Identitätskarte eines Kollegen mit seinem 18-jährigen Freund Marco in den Club gelangt.
Der Mann mit dem Smiley-Pullover, der ebenfalls auf dem Mitschnitt der Überwachungskamera zu sehen ist, meldete sich nach dem ersten Zeugenaufruf nicht bei der Polizei. Erst als die Ermittler ein Bild von ihm im auffälligen Pullover veröffentlichten, nahm er sofort mit ihnen Kontakt auf. Er sei beim Anblick des Velofahrers kurz vor der Tat weggerannt, weil sich dieser aggressiv verhalten habe, gab er zu Protokoll. Der Unbekannte habe ihn bereits zuvor auf Drogen angesprochen und angepöbelt.
«Warum nur?»
Der Zürcher Rapper KariZHma, ein heute knapp 20-jähriger Mann mit Wurzeln im Iran, war ein enger Freund von Michi. «Der Mord hat uns extrem erschüttert und geprägt», sagt er. Er hatte Michi in seiner Wohngemeinde schon als kleines Kind gekannt. Nach dem Tötungsdelikt stellte KariZHma einen Film mit dem Titel: «Warum nur? RIP Michi» auf das Internet-Videoportal Youtube. Unterlegt mit schwermütigen melodiösen Klängen und mit Bildern von Kerzen am Tatort rappt KariZHma im Clip:
«Bruder, ich kann es nicht glauben, aber es ist wahr, du bist weg von uns, doch wir alle wissen, du hebst die Hand wieder auf, dort, wo du jetzt bist, geht es dir gut, wir sehen uns wieder, Rest in Peace, Bruder.»
Ein Jahre später veröffentlichte er für seinen Freund einen weiteren Track mit dem Titel «Ein Jahr her»:
«Es ist jetzt ein Jahr her, Bruder, ein Jahr Schmerz, Bruder, es ist unglaublich, und die Wut staut sich grenzenlos.»
Konsequenzen für den Club Q
Michi habe früher viel Scheiss gebaut, erzählt KariZHma. Aber er sei auf gutem Weg gewesen, sich zu bessern, davon ist der Rapper KariZHma überzeugt. Er bereut, dass er am Abend der Tat nicht mit Michi und Marco unterwegs war. «Vielleicht hätte ich die Tat verhindern können.» Dieser Gedanken quäle ihn heute noch.
Die tödliche Messerstecherei hatte auch für den Club Q Konsequenzen. Der Ruf des Clubs litt, und es kamen spürbar weniger Besucher an die Förrlibuckstrasse in Zürich-West. Die Verantwortlichen richteten den Club neu aus, weg von der Coolness und dem «Underground Chic», die das Lokal zuvor geprägt hatten, hin zu einer wärmeren und weiblicheren Atmosphäre.
Hinweise zum Fall nimmt die Kantonspolizei Zürich (044 247 22 11) entgegen. (Tages-Anzeiger)
Hinter den Betonplatten der Containersammelstelle: Hier, gegenüber dem Club Q, stach der unbekannte Täter auf Michi und Marco ein. Bild: Dominique Meienberg