13.08.2022, 16:13 Uhr Perfides Verbrechen von 1966 Nach dem Mord fuhren sie zur Liebesnacht an den Kudamm
Von Tomas Kittan
Für die Bundesrepublik war es kaltblütiger Mord, für die DDR eine Intrige des westdeutschen Geheimdienstes: Ein Frankfurter Hotelchef erwürgt seine westdeutsche Ex-Geliebte auf der Fahrt nach Berlin, um mit ihrem Pass seine neue Freundin aus der DDR über die Grenze zu schmuggeln.
61 Jahre nach dem Mauerbau recherchierte Alexandra Hildebrandt (63), Chefin des Mauermuseums, jetzt die Hintergründe des spektakulären Falls von 1966. Die erstmals eingesehene Stasi-Akte belegt anhand von Originaldokumenten, wie sich damals alles abspielte.
Zitat Nach außen galt Kurt Möller als seriöser Geschäftsführer. Doch der Chef (damals 44 Jahre alt) vom Hotel Weidenhof in Frankfurt/Main war ein hochkrimineller Gewohnheitsverbrecher.Der einstige Obersturmbannführer bei der Waffen-SS war vor dem Mord bereits verurteilter Betrüger, Dieb, Heiratsschwindler, Urkundenfälscher und Hochstapler. Bis Anfang der 1960er-Jahre hatte er zahlreiche Vorstrafen, saß insgesamt sechs Jahre in Zuchthäusern ab.
************************************************************************* *Unser Leben ist das, wozu unser Denken es macht* Mark Aurel *What goes arount - comes arount * Critical questioning never harms* *********************************************************************************** *Hervorhebung in Kommentaren durch den Verfasser *Äusserungen zu Fällen sind rein spekulativ*
Wir haben Frankfurt schon früher als das Wunderland der Justizberichterstattung gepriesen. In Frankfurt hat sich der Journalist des andrängenden Stoffes zu erwehren und seine Feder nicht zu spitzen, sondern rund zu halten, denn was vom Ufer des Mains zu berichten ist -- spricht am besten für sich selbst. In Frankfurt, ach in Frankfurt, geschah es, daß einmal zwei Geschworene zwei gleichzeitig tagenden Schwurgerichten angehörten. Hier verschwand einmal ein mündlich verkündetes Urteil in der schriftlichen Ausfertigung auf Nimmerwiedersehen, und hier, wo anders sonst, packte ein Vorsitzender ein paar Tage lang des Morgens Akten vor sich hin, von denen sich im Verlauf der Sitzung leider ergab, daß sie nicht die der anstehenden Strafsache waren, denn die waren verschwunden.
In der vergangenen Woche lief Frankfurts Justiz einmal wieder auf Hochtouren. Am Freitag beispielsweise tagten fünf Schwurgerichte gleichzeitig, und Frankfurts Landgerichtspräsident ist ein Tausendsassa, wie er das technisch möglich macht (ganz abgesehen davon, daß es beispielsweise im StPO-Kommentar von Kleinknecht heißt: »Ob mehrere Schwurgerichte bei einem Landgericht gebildet werden können, ist strittig").
Und des weiteren konnte am letzten Donnerstag der derzeitiges Spitzenreiter unter den U-Häftlingen der Bundesrepublik denn doch noch vor ein Schwurgericht treten, um sich zu verantworten. Seit Donnerstag wird in Frankfurt gegen Kurt Günther Ernst Möller, 49, zuletzt Hotelgeschäftsführer, wegen einer Mordanklage verhandelt, die am 11. April 1968 der 3. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt zugeleitet worden ist, nachdem der Gerichtsassessor Piepenbring sie angefertigt hatte.
Dem Anblick eines derart überwältigenden Gabentischs ist nicht jeder Journalist gewachsen. Und so hat denn auch einer zum Beginn des Prozesses gegen Günther Möller guten Mutes geschrieben: »Fünf Jahre lang schmiedeten Kripo und Staatsanwaltschaft an der Indizienkette, die den ehemaligen Geschäftsführer des Frankfurter Hotels 'Weidenhof' überführen soll.« Nein, diese Behauptung hat die Frankfurter Justiz nicht verdient. Für Frankfurter Justizereignisse gibt es keine einfachen Erklärungen. sondern einfach keine Erklärung.
Am 20. Februar 1970 beispielsweise befand der 1. Strafsenat des Frankfurter Oberlandesgerichts, die Tatsache, daß Günther Möller nunmehr knapp drei Jahre nach seiner Festnahme (am 27. April 1967) psychiatrisch begutachtet werde, hindere die Staatsanwaltschaft nicht daran, inzwischen schon einmal Anklage zu erheben. Dem besonders hohen Senat war entgangen, daß der Gerichtsassessor Piepenbring eine Anklageschrift bereits unter dem 11. April 1968 erstellt hatte.
Der Angeklagte Günther Möller gibt am Donnerstag vergangener Woche zu Beginn der Schwurgerichtssitzung eine Erklärung ab, in der es heißt: »Zur Beendigung einer ausschließlich durch die Staatsanwaltschaft mir auferlegten und täglich größer werdenden Qual, nämlich der durch die Dauer der nunmehr über fünf Jahre währenden Untersuchungshaft täglich wachsenden Ungewißheit, welche sich verbunden hat mit den wahrlich wahnsinnigen Schmerzen, unter denen ich fast ständig leide, werde ich, selbst auf die Gefahr hin zu lügen, behaupten, verhandlungsfähig zu sein.«
Das ist, zum ersten, schlechtes Deutsch. Doch da schreit, zum zweiten, auch jemand auf: einer, der eine junge Frau getötet und das seit seiner Festnahme nie bestritten hat, der aber nun am Ende seiner Kraft ist. Da erklärt sich ein Mann, der seit fünf Jahren in Ungewißheit lebt. Und drittens ist hier unstreitig etwas nicht so abgewickelt worden, wie es hätte abgewickelt werden sollen: Fünf Jahre U-Haft sind auch gegenüber einem Mordverdächtigen eine Katastrophe und das gräßliche Debakel einer Justiz, die der Strafprozeßordnung verpflichtet ist und der Konvention der Menschenrechte.