Aus 2016 Verpfeifen verboten? Whistleblowing in der aktuellen politischen Diskussion
Mit schicken englischen Schlagwörtern ist das oft so eine Sache. Man hat eine Idee, was gemeint ist, aber genau weiß man es nicht – und die wörtliche Übersetzung hilft auch meist nur bedingt (siehe „Pfeifen-Bläser“). Viele Fachbeitrage zu „whistleblowing“ beginnen denn auch mit der Feststellung, dass dieser Begriff zwar in aller Mund sei, aber damit unter Umständen sehr Unterschiedliches bezeichnet werde.
Was bedeutet Whistleblowing?
Die Definition der zwei amerikanischen Forscherinnen Near und Miceli ist wohl die gängigste und Compliance Fachleuten wird sie geläufig sein: Whistleblowing liegt dann vor, wenn ein (aktuelles oder ehemaliges) Mitglied einer Organisation rechtswidriges, unmoralisches oder unrechtmäßiges Verhalten, das unter der Kontrolle der Organisation stattfindet, anzeigt gegenüber einer Person oder Stelle, die gegen dieses Verhalten Maßnahmen ergreifen kann. Üblicherweise unterscheidet man die Hinweisgebersysteme noch nach den möglichen Adressaten, nämlich internen oder externen Stellen. Grundsätzlich wird das Eigeninteresse der Organisation sein, dass Hinweise intern erfolgen und intern bleiben. Ich spreche hier bewusst von Organisation, weil dies für öffentliche wie private Einrichtungen gilt.
Ein Interessendreieck
Die politische Diskussion dreht sich im Kern um die Frage, wann es Hinweisgebern gestattet sein soll, Missstände in die Öffentlichkeit zu tragen. Es ist in der Tat so, Strafverfolgungsbehörden entdecken Wirtschaftskriminalität nur ganz selten aufgrund von Anzeigen. Nach Schätzungen liegt die Zahl nur im einstelligen Prozentbereich. Es ist kein Geheimnis, dass diese Interessen je nach politischer Couleur durchaus unterschiedlich gewichtet werden. Um die Frage zu beantworten, müssen im Ergebnis die Interessen dreier Akteure zum Ausgleich gebracht werden: die der Allgemeinheit, der Organisation und die des Whistleblowers. Dieses „Interessendreieck“ sollten wir bei der Diskussion im Hinterkopf haben. Die Missbrauchsverordnung
Zwei europäische Regelungen haben frischen Wind in die Gesetzgebung gebracht. Die Missbrauchsverordnung (VO (EU) Nr. 2014/596) soll die Finanzmarktintegrität fordern. Nach Artikel 12 (Meldung von Verstößen) müssen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass die zuständigen Behörden wirksame Mechanismen schaffen, um die Meldung von Verstößen gegen die Verordnung zu ermöglichen, und nennt einen Katalog von Mindestmaßnahmen. Diese Maßnahmen setzt die BaFin nun entsprechend der konkretisierenden Vorgaben der Europäischen Wertpapieraufsicht um.
Die Richtlinie zum Geheimnisschutz
Im Juli ist außerdem die Richtlinie zum Geheimnisschutz (RL (EU) Nr. 2016/943) in Kraft getreten und muss nun binnen zwei Jahren umgesetzt werden. Diese Richtlinie soll wertvolles Know-how und wertvolle Geschäftsinformationen schützen. Artikel 5 benennt die Ausnahmen für die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen u.a. „zur Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit gemäß der Charta, einschließlich der Achtung der Freiheit und der Pluralität der Medien“, „Zur Aufdeckung eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens oder einer illegalen Tätigkeit, sofern der Antragsgegner in der Absicht gehandelt hat, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen“ oder „zum Schutz eines durch das Unionsrecht oder das nationale Recht anerkannten legitimen Interesses“. Im Ergebnis also unser Interessendreieck. Diese Regelung dürfte sich auf die Anwendung von § 17 UWG (Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen) auswirken. Hätten wir einen „Luxleaks“-Fall in Deutschland, wäre diese Vorschrift jedenfalls zu prüfen. Die herrschende Literaturmeinung geht bisher davon aus, dass auch Informationen über strafbare Handlungen Geschäftsgeheimnisse im Sinne von § 17 UWG sind.
Wann entscheidet sich jemand für externes Whistleblowing?
Zu kurz kommt in der politischen Diskussion, dass es bisher nur wenig empirische Forschung in Europa und Deutschland zu Whistleblowing gibt. Wann entscheidet sich jemand für externs Whistleblowing? Wie effektiv sind die verschiedenen internen Hinweisgebersysteme? Solche relevanten Fragen sind noch nicht hinreichend untersucht. Dies erschwert die Diskussion in der Sache. Ein instruktiver Beitrag zur Wirtschaftskriminalität ist das Projekt der LMU München zu „Bedingungen für die Inanspruchnahme von Whistleblowing-Systemen…“. Die Autoren Kolbel/Herold kommen darin zu dem Ergebnis, dass wenig dafür spreche, in einer Doppelstrategie interne und externe Hinweisgebersysteme nebeneinander aufzubauen und die externen Strukturen zu erhalten. Als ein „wirtschaftsstrafrechtliches Schlüsselkonzept“ wäre Whistleblowing klar überschätzt, aber gleichwohl brauche es zumutbare Möglichkeiten zur externen Mitteilung. Die beiden Forscher halten dagegen den klassischen Weg der anonymen Anzeige für ausreichend, sofern eine legislative Klarstellung zu Rechtmäßigkeits- und Schutzbedingungen erfolgt, um die Konsequenzen berechenbarer zu machen.
Braucht es legislative Klarstellung im deutschen Recht?
Über die Schlussfolgerung, zur Rechtssicherheit brauche es legislative Klarstellungen im deutschen Recht, lässt sich meines Erachtens diskutieren. Inhaltlich halte ich die bisher angesetzten Maßstäbe für ausgewogen. Zum Kündigungsschutz hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Heinisch die Kriterien von Bundesverfassungs- und Bundesarbeitsgericht in der Sache bestätigt. Die Berechtigung zur Offenbarung und die Loyalitätspflicht sind abzuwägen. Danach muss zunächst der interne Weg zur Abhilfe gesucht werden, es sei denn, der interne Weg erscheint ausnahmsweise aussichtslos. Weil der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran hat, Image-Schäden zu vermeiden, kommt es außerdem darauf an, ob in gutem Glauben an die Richtigkeit der Angaben gehandelt wurde, die Offenlegung im öffentlichen Interesse lag und es keine geeigneten anderen diskreteren Maßnahmen mehr gab. Eine legislative Klarstellung wird den Gerichten die notwendige Abwägung im Einzelfall nicht abnehmen. Whistleblowing für mehr Rechtssicherheit?
Systematischer und umfassender Schutz von Whistleblowern für mehr Rechtssicherheit – da möchte jeder gerne dabei sein. Für Fälle wie die Anzeige von illegalen Aktivitäten werden sich mit der Zeit sicherlich praktikable Regelungen finden lassen. Die wirklich knackigen Fälle für einen Rechtsstaat sind aber zweifelsohne ohnehin diejenigen, wo sich Systeme und Praktiken entwickelt haben, die den Interessen der Gesellschaft grundlegend zuwider laufen, die aber gerade nicht illegal sind. Für solche Fälle werden wir als Gesellschaft auch in Zukunft auf Whistleblower und eine unabhängige Presse angewiesen sein, die uns solche Systemfehler aufzeigen.
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