Ludwigsburg / Martin Hein 04.07.2019 - 10:22 Uhr Es sollte als eines der brutalsten Verbrechen dieser Zeit in die Kriminalgeschichte eingehen: Am Freitag, 4. Juli 1969, gegen 19.30 Uhr hat in Kaiser’s Kaffeegeschäft in Stuttgart-Zuffenhausen die 42-jährige Kassiererin Lotte Michel die Kasse abgerechnet und die Einnahmen an den Filialleiter Gerhard Ponge (33) übergeben. Ponge hält sich zu dieser Zeit noch mit dem Verkäufer Otto Ernst Sessler (19) im Hinterzimmer auf.
Der Überfall Lotte Michel will gerade das Geschäft verlassen. Plötzlich stehen zwei mit Strumpfmasken verkleidete Männer vor ihr. Einer presst seine Hand auf ihren Mund, um sie am Schreien zu hindern und stößt sie brutal in den Raum zurück. Der andere Täter stürmt mit einer Maschinenpistole in der Hand ebenfalls in den Raum. „Los umdrehen mit dem Gesicht zur Wand“ befiehlt einer der Maskierten. Der Andere durchsucht währenddessen den Raum und stopft das Geld (etwa 9000 D-Mark) in eine Tasche. Dann schlagen die beiden Räuber Gerhard Ponge und Otto Ernst Sessler mit Eisenstangen brutal nieder. Sessler sinkt bewusstlos auf den Boden, Ponge ist von dem Schlag betäubt, sinkt ebenfalls zu Boden und stellt sich tot.
Die Räuber halten die Kassiererin mit einer Pistole in Schach. „Wenn du die Polizei alarmierst, erschießen wir dich“ ruft einer der Räuber beim Herauslaufen aus dem Geschäft. Die geschockte Kassiererin alarmiert Polizei und Rettungsdienst. Die beiden schwerverletzten Männer werden ins Krankenhaus gebracht. Die Polizei leitet sofort eine Fahndung nach den Räubern ein.
Der kaltblütige Mord Die Besatzung des Ludwigsburger Streifenwagens S-7303, bestehend aus Polizeihauptmeister Eugen Gröner (52) und Polizeihauptwachtmeister Roland Wahl (25) hört über Funk die Fahndungsmeldung. Die beiden Polizeibeamten des Verkehrsdienstes Ludwigsburg riegeln daraufhin die Lerchenbergbrücke in Richtung Kornwestheim ab.
Gröner verfolgt die aktuellen Fahndungsmeldungen am Funkgerät. Wahl kontrolliert einen angrenzenden Weg. Kurz nach 22 Uhr ruft Wahl seinem Kollegen im Streifenwagen zu „Du, da kommen zwei. Die schauen wir uns einmal näher an“. Eine der Personen trägt eine Tasche. Wahl fragt die beiden, woher sie kommen. „Von einer Sportveranstaltung“. Der Polizeibeamte kontrolliert die Ausweise der beiden Fußgänger. „Was haben Sie in der Tasche?“ – „Nur unsere Trainingsanzüge“. Auf die Bitte, die Tasche zu öffnen, bückt sich der eine junge Mann, hebt einen grünen Mantel, greift nach einer darunter verborgenen halbautomatischen Kleinkaliber-Pistole und schießt sofort auf die Polizisten. Wahl wird von zwei Kugeln getroffen. Beide Polizisten werfen sich auf den Boden und schießen zurück.
Die Unbekannten flüchten. Gröner feuert ein zweites Magazin leer. Dann robbt er zu seinem Kollegen, der stöhnend am Boden liegt. Im Licht der Taschenlampe erkennt er, dass Roland Wahl bei dem Schusswechsel schwer verletzt wurde. Der Unbekannte hat Wahl am Kopf und im Bauch getroffen. Kurz danach treffen weitere Streifenwagen am Tatort ein. Wahl stirbt im Krankenhaus an den Schussverletzungen. Polizeibeamte suchen den Tatort ab und finden tatsächlich einen Personalausweis, den einer der Täter bei der Flucht verloren hat. Der Ausweis ist auf den 18-jährigen Wolfgang D. aus Stuttgart ausgestellt. Die Täter sind zunächst wie vom Erdboden verschluckt. Die Fahndung nach dem Polizistenmörder läuft auf Hochtouren. Sogar über das Fernsehen werden die Täter gesucht.
Es ist, zum Entsetzen der Bevölkerung, bereits der dritte Polizistenmord innerhalb von elf Monaten: Am 8. Januar 1969 wurde der Kriminalmeister Klaus Scharfenort in Esslingen von einem Waffendieb erschossen, am 24. August 1968 erschoss ein Einbrecher den Polizisten Franz Elbert in Heubach.
Die Suche nach dem Mörder Auf dem Gelände des ehemaligen Flugplatzes Großsachsenheim zieht die Polizei im Rahmen der Fahndung am nächsten Tag mehrere Streifenwagen zusammen. Von dort aus startet „Bussard“, der Hubschrauber der Landespolizei, mit ortskundigen Beamten an Bord und überfliegt auf der Suche nach den Tätern die Straßen und Wälder im Bereich Großsachsenheim, Unterriexingen, Freudental und Bietigheim.
Der Fahndungsdruck ist inzwischen so groß, dass sich 24 Stunden nach den beiden Straftaten die zwei jugendlichen Räuber in Begleitung des Stuttgarter Rechtsanwaltes Dieter König der Polizei stellen. Es sind der 18-jährige Wolfgang D. und sein Komplize, der 18-jährige Edgar K.. Der erste Staatsanwalt Sauter konfrontiert die beiden Tatverdächtigen mit dem Leichnam des getöten Polizeibeamten. Edgar K. zeigt keine Wirkung beim Anblick der Leiche. Der Staatsanwalt beschreibt die Reaktion von Edgar K. als „kalt“. Wolfgang D. hingegen, der die Schüsse abgegeben haben soll, bricht beim Anblick der Leiche beinahe zusammen. Bei der Gegenüberstellung identifiziert Gröner die beiden Tatverdächtigen als die Personen, die Wahl und er tags zuvor an der Lerchenbergbrücke kontrollieren wollten. Roland Wahl wird am 8. Juli in Heilbronn beigesetzt. Am selben Tag gesteht Wolfgang D. beide Verbrechen. Die Waffen stellt die Polizei sicher. Es handelt sich dabei um halbautomatische Kleinkalibergewehre, die wie Maschinenpistolen aussehen. Solche Waffen sind 1969 im Versandhandel für knapp 200 D-Mark erhältlich. Am Totensonntag, 23. November 1969, legen Ludwigsburger Polizeibeamte am Grabe des Polizeihauptwachtmeisters Roland Wahl einen Kranz nieder und gedenken im Namen der Polizeidirektion Ludwigsburg ihres jungen Kollegen.
Das Gerichtsurteil Die Jugendkammer Stuttgart verurteilt Wolfgang D. am 15. Oktober 1970 wegen Mordes an dem Polizeibeamten Roland Wahl und wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Edgar K. wird von der Jugendkammer nicht als Mittäter beim Mord eingestuft, und zu sechs Jahren Jugendstrafe verurteilt. Die Jugendkammer wertet den vorausgegangenen Raubüberfall als „denkbar brutales und gemütskaltes Verbrechen“.