„In Deutschland leben 20 Serienmörderinnen unerkannt“ Veröffentlicht am 01.03.2017
Ein Kommissar erforscht, wie Frauen zu Serienmörderinnen werden und was die Unterschiede zu männlichen Tätern ausmacht. Viele Täterinnen leben unentdeckt. Er ist sich sicher: „Wir werden noch Überraschungen erleben.“
Der Mann, den Jennifer über Facebook kennenlernt, wird allmählich ihr Freund. Doch erst nach vielen Monaten vertraut sie ihm ihr dunkles Geheimnis an – und wird kurz darauf als dreifache Kindsmörderin verhaftet. Freund „Roland“ war in Wahrheit verdeckter Ermittler des LKA – und überführte eine Serienmörderin, der bis dahin trotz aller Mühen der Mordkommission nichts nachzuweisen war.
Jennifer (Name geändert) ist eine der 38 verurteilten Serienmörderinnen der Bundesrepublik, die für insgesamt 145 Morde verantwortlich sind. Stephan Harbort (52), Experte für Serienmorde, hat erstmals die Akten sämtlicher bekannter Serienmörderinnen der Bundesrepublik für eine umfassende kriminologische Studie ausgewertet. Die Ergebnisse stellt der Düsseldorfer Kommissar in einem neuen Buch („Killerfrauen“, Knaur-Verlag, 2017) vor.
Mit vier Serienmörderinnen hat er persönlich im Gefängnis sprechen können. Im Vergleich zu männlichen Serienmördern sei dies ungleich schwerer gewesen: „Frauen schämen sich für die Taten.“ Frauen morden nur bei Bedarf
Harborts Fazit: Während es bei männlichen Serienmördern um Habgier, Sex und Macht geht, morden Frauen aus viel pragmatischeren Motiven: um sich Problemen und Konflikten zu entledigen. Hat sich diese radikale Problemlösungsstrategie einmal bewährt, wird sie bei Bedarf wieder angewendet, wenn das Tabu zu töten erst einmal überwunden ist.
„Ich habe nur einen Fall in der Schweiz entdeckt, wo eine Frau aus Mordlust getötet hat. In Deutschland kenne ich keinen Fall seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagt Harbort. Serienmörderinnen sind in der Regel verheiratet, unauffällig und nicht vorbestraft.
Sie kennen ihre Opfer und haben eine berufliche oder private Beziehung. Entsprechend töten sie im Gegensatz zu Männern in der eigenen Wohnung oder am Arbeitsplatz. „In den meisten Fällen befinden die Täterinnen sich in einer privaten oder beruflichen Sackgasse. Sie glauben, diese Situation nur durch die Tötung des Opfers auflösen zu können“, berichtet Harbort.
Mörderinnen werden oft nur durch Zufall entdeckt
Die Kriminologin Prof. Britta Bannenberg (Uni Gießen) hält das für plausibel: „Wenn Frauen sich etwa ihres Partners entledigen, dann selten, weil sie die habgierige Witwe sind, sondern weil sie ein Problem loswerden wollen.“ Etwas anders ist es aus ihrer Sicht bei den Patiententötungen durch Frauen: „Da geht es oft auch um Macht.“
Im Gegensatz zu den Opfern von männlichen Serienmördern sind die der Frauen meist sehr jung oder sehr alt, hat Harbort herausgefunden. Das liegt an den Mordserien an Kindern und Patienten, die häufiger von Frauen begangen werden. 18 Prozent der 212 abgeurteilten Mordserien in der Bundesrepublik wurden von Frauen verübt. Bei Mord und Totschlag insgesamt liegt der Frauenanteil nur bei 12 Prozent.
Wohl weil man Frauen den Serienmord nicht zutraut, werden sie oft erst durch Zufall entdeckt und gestoppt. Die verurteilten Serienmörderinnen wurden durchschnittlich sechseinhalb Jahre nach der ersten Tat überführt, begingen in dieser Zeit vier bis fünf Morde. Harbort geht deshalb von einer großen Dunkelziffer aus: Er schätzt, dass in der Bundesrepublik bislang mindestens 100 Frauen mehrere Menschen getötet haben.
„In Deutschland leben 20 Serienmörderinnen unerkannt“
Einige nahmen sich das Leben, als sie unter Verdacht gerieten, anderen konnte die Schuld nicht nachgewiesen werden und etliche blieben wie ihre Taten völlig unerkannt. „Auf eine erkannte Serienmörderin kommt eine unerkannte, das ist eine seriöse Schätzung“, sagt Harbort.
„Ich gehe davon aus, dass in Deutschland aktuell noch 20 Serienmörderinnen unerkannt und auf freiem Fuß leben. Wir werden noch die ein oder andere Überraschung erleben, ganz sicher.“
Harbort, der schon gut 20 Bücher zu Serienmorden veröffentlicht hat, war 1999 für seine Schätzung, dass in Deutschland mindestens acht Serienmörder frei herumlaufen, kritisiert worden. „Nachträglich sind aus diesem Zeitraum 40 Serienmörder ermittelt worden. Ich lag also viel zu niedrig.“
Frauen greifen zu Kissen oder Gift
In einem Gefängnis am Niederrhein sitzt Deutschlands wohl schlimmste Serienmörderin: Bis zu 18 Morde und 17 Mordversuche sollen auf das Konto der Altenpflegerin gehen, die die Taten an alten Menschen in den 80er-Jahren im Raum Köln beging.
Im Gegensatz zu den Männern greifen Frauen beim Morden nicht zu Pistole, Axt oder Knüppel, sondern zu „weichen“ Waffen, bevorzugt Kissen oder Gift.
Wie bei den Männern ist die durchschnittliche Serienmörderin 20 bis 40 Jahre alt, deutsch, hat Haupt- oder Realschule absolviert, gehört der Unter- oder Mittelschicht an: „Die Serienkillerin ist ein Jedermann.“
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