Rechtspsychologe im Interview "Täter verdrängen, vergessen aber nie"
Von Petra Buch 14.02.14, 12:12 Uhr
dpa
Halle (Saale)/dpa -
Straftaten kommen manchmal erst sehr spät ans Licht. Die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft ist schwierig und langwierig. Ein mutmaßlicher Täter gerät laut Experten auch nicht immer sofort ins Visier der Ermittler. Ein Täter kann zwar vieles verdrängen, völlig vergessen kann er aber nicht, wie der Rechtspsychologe und Gerichtsgutachter Steffen Dauer in einem Interview der Nachrichtenagentur dpa berichtet.
Herr Dr. Dauer, es gibt immer wieder Fälle, die für Schlagzeilen sorgen, wo sich mutmaßliche Täter manchmal erst nach Jahren oder gar Jahrzehnten outen. Was geht da im Menschen vor?
Steffen Dauer: Sollte jemand tatsächlich vor langer Zeit eine Straftat begangen haben, kann ein Mensch eine solche Handlung nicht vollständig vergessen. Dies kann derjenige auch nicht vollständig aus seiner Erinnerung verdrängen. Ganz einfach deshalb, weil die Handlungsabläufe einer Straftat so „beeindruckend“ sind und damit Erinnerungsspuren immer im Gedächtnis vorhanden sind.
Aber wie kann ein Mensch eine Straftat, zumal eine schwere, überhaupt mit sich „herumtragen“?
Dauer: Menschen, die über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg eine Straftat verdrängen, binden sich meist wieder in ihren Alltag ein. Sie schaffen sich eine Alltäglichkeit, die dazu führt, dass die Erinnerungen an bestimmte Handlungsabläufe extrem verblassen und nicht mehr jederzeit präsent sind. Grundsätzlich ist es aber so: Solche Handlungen wie die Tötung eines anderen Menschen gehen an niemandem spurlos vorbei. Selbst ein Psychopath, der womöglich mehrfach solche Handlungen begeht, hat immer noch irgendwelche Spuren der Erinnerung auch an die einzelnen Handlungen - es sei denn, es ist jemand, der aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung tötet. Derjenige hat dann Erinnerungsschwierigkeiten aufgrund seiner Krankheit oder Wahrnehmungsstörungen wegen eingenommener Substanzen.
Welche Rolle spielt die Zeit dabei?
Dauer: Je länger die mutmaßliche Straftat zurückliegt, umso stärker können sich diejenigen Menschen wieder auf das Alltagsgeschehen konzentrieren und die Tat verdrängen.
Trifft das in jedem Fall zu?
Dauer: Nein, das ist nicht bei jedem Menschen gleich. Es gibt auch Menschen, die nach einer gewissen Zeit diese Erinnerungen, die ja trotz allem immer da sind, einfach nicht bewältigen können und sich dann auch der Verantwortung stellen.
Bedarf es in solchen Fällen eines besonderen Auslösers, zum Beispiel wenn die Ermittler plötzlich vor der Tür stehen?
Dauer: Das kann sein. Es ist aus der Historie bekannt, dass zum Beispiel Menschen, die früher eine schwere Straftat begangen haben und über Jahre hinweg nicht als die Beschuldigten ermittelt worden sind, beim Hinzukommen eines Ermittlers mit einem Durchsuchungsbeschluss dann ganz plötzlich alles erzählen, was da geschehen ist. Allerdings stellen sich derartige Personen unter Umständen nach Jahren auch ohne Einwirkung von Außen selbst der Polizei oder Staatsanwaltschaft, weil sie mit den Erinnerungen nicht mehr klarkommen.