Punitiver Populismus in der Strafrechtswissenschaft "Neue" Härte im Sexualstrafrecht?
Gastbeitrag von Prof. Dr. jur. Ralf Kölbel
29.03.2024
Seit Monaten tobt unter Strafrechtlern ein Streit: Kommen Sexualstraftäter vor Gericht zu glimpflich davon?
ZitatStrafen für sexuelle Übergriffe seien in Deutschland zu lasch. Blieben die Gerichte dabei, werde ihre gesellschaftliche Anerkennung fragil. Mit dieser Position trat die Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven (teils in Ko-Autorenschaft mit Frauke Rostalski) um den Jahreswechsel in diversen Medien hervor. Damit hatte sie schon wegen der gewählten Kanäle (Interviews in SAT-1 und Der Spiegel) aufmerken lassen: Mit welcher Absicht, fragte man sich, wird eine dezidiert an die Justiz gerichtete Botschaft ganz gezielt in den öffentlichen und nicht (zuerst) in den fachlichen Diskurs eingespeist?
Zitat Doch auch inhaltlich haben die Beiträge irritiert, sowohl die vorgebrachten Gründe für die härtere Gangart wie die Kennzeichnung der bisherigen sexualstrafrechtlichen Situation. Hoven hatte sich dafür auf eine zunächst noch unveröffentlichte Untersuchung zum justiziellen Strafzumessungsverhalten gestützt. Diese Arbeit wurde von ihr nunmehr (mit Philipp Ehlen und Thomas Weigend) in der Kriminalpoltischen Zeitschrift (Heft 1/2024) vorgestellt. Ausgeräumt sind die Einwände damit allerdings nicht.
ZitatVerkürzter Gebrauch von Strafzumessungsdaten
Auf sexuelle Übergriffe, so die Gruppe um Hoven, werde meist mit Freiheitsstrafen aus dem unteren Strafrahmenbereich reagiert. Dies bilde ein persistentes Sanktionsmuster, das bei anderen (strafrahmengleichen) Delikten ebenfalls wirksam sei. Denn für 2021 weise die Kriminalstatistik bei diversen Varianten von § 177 Strafgesetzbuch (StGB), der den sexuellen Übergriff, die sexuelle Nötigung und die Vergewaltigung regelt, ganz überwiegend Strafdauern aus dem jeweils unteren Strafrahmendrittel aus. Zudem dokumentiere sie für die Begehungsformen nach § 177 Abs. 5 StGB fast dieselbe Verteilung der Strafen wie bei Raub und § 29a Abs. 1 Nr. 2 Betäubungsmittelgesetz.
Zwar ist diese Auswertung korrekt. Indem sie sich allerdings auf ein einziges Jahr und zwei Vergleichsnormen beschränkt, ist sie zugleich aber auch äußerst verkürzt.
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