Fälle, die einen nicht kalt lassen Ingolstadt erstellt am 18.03.2019 um 20:19 Uhr aktualisiert am 18.03.2019 um 22:55 Uhr
Unaufgeklärte Verbrechen sorgen oft für Verunsicherung in der Bevölkerung. In Nürnberg gibt es jetzt ein eigenes Kommissariat zur Aufarbeitung solcher "Cold Cases". Auch in der Region Ingolstadt gibt es offene Kriminalfälle.
Kapitalverbrechen erschrecken und faszinieren zugleich und das umso mehr, wenn es sich um ungeklärte Fälle handelt. Bestes Beispiel: Der Sechsfachmord von Hinterkaifeck im Schrobenhausener Land, begangen in der Nacht zum 1. April 1922. Das Rätselraten um den gewaltsamen Tod der Bewohner auf dem längst abgerissenen Einödhof dauert seit fast 100 Jahren bis heute an. Doch auch weniger spektakuläre Gewalttaten beschäftigen die Menschen, solange die Täter frei herumlaufen. Da Mord in Deutschland nicht verjährt, kann jede Ermittlungsakte wieder hervorgeholt werden. Das Polizeipräsidium Mittelfranken in Nürnberg hat jetzt eine eigene Mordkommission eingerichtet, um sogenannte "Cold Cases" anzugehen.
Ungelöste Fälle aus der Region
Es ist die erste Einheit bayernweit, die sich gezielt und dauerhaft um ungeklärte Verbrechen kümmert. Arbeit gibt es genug, denn in der Frankenmetropole liegen 46 offene Mordfälle seit 1949 bei den Akten. Im Moment ist die Abteilung noch im Aufbau begriffen, wenn die Gruppe einmal steht, sollen sich vier Beamte um neue Ermittlungsansätze in scheinbar unlösbaren Fällen kümmern. Solche gibt es freilich auch in der Ingolstädter Region, in jüngerer Vergangenheit sind sechs offene Verfahren in den Akten geführt. Manche sind Vermisstenfälle, die sich später als vorübergehender Ausstieg oder Suizid herausstellen, andere aber eiskalte Morde oder Totschlagsdelikte, ohne dass die Täter je gefasst wurden.
"Es ist gar nicht einfach, solche alten Fälle herauszuholen", erklärt Hans-Peter Kammerer vom Polizeipräsidium Oberbayern-Nord in Ingolstadt. "Die elektronische Erfassung beginnt erst ab Mitte der 1990er-Jahre, und es gibt klare Vorgaben, wie lange wir Akten in einem Ermittlungsverfahren überhaupt aufheben dürfen. Das hat mit dem Datenschutz zu tun und orientiert sich oft an Verjährungsfristen. Bei einfacher gelagerten Vergehen ist nach spätestens zehn Jahren Schluss, sind Kinder oder Jugendliche tatverdächtig, endet die Frist schon nach zwei oder fünf Jahren." Anders dagegen bei Mord: "Das verjährt nie, ein ungeklärter Fall kann jederzeit neu aufgemacht werden." Das werde in Absprache mit der Staatsanwaltschaft Ingolstadt auch immer wieder mal getan.
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Einfach einen beliebigen Fall zu nehmen und ohne Konzept drauflos zu ermitteln, erscheint jedoch wenig sinnvoll. Eine Neuauflage ist nur dann angebracht, wenn die zur Tatzeit sichergestellten Beweismittel und Spuren tatsächlich etwas hergeben. Das, was der Erkennungsdienst im ersten Zugriff leistet, entscheidet maßgeblich, wie es mit einem Fall weitergeht, egal ob es um einen aktuellen Fall oder einen "Cold Case" geht.
"Spurensicherung ist das A und O. Man muss sich den Tatort so gründlich vornehmen wie es nur geht, solange er da ist" sagt Bernd Dominik, Leiter der Kriminalpolizei Ingolstadt. Versäumnisse würden sich im Nachhinein meist nicht mehr wettmachen lassen. "Wichtig ist, alles zu sichern, was zu finden ist, und wenn es noch so bedeutungslos erscheinen mag. Bei der Spurensicherung heißt es lieber mehr als weniger, denn wir wissen nicht, wie die Kriminaltechnik voranschreitet und was in Zukunft alles möglich sein wird. So können wir in späteren Jahren wieder auf dieses Material zurückgreifen", sagt der Kripochef. Als Beispiel nennt er die DNA-Analyse, mittlerweile ein Standardverfahren. "Davon wusste man früher nichts, aber heute lässt sich damit über in der Vergangenheit sichergestellte Spuren vieles aufklären." Am Ende, das haben erfahrene Spurensicherer stets im Kopf, kann eine winzige Hautschuppe für die Aufklärung entscheidend sein.
Da die Kriminaltechnik gerade in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich vorangekommen ist, lohnt es sich also durchaus, wie in Nürnberg nun praktiziert, lange Zeit zurückliegende ungeklärte Verbrechen noch einmal von Grund auf zu analysieren. "In der Regel setzt man ein komplett neues Team darauf an, weil es nach allen Seiten offen und unvoreingenommen ist", erläutert Hans-Peter Kammerer vom Polizeipräsidium in Ingolstadt. Oft würden Spuren, die zunächst nicht ausreichten, um jemanden zu überführen, heutzutage durchaus einen neuen Ermittlungsansatz ergeben.
Außerdem wird die DNA-Datenbank ständig mit Informationen gefüttert und mit neu eingehendem Material abgeglichen. Gut möglich also, dass jemand wegen eines kleinen Diebstahls oder in anderer Sache erfasst und als Täter eines sehr lange zurückliegenden Sexualdelikts, Mordes oder anderen schweren Verbrechens überführt wird. Was sind "Cold Cases"?
Ungeklärte Schwerverbrechen werden im Englischen „Cold Cases“ genannt – kalte Fälle, weil nicht mehr ermittelt wird. Meist geht es um mutmaßliche Tötungsdelikte, also um Mord oder Totschlag. Auch Vermisstenfälle, hinter denen möglicherweise ein gewaltsamer Tod steckt, gehören dazu. Da Mord in Deutschland nie verjährt, kann die Staatsanwaltschaft solche Fälle jederzeit wieder aufnehmen, wenn es neue Ermittlungsansätze gibt.