108-facher Mordversuch, dreifacher Mord, lebenslang: Über den Todeslenker von Graz, Alen R. (29), ist vieles bekannt - über seine Psyche, seine wirre Verantwortung. Aber es gibt noch mehr: Der „Krone“ liegen nun Kopien der Original-Polizeiberichte zur Bluttat vom 20. Juni 2015 vor, mit neuen Fotos und Aussagen der Ermittler.
Die mehr als hundert Seiten an „Anlass-Berichten“ der Exekutive bestätigen die Meinung, die viele „Krone“-Leser schon immer hatten: Nicht alles wurde zum Hintergrund der Wahnsinnstat des in Bosnien geborenen Alen R. (29) restlos geklärt.
Neue Fotos zeigen wesentlich mehr über den Täter und über den Tatablauf am 20. Juni 2015: So posierte Alen R., der beim Prozess als weißer Friedensengel gekleidet auftrat, stolz mit einem Nachbau eines M16-Sturmgewehrs. Für diese Waffe hatte er 1000 Schuss Munition gehortet.
Weitere Bilder in den Polizeiberichten dokumentieren, wie er mit einem Messer bewaffnet auf ein afghanisches Ehepaar vor dem Supermarkt an der Grazbachgasse einsticht - die von einem Autofahrer geschossenen Fotos zeigen eindeutig, dass absolut keine Bedrohung von diesem Ehepaar ausging, wie Alen R. dann später beim Prozess behaupten wird.
Verdacht: Täter schützte „etwaige Beitragstäter“
Der angeblich von Augenzeugen der Bluttat vernommene Allahu-Akbar-Ruf des Todeslenkers findet sich ebenfalls in den Polizeiprotokollen: Es war ein Posting einer Frau auf graz.at. Die IP-Adresse der Zeugin wurde ausgeforscht - weitere Maßnahmen sind nicht dokumentiert.
Der Mörder hatte fünf Mobiltelefone, gleich vier davon waren Wertkarten-Handys. Bei der Todesfahrt hatte er jedoch kein einziges bei sich. Im Polizeibericht steht dazu: „Es muss angenommen werden, dass der Beschuldigte diese absichtlich entledigt hat, um etwaige Kontaktpersonen und Beitragstäter zu schützen.“
Bei allen drei Stand-PCs von R. wurden die Festplatten professionell mit einer speziellen Software unrekonstruierbar gelöscht.
Bei der Hausdurchsuchung nach der Bluttat fand die Polizei auch 13.000 Euro in bar. Die Gattin erklärte dazu in ihrer Zeugenaussage: „Er hat Spenden von anderen Personen erhalten.“ Das wisse sie aus Gesprächen zwischen ihrem Ehemann und dessen Eltern. Wie der Mörder mit monatlich 868,97 Euro Notstandshilfe 13.000 Euro ansparen konnte, wird aber nicht geklärt.
Nur zwei Monate vor Tat: Laut Gutachten gesund
Auch mögliche radikal-religiöse Hintergründe zur Tat wurden nicht restlos geklärt: In ihrer Zeugenaussage erwähnte die Gattin von Alen R., dass er sie zum Tragen einer Burka zwingen wollte. Und es wurden auch nie die Kontakte des Grazer Todeslenkers mit Fikret B. (52) näher beleuchtet: Fikret B. wurde ein Jahr nach der Bluttat in Graz als Dschihadist und IS-Terrorprediger zu acht Jahren Haft verurteilt. Er schrieb etwa auf Facebook: „Ungläubige sind zu töten, wo immer sie sind.“ Am 3. Juli 2015 notierten die Ermittler jedoch noch auf Seite 10 des bisher vertraulichen Polizeiberichts: „Es konnte bislang kein Kontakt des Beschuldigten zur islamistischen Szene eruiert werden.“
Und noch ein interessantes Detail findet sich in den Polizeiberichten: Als Alen R. nach illegalen Schießübungen bei seinem Haus das Selbstlade-Gewehr von der Polizei abgenommen werden sollte, legte er mit der Berufung vom 10. April 2015 - nur zwei Monate vor der schrecklichen Todesfahrt in Graz - ein psychologisches Gutachten vor. Darin diagnostiziert ein steirischer Psychologe und Experte für waffenrechtliche Gutachten beim späteren Mörder „keine psychischen oder sonstigen Probleme“.
Daten & Fakten
Der Samstag im Juni 2015 wird in Graz lange Zeit in trauriger Erinnerung bleiben: Alen R. (29) tötete bei einer Wahnsinnsfahrt mit seinem Geländewagen drei Menschen, unter ihnen einen erst vier Jahre alten Buben. 36 Passanten und Schanigarten-Besucher wurden auf der zweieinhalb Kilometer langen Strecke durch die Innenstadt verletzt. In der Grazbachgasse stieg der Täter aus seinem auf dem Rasenstreifen angehaltenen Wagen und stach auf ein afghanisches Ehepaar ein - beide Opfer wurden schwer verletzt.
Alen R. wurde am 29. September 2016 zu lebenslanger Haft verurteilt, der Vater zweier Kinder wurde für zurechnungsfähig befunden.