TATORTE Mord in Beddelhausen: Tochter glaubt an Gerechtigkeit Christoph Vetter
09.11.2017 - 17:37 Uhr
Johanna Krämer glaubt an die Gerechtigkeit. Nur deshalb ist sie bereit zu einem Gespräch über den gewaltsamen Tod ihrer Mutter Maria Fusenig. Es wird ein emotionales Gespräch, mit Tränen, Schluchzen und hoffnungsvollen Seufzern. „Auch nach 41 Jahren glaube ich noch immer daran, dass herauskommt, wer meine Mutter umgebracht hat“, das erträumt sich Johanna Krämer. Und das betont die 75-Jährige während der 120-minütigen Unterhaltung immer wieder.
Zwei Todesfälle in der Familie Nicht nur der grausame, brutale Mord, der am 13. Juni 1976 am Getränkegroßhandel Krämer (heute Schneider) verübt worden ist, hinterlässt offene Fragen. Auch der Unfalltod des Vaters, der sich ebenfalls am 13. Juni im Jahr 1959 ereignet hat, scheint mysteriös. Mit einem Moped war der Vater frontal gegen einen Baum im Elsofftal geprallt. Er war auf der Stelle tot. An seiner linken, verletzten Hand fanden sich blaue Lacksplitter. Konnten die vielleicht von einem Motorrad stammen, das an dem Tag beim Schützenfest in Wemlighausen gestohlen worden war? Hatte dieses Krad den Vater gestreift und an den Baum gelenkt? Flüchtete der Fahrer?
Eine Antwort auf diese Frage gibt es bis heute nicht.
CHRONOLOGIE Der 13. Juni 1976 ist ein schöner Sonntag in Beddelhausen, sommerliche Temperaturen. Das Dorf ist gut gelaunt, hat am Samstagabend im Festzelt auf den Ederwiesen nahe der Rundbogenbrücke ein Freundschaftssingen des Männergesangvereins „Liederfreund“ gefeiert. Das Verbrechen geschieht, während im Dorf gefeiert wird „Das alles tut richtig weh“, gibt Johanna Krämer unumwunden zu. „Und das mit Mama werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Warum? Warum musste meine Mutter sterben. Sie hätte das letzte Stück Brot jedem gegeben, der in Not war. Deswegen brauchte sie doch keiner tot zu schlagen.“
Griff in die Kasse? Dass der Täter kein Fremder gewesen sein kann, vermutete auch die damals ermittelnde Mordkommission aus Hagen. „Frau Krämer“, so habe ihr damals ein Beamter gesagt, „es muss jemand gewesen sein, den Ihre Mutter kannte und vielleicht beim Griff in die Kasse erwischt hat. Die Oma durfte nichts mehr sagen können, sie musste zum Schweigen gebracht werden. Sonst wäre sie nicht so zugerichtet worden. Ein Fremder hätte das Geld genommen und wäre verschwunden.“
Die intensiven Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und der Mordkommission führen damals jedenfalls zu keinem Ergebnis. Zeugenaussagen, die die Polizei im Gasthof Krumpholz aufnimmt, ergeben keine heiße Spur. Aber es gab damals jemanden, der etwas gesehen haben muss. Es war ein junges Mädchen, das heute nicht mehr lebt. Hat dieses Mädchen ein Geheimnis mit ins Grab genommen? Wen hat die Jugendliche gedeckt und warum?
Fest steht, dass der Teenager am alten Bahnhofsgebäude Zigaretten aus einem Automaten gezogen hat und dann ins 250 Meter entfernte Festzelt an der Eder zurückgekehrt ist. Dort saßen die Beddelhäuser gut gelaunt beim Freundschaftssingen des MGV „Liederfreund“ beisammen. Und bei dem sonntäglichen Frühschoppen hat das Mädchen berichtet, was es vom Zigarettenautomaten aus durch einen Spalt der Schiebetür im Getränkelager gesehen hat: Ein Mann schlägt mit einer Flasche auf die „Bahnhöfer Oma“ ein. Die Jugendliche sei betrunken gewesen und ihre Aussage wertlos, heißt es später von der Polizei.
Doch einige Zeit darauf berichtet das Mädchen auf dem Schulweg davon, dass es unter Druck stehe und schweigen müsse. Heute kann allenfalls vermutet werden, dass die damals 17-Jährige den Mörder erkannt hat. Aber aus der Schülerin bekommt die Polizei nichts heraus. Später sagt ein Ermittler zu Johanna Krämer: „Sie weiß wohl etwas, aber wir können es ja nicht aus ihr rausprügeln.“ Ein vorübergehend Tatverdächtiger kann ein Alibi vorweisen; der Fall bleibt ungelöst.
Das schweigende Dorf Johanna Krämer hofft inständig darauf, dass jemand sein Schweigen bricht; denn in all den Jahren habe niemand mit ihr oder der Familie über das schreckliche Geschehen gesprochen. „Das Dorf war stumm“, sagt Ehemann Ernst Krämer traurig. Und genau das sei kaum auszuhalten gewesen. Über einen Wegzug von Beddelhausen, ihrem Lebensmittelpunkt, haben sie nachgedacht, sich aber zum Bleiben entschieden – auch wenn es heute immer noch sehr schwer fällt, wenige Meter neben dem Tatort leben zu müssen. Denn Johanna Krämer schluchzt: „Ich suche weiter meinen inneren Frieden...“.
Ungelöster Fall in Beddelhausen von 1976: Mord verjährt nie
Christoph Vetter 22.09.2018 - 04:00 Uhr
Beddelhausen/Hagen. Kriminalpolizei hofft nach der überregionalen Berichterstattung über den Mord an Maria Fusenig aus Beddelhausen im Jahr 1976 weiter auf Hinweise.
„Schade, sehr schade“ – so kommentiert der Erste Kriminalhauptkommissar Martin Erlmann das Ergebnis erneuter wissenschaftlicher Untersuchungen zum bislang ungeklärten Mord an Maria Fusenig – jener Getränkehändlerin, die am 13. Juni 1976 auf grausame Art am alten Bahnhof in Beddelhausen umgebracht worden war. Maria Fusenig wurde 66 Jahre alt.
In der überregional viel beachteten Serie „TATorte“ hatte die WESTFALENPOST vor fast einem Jahr bislang ungeklärte Kapitaldelikte aus Südwestfalen nachhaltig recherchiert und darüber berichtet. In Wittgenstein ging es dabei um den Mord an Maria Fusenig sowie die ebenfalls bis heute nicht aufgeklärte Tötung von Auguste Zeiler (Tante Juste) Anfang September 1987 in ihrem Wohnhaus an der Laubrother Straße in Dotzlar.
Diese Artikelserie hat die Mordkommission in Hagen zum Anlass genommen, die Ermittlungen noch einmal aufzunehmen. Martin Erlmann: „Mord verjährt nie. Immer wieder kümmern wir uns um ältere Fälle; denn unsere technischen Möglichkeiten, Asservate auf etwaige Spurenträger zu überprüfen, haben sich im Laufe der Jahre deutlich verbessert. Hier geben sich die Wissenschaftler vom Landeskriminalamt (LKA) in Düsseldorf alle erdenkliche Mühe.“
Kleidungsstücke auf DNA untersucht
Im Fall Maria Fusenig hat die zuständige Staatsanwaltschaft Siegen archivierte Asservate zum Kriminalkommissariat Hagen geschickt – das ist inzwischen rund sieben Monate her. Von Hagen gingen unter anderem Kleidungsstücke vom Tatort und vom Opfer zu den Untersuchungen ans LKA. Jetzt steht fest: Sämtliche untersuchte Asservate sind ohne Spurenträger. „Das Ergebnis ist leider anders als erhofft“, bedauert Erster Kriminalhauptkommissar Martin Erlmann. Ansätze für neue Ermittlungen haben sich bei den intensiven Untersuchungen nicht ergeben. Der Sachverhalt werde wohl nicht mehr genau aufgeklärt werden können.
Wie Erlmann erläutert, sei eine DNA für die Täter „in den vergangen Jahrzehnten ja völlig unbekannt gewesen“. Daher seien sie damals bei geplanten Kapitalverbrechen wohl nicht so vorsichtig vorgegangen, wie es heute potenzielle Täter tun.
Tochter des Opfers wartet
Aber der erfahrene Kriminalbeamte macht noch einmal deutlich: „Mord verjährt nicht. Wenn neue Hinweise kämen, würden wir natürlich sofort aktiv. Vielleicht kann es ja doch noch sein, dass jemand sein Gewissen erleichtern möchte – sei es der Mörder von Maria Fusenig oder ein bis heute unbekannter Mitwisser.“
Darauf hofft seit 31 Jahren auch die Tochter der Getöteten, Johanna Krämer aus Beddelhausen. Sie glaubt an die Gerechtigkeit, um endlich ihren inneren Frieden zu erlangen.
Hintergrund DNA-Spur allein reicht noch nicht
Das Ergebnis eines DNA-Tests, eines Fingerabdrucks oder einer sonstigen Spur kann alleine nicht über Schuld oder Nichtschuld eines Verdächtigen entscheiden.
Ein DNA-Profil beweist für sich alleine genommen nur, dass eine bestimmte Person an einem Ort oder auf einem Werkzeug Spuren hinterließ. Ob dies während der Tatzeit geschah, muss durch Kriminalisten unabhängig davon ermittelt werden.
Diese historische Aufnahme zeigt den Bahnhof in Beddelhausen mit ausfahrendem Schienenbus zum Ende der 1970er Jahre. Ist über diese Gleise der mutmaßliche Mörder von Maria Fusenig am 13. Juni 1976 zu Fuß geflüchtet? Foto: Verlag Ludger Kenning