Vor 50 Jahren erschüttert ein Mord das Dorf – Revisor verschleppt Unternehmerin Vor 50 Jahren: Entführer tötet sein Opfer in Dielingen
Stemwede (WB). Der Mörder hat eiskalt gehandelt: Er richtete die Berliner Speditionsbesitzerin Gerda Nitschke mit drei Genickschüssen hin.
Älteren Stemwedern läuft noch heute ein Schauer über den Rücken, wenn sie an dem Haus in der Fischerstatt vorbeifahren, wo vor fast genau 50 Jahren, am 18. Juli 1967, ein schreckliches Verbrechen geschah. Willy Lindemann, der frühere Ortsheimatpfleger von Dielingen, hat alte Zeitungsberichte aufbewahrt und weiß aus seiner Erinnerung über das Verbrechen zu berichten.
Der Revisor Gerhard L. und dessen Frau Irmgard hatten die 61-jährige Gerda Nitschke aus deren Grunewald-Villa entführt und in dem vom Ehepaar gepachteten Haus in der Fischerstatt festgehalten. Von den Söhnen der Unternehmerin verlangte L. ein Lösegeld in Höhe von 138.000 Mark. Sie sollten das Geld nach Dielingen bringen und es unter die Deelentür des Fachwerkhauses schieben.
Schäferhund griff die Polizisten an
Doch die Söhne schalteten die Polizei ein. Zwölf schwer bewaffnete Beamte umstellten das Haus und versuchten zwei Stunden lang über Handlautsprecher, den Täter zur Herausgabe des Opfers zu bewegen. Schließlich öffnete sich die Tür, und ein scharf gemachter Schäferhund griff die Polizisten an.
Hinter dem Hund, der mit einem Schuss niedergestreckt werden musste, kam Irmgard L. aus der Tür – und schließlich auch mit erhobenen Händen ihr Mann Gerhard. Doch es war zu spät: L. hatte die Millionärin Gerda Nitschke mit drei Genickschüssen aus einer Waffe mit abgesägtem Lauf erschossen.
»Die Polizei sollte Gerda Nitschke nicht lebend haben«, sagte damals der Bielefelder Oberstaatsanwalt Werner Kny. Gerhard L, den Kny als »Intelligenzler« bezeichnete, legte kaltschnäuzig ein Geständnis ab. Ursprünglich aus Hamburg stammend, war der damals 37-Jährige schon mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten – unter anderem wegen eines Überfalls auf einen Juwelier in Oldenburg.
Meldungen von Unterstellungen
Die Entführungsfall der Speditionsbesitzerin Gerda Nitschke konnte weitgehend aufgeklärt werden. L. war in der Firma als Revisor tätig gewesen und dort schnell aufgestiegen. Er reiste im Auftrag der Spedition durch ganz Deutschland und besuchte Zweigniederlassungen.
Dann jedoch trafen bei den Berliner Arbeitgebern Meldungen von Unterstellungen ein. Die Spedition erwirkte eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung gegen ihren Mitarbeiter, der zudem zu einer Geldstrafe von 1500 Mark (Ersatzweise 30 Tage Haft) verurteilt wurde. L. konnte das Geld nicht aufbringen und sollte am 15. Juli (zwei Tage vor dem Mord) in Minden einsitzen.
Die Strafe trat er nicht an. Stattdessen fuhr er einen Monat später mit seiner Frau nach Berlin. Mit Blumen in der Hand klingelte das Verbrecherpaar am 16. Juli an der Tür der Nitschke-Villa, um der 61-jährigen Unternehmerin angeblich zum Geburtstag zu gratulieren – im Gepäck merkwürdigerweise eine Kiste mit Akten, aber auch die Waffe.
DDR-Kontrollen ohne Auffälligkeiten passiert
Was dann geschah, schilderte L. der Polizei wie folgt: Er muss längere Zeit mit der Unternehmerin diskutiert haben und konnte sie angeblich dazu bewegen, freiwillig mit dem alten Bulli des Paares von Berlin nach Dielingen zu fahren. Vermutlich stimmt das mit der »Freiwilligkeit«, denn die Drei müssen die scharfen DDR-Kontrollen ohne Auffälligkeiten passiert haben. Sie trafen unbehelligt in der Dielinger Fischerstatt ein, wo es dann am Tag darauf zum Mord kam.
Auffällig erschien der Polizei später die unlogische Höhe der Lösegeldforderung von 138.000 Mark. Normalerweise verlangen Entführer glatte Summen. War es eine – aus Sicht von L. – reelle Forderung an die Berliner Firma? Auffällig auch, dass der Todesschütze den wertvollen Schmuck, den die Ermordete trug, nicht an sich genommen hatte.
Alte Dielinger erzählen sich, dass man dem Ehepaar L., das die Heuerlingsstätte Tebbe-Hinrichsmeyer gepachtet hatte, schon immer schon ein wenig skeptisch begegnet sei. Auffällig seien die Beiden bis zum Verbrechen allerdings nicht geworden. Gerhard L. war viel unterwegs – er fuhr abends weg und kam am Morgen erst zurück.
Mobiliar im Haus hatte »Apfelsinenkisten-Standard«
Die Dielinger erzählen, dass er seinen Garten mit auffällig teuren Geräten bearbeitete, während das Mobiliar im Haus eher »Apfelsinenkisten-Standard« gehabt hätte.
Für Befremdlichkeit sorgte nach der Mordtat auch die Tatsache, dass die Söhne von Gerda Nitschke ihre tote Mutter nicht – wie zunächst zugesagt – persönlich aus Dielingen abholten, sondern damit ein Bestattungsunternehmen beauftragten.
Leider ist nicht mehr überliefert, zu welchen Strafen das Ehepaar L. verurteilt wurde. Wie die Staatsanwaltschaft Bielefeld auf Anfrage dieser Zeitung berichtete, beträgt die Aufbewahrungspflicht für solche Justizakten 30 Jahre.