TRAMPERIN AUS NEUBRANDENBURG Täter-Abschiedsbrief: Mord nach 20 Jahren aufgeklärt
Von abendblatt.de
Nach dem Mord an einer 15 Jahre alten Tramperin fand sich zwei Jahrzehnte lang keine Spur. Ein Abschiedsbrief führte auf die Spur des Täters.
Eberswalde. Ein Abschiedsbrief führte auf die Spur des Mörders – mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Verbrechen: Der Sexualmord an der damals 15 Jahre alten Tramperin Andrea Steffen aus Neubrandenburg ist aufgeklärt. Ein 63 Jahre alter Schafscherer und Berufskraftfahrer aus dem Kreis Barnim in Brandenburg habe zugegeben, das Mädchen im Mai 1991 vergewaltigt und getötet zu haben, sagte der Chef der Neuruppiner Staatsanwaltschaft, Gerd Schnittcher, am Freitag in Eberswalde. Festnehmen konnten die Ermittler den Mann aber nicht. "Er hat sich Anfang Dezember 2011 vor einen Schnellzug geworfen", erklärte Schnittcher weiter.
In seinem an der Bahnstrecke Berlin-Bernau zurückgelassenen Auto wurde ein Abschiedsbrief gefunden, in dem er den Mord gestanden hat. Er hatte sein Opfer demnach in ein Waldstück verschleppt, dort missbraucht und dabei erwürgt. Die unbekleidete Leiche der 15-Jährigen hatten Spaziergänger wenige Tage nach der Tat nahe der Autobahn 11 bei Warnitz (Uckermark) entdeckt.
Andrea Steffen war am 14. Mai 1991 als vermisst gemeldet worden. Sie lebte in einem Kinderheim in Neubrandenburg und war nicht mehr zurückgekehrt. Lange hatten Kripobeamte und Staatsanwälte keine heiße Spur. Per Massenspeicheltest unternahmen Landeskriminalamt und Staatsanwaltschaft dann im März 2011 einen erneuten Versuch, den Sexualmord aufzuklären. Sie riefen mehr als 2200 Männer auf, DNA-Material abzugeben.
Der 63-Jährige sei bei dem Gentest jedoch durch das Raster gefallen – weil nur in der Uckermark gesucht wurde, der Täter aber im Barnim wohnte, hieß es. Dennoch habe diese Aktion ihre Wirkung nicht verfehlt. "Die Erinnerungen an die Tat waren in ihm eingeschlafen", sagte Schnittcher. Sie seien aber "auf einen Schlag" wieder aktiviert worden.
Als Ende November zudem eine Dokumentation zum Mord an Andrea Steffen im Fernsehen gezeigt wurde, "nahm er an, dass die Polizei jede Stunde vor seiner Tür steht", erklärte der Leitende Oberstaatsanwalt. "Er schreibt im Abschiedsbrief, dass er den Verfolgungsdruck nicht mehr ausgehalten und deshalb den Selbstmord gewählt hat", so der Chefermittler der Kripo Eberswalde, Axel Hetke. Nach derzeitigem Erkenntnisstand soll nur dieser eine Sexualmord auf das Konto des Familienvaters gehen.
"Was wir wissen, ist, dass er aber zur gleichen Zeit mehrere Verhältnisse zu verschiedenen Frauen unterhalten hat", sagte Hetke. Der Mann sei vollkommen unauffällig gewesen. "Mit den Angaben aus dem Abschiedsbrief, die wir überprüft haben, konnten wir den Fall jetzt abschließend aufklären", bestätigte der Chefermittler.
„Ich unterziehe mich selbst der größten Strafe“, schrieb Günther G. († 64) in seinem Abschiedsbrief. 20 Jahre nach dem brutalen Sexualmord an der Tramperin Andrea Steffen († 15) warf er sich vor einen Zug. Der Täter, der selbst drei leibliche Kinder hat, lebte unauffällig. Spurensuche im Leben des ehemaligen Schafscherers.
Die Namen sind von den Briefkästen gekratzt, die Klingelschilder abmontiert. Vor dem sanierungsbedürftigen Mehrfamilienhaus parkt ein dunkelblauer Kleinwagen. Im Fenster frische Blumen. Öffnen will niemand. Zu groß ist die Scham, das Entsetzen, zu unbegreiflich das Geschehene. Auch bei den Nachbarn in dem 150-Seelen-Ort Hobrechtsfelde (Panketal) an der nördlichen Berliner Stadtgrenze herrscht Fassungslosigkeit.
„Es ist furchtbar. Ich kenne Günther nur als hilfsbereiten, netten Mann“, sagt eine Anwohnerin: „Niemand hier hat ihm das zugetraut.“
Völlig unauffällig hatte er über 20 Jahre in dem Dorf gelebt. 1989 war der damals 41-Jährige aus seinem Heimatort Gerswalde (Uckermark) zu seiner zweiten Frau und deren drei Kindern gezogen, ein gemeinsamer Sohn kam dazu. Zwei weitere Kinder hat Günther G. aus der ersten Ehe. Sie können zum Tatzeitpunkt kaum älter gewesen sein als sein Opfer. Am 19. Mai 1991 hatte er die 15-jährige Tramperin vergewaltigt und getötet.
„Mich packte der Ekel“
Während der Tat habe ihn der Ekel gepackt, schrieb Günter G. in seinem Brief. „Ich musste mich abwenden.“ Den Tod des jungen Mädchens will er sich nicht erklären können, nennt aber den Tatort. „Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort“. In seiner Heimat hatte er auch noch nach seinem Umzug als Schafscherer gearbeitet.
Nach der Wende machte er den Beruf zum Hobby, trat bei Wettbewerben an. Im Berliner Zoo hatte Günter G. 1999 einen Rekord im Schnellscheren aufgestellt. „Damit verdient man aber nichts mehr“, sagte er danach im Interview, nun sei er Taxifahrer. Immer wieder stiegen junge Frauen in seinen Wagen. Andrea Steffen blieb sein einziges Opfer.
Am 2. Dezember warf sich Günter G. vor einen Zug. Seinen Tod und den Beerdigungstermin verschwiegen Frau und Kinder vor den Nachbarn.
Der Uckermark-Mord an Andrea Steffen: Wie ein Täter sich selbst bestrafte
Andrea Steffen war 15, als sie in der Uckermark missbraucht und getötet wurde. Jahrelang blieb der Mord unaufgeklärt. Dann nahm sich ein Fahnder der Sache an.