Der Fall Z. beschäftigte die ganze Schweiz Von Markus Dütschler. Aktualisiert um 11:18 9 Kommentare Der «Mord in Kehrsatz» jährt sich zum 30. Mal. Der Fall hielt einst das ganze Land in Atem. Was damals geschah.
Der Name des Verurteilten und dann Freigesprochenen ist nicht nur im Kanton Bern bis heute vielen geläufig, beschäftigte doch der «Mord in Kehrsatz» in den 1990er-Jahren das ganze Land.
Z. war damals nicht nur in den Zeitungen, sondern auch im Fernsehen und am Radio omnipräsent. Doch über zwei Jahrzehnte nach dem Freispruch gilt Z. nicht mehr als Person des öffentlichen Interesses. Die Redaktion hat sich deshalb entschieden, weder seinen Namen zu nennen noch Archivbilder zu zeigen, auf denen er erkennbar ist. (mdü)
Am 1. August 1985 streift ein Ehepaar in Kehrsatz durch das benachbarte Haus der Tochter. Die 24-Jährige wollte Besorgungen in Bern machen und gilt seither als vermisst. Das ist seltsam, ist sie doch ihrem 27-jährigen Ehemann Z. eine anlehnungsbedürftige Gattin, zudem sind die Bande zu den Eltern eng. Z. hat diesen an dem Tag eröffnet, dass er eine Freundin habe, was die Leute, die einer frommen Gemeinschaft angehören, sehr missbilligen.
Mit der Freundin ist Z. zur Gartenparty ihrer Familie gefahren. In Kehrsatz nutzt das Elternpaar die Abwesenheit von Z., um das Haus nach Spuren der Tochter zu durchsuchen – ohne Erfolg. Eher zufällig öffnet die Mutter im Keller aus «Gwunder» die Tiefkühltruhe und bekommt einen Schreikrampf: Die Tochter liegt tiefgefroren darin, nackt, einen Plastiksack um den Kopf, Hände und Füsse mit Nylonschnur gefesselt.
Die Eltern alarmieren um 19.12 Uhr die Polizei, verbunden mit dem Hinweis, wo der Schwiegersohn zu finden sei. Auf der Party holen ihn kurz darauf Beamte ab. Er weiss offenbar nicht, dass seine Frau gefunden worden ist, es wird ihm auch auf dem Polizeiposten nicht gesagt, wo er lange warten muss. In Kehrsatz ist inzwischen die Spurensicherung am Werk, während auf dem nahen Gurten das 1.-August-Feuerwerk im Gange ist.
Z. beteuert seine Unschuld
Als Z. mit dem Tötungsvorwurf konfrontiert wird, ist er fassungslos. Es sehe für ihn nicht gut aus, sagen ihm die Polizisten. Gegen ihn spricht die zuerst verheimlichte Freundin. Weiter hat er eine Lebensversicherung abgeschlossen, von der er profitiert. Verdächtig erscheint den Fahndern auch, dass er am Samstag die Waschküche geputzt hat – um Spuren zu vernichten, wie vermutet wird.
Er weist alle Vorwürfe zurück. Trotz Freundin habe er seine Frau gern gehabt, habe sie weder verlassen noch töten wollen. Hätte er Mordpläne gehabt, wäre es leichter gewesen, das Vorhaben während des für die nächste Woche geplanten Segeltörns auf dem Murtensee umzusetzen, statt den Leichnam im eigenen Haus zu verstecken.
Im Gerichtsmedizinischen Institut GMI in Bern wird die Kühltruhe aufgesägt, der an der Truhenwand angefrorenen Leichnam mit warmem Wasser angetaut, damit man ihn herausnehmen kann. Am Kopf finden sich drei Platzwunden.
Im Zug der Ermittlungen kommen weitere Affären zum Vorschein. Für die Behörde bestätigt sich das Bild, das auch die Schwiegermutter von Z. zeichnet: Der lügenhafte Z. ist der Frau, die er vor erst zwei Jahren geheiratet hat, überdrüssig geworden und hat sie zugunsten einer Freundin aus der besseren Gesellschaft beiseitegeräumt.
Als die Polizei das Tötungsdelikt nach einigen Tagen publik macht und Zeugen sucht, druckt der «Bund» die Meldung auf Seite 17 als Einspalter ab. Im «Blick» schafft sie es wegen des bizarren Fundorts auf Seite eins: «Hausfrau erschlagen und in Tiefkühltruhe versteckt».
Reiner Indizienprozess
Gut zwei Jahre später – Z. sitzt stets in Untersuchungshaft – findet in Bern der Prozess statt. Da Z. nicht geständig ist, befasst sich damit ein Geschwornengericht, also ein Gericht mit Berufsrichtern und Laien. Ein freier «Bund»-Mitarbeiter übernimmt die Berichterstattung. An manchen Tagen fehlen die Medien im Gerichtssaal.
Am 4. Dezember 1987 ergeht das Urteil: Zuchthaus, lebenslänglich. Vergeblich hat der Verteidiger gewarnt, Z. nur wegen der impliziten Frage «wär süsch?» zu verurteilen. An sich hätten auch die Eltern die Tötung begehen können, da sie einen Schlüssel hatten und somit tatortberechtigt waren. Ein Dritttäter sei zwar unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Z. stritt bis zuletzt ab, seine Frau getötet zu haben.
Einigen Geschwornen ist die Sache nicht geheuer, einer Frau ganz besonders. Sie hat das schale Gefühl, als werde dem Angeklagten alles zum Nachteil ausgelegt. Was ihn entlasten könnte, werde angezweifelt oder vom Tisch gewischt.
Völlig perplex sind Geschworne und Verteidiger, als der forsche Staatsanwalt die sibyllinisch angedeutete «Bombe» platzen lässt: ein Zusatzgutachten zum Mageninhalt. Anders als das erste GMI-Gutachten belegt es scheinbar, dass die Frau kurz vor dem Tod einen Toast Hawaii gegessen hat. Das Gutachten ist ein entscheidendes Glied in einer sonst nicht sehr soliden Indizienkette.
Vier Geschworne gelangen mit einer Beschwerde an die Aufsichtsinstanz: Die Bedenken der Laien seien von den Berufsjuristen niedergebügelt worden – ein nicht nur im Stande Bern einmaliger Vorgang. Bernhard Giger stellt 1991 das Unbehagen einer Geschwornen und ihre Zivilcourage ins Zentrum seines Spielfilms «Tage des Zweifels».
«Ein klarer Fall» – oder nicht?
Zu dem Zeitpunkt wird der Fall Z. breit diskutiert, seit die «Weltwoche» zwei Jahre nach dem Urteil die Serie «Ein klarer Fall» begonnen hat. Autor ist der gebürtige Berner Hanspeter Born, der eigentlich Auslandredaktor ist und zufällig aufs Thema gestossen ist.
Auf über drei Dutzend Seiten dröselt er in 17 Folgen den Fall in allen Facetten auf. Die Serie erscheint auch als Buch. Für viele Leser verdichtet sich die Gewissheit, dass Z. keinen fairen Prozess bekommen hat, dass die Indizien zum Teil wacklig sind und in der Untersuchung massive Fehlleistungen begangen worden sind.
Die Justiz tut sich schwer, mögliche Fehler einzugestehen. Z. blitzt mit seinen Eingaben mehrfach ab. Auf dem Thorberg hat er sich längst eingerichtet. Häftling Z. ist anständig und zuverlässig, macht sich nützlich, erhält Privilegien und wird bald «Schlossboy» geheissen.
Aareschwumm mit der Frau Direktor
Höhepunkt des lockeren Regimes ist ein Botengang, den Z. mit der Direktorsfrau unternimmt: Vor der Rückkehr auf den «Hoger» gönnen sich beide einen Aareschwumm. Eine «hirnrissige» Idee, wie der Frau dämmert, zumal Z. erkannt wird. Als das ruchbar wird, verliert der Direktor den Posten.
1993 kommt es endlich zum zweiten Prozess, von einem anderen Richter umsichtig geleitet. Diesmal sind 70 Medienschaffende akkreditiert. Der einzige parteilose Staatsanwalt, Heinz Walter Mathys, hat die undankbare Aufgabe, eine Strafe für Z. zu fordern, den eine breite Öffentlichkeit für unschuldig hält (siehe Interview). Zu Pfingsten 1993 verlässt Z. das Berner Amtshaus, freigesprochen aus Mangel an Beweisen, und erhält eine hohe Entschädigung wegen der Haftzeit.
Über den Fall reden wollen heute die wenigsten, die Schwester des Opfers verständlicherweise schon gar nicht. Der erste Verteidiger von Z. hat den Ex-Mandanten aus den Augen verloren.
Das Pendel der öffentlichen Meinung schlägt heute in die andere Richtung: Viele fragen sich im Stillen, ob Z. halt doch der Täter ist. Auch Bernhard Giger, der den ersten Prozess filmisch hinterfragt hat, gesteht heute, dass er unschlüssig sei. Doch Z. sei freigesprochen worden, sagt Giger, und das allein sei entscheidend. Die Frage «wär süsch?» bleibt unbeantwortet, und das dürfte so bleiben, denn selbst Mord verjährt nach 30 Jahren. (Der Bund)
«Es war bestimmt kein geplanter Mord» Der Oberländer Peter Beutler hat einen Krimi über den Kehrsatz-Mord verfasst, in dem er Fakten und Fiktion vermischt. Ihn fasziniert der Fall seit 30 Jahren.
Der Berner Oberländer Autor Peter Beutler (74) hat es schon wieder getan: Einen Krimi geschrieben, der auf einem echten Fall beruht. Er schrieb schon deren sieben, unter anderem rollte er den Interlakner «Bödeli-Mord» auf. Nun widmet er sich dem Kehrsatz-Mord von 1985. Die getötete Frau von B. Z.* wurde damals nackt und gefesselt in dessen Kühltruhe gefunden. Er wurde in zweiter Instanz freigesprochen – aus Mangel an Beweisen.
Der Fall
Der Mordfall Kehrsatz ist 31 Jahre her und bewegt die Öffentlichkeit noch immer. Denn bis heute ist ungeklärt, wer die 24-jährige C. Z. im Sommer 1985 erschlagen und in der Tiefkühltruhe ihres Hauses deponiert hat.
Am 1.August 1985 machten die Eltern von C. Z. in Kehrsatz die grausige Entdeckung. Die Leiche der Tochter lag zwischen Kühlbeuteln, der Kopf in einem Kehrichtsack. B. Z., der Ehemann des Opfers, wurde festgenommen und galt fortan als Hauptverdächtiger. Er habe sich scheiden wollen, hatte zum Tatzeitpunkt bereits eine Geliebte. In der ersten Instanz sprach ihn das Geschworenengericht schuldig. Doch der Weltwoche-Journalist Hanspeter Born rollte den Fall auf und erwirkte, dass es zu einem zweiten Prozess gegen B. Z. kam. Im Revisionsprozess wurden 76 Zeugen befragt. An Pfingsten 1993 wurde B. Z. aus Mangel an Beweisen von einem Geschworenengericht freigesprochen – unter anderem auch wegen des grossen medialen Drucks. Er erhielt eine Entschädigung von über 400'000 Franken. Wer sonst als Täter in Frage käme, war immer die grosse Frage in diesem Fall. Die Eltern gerieten auch kurz in Verdacht, was sich allerdings als haltlos erwies. Bis heute kam es zu keiner anderen Verurteilung in diesem Fall.
Später konnte festgestellt werden, dass C.Z. mit dem Radmutterschlüssel aus dem Auto von B. Z. erschlagen wurde. Dennoch wurde der Fall nicht nochmals aufgerollt. Der Fall ist nun verjährt. «Mich fasziniert an diesem Fall besonders das freikirchliche Umfeld, in dem sich B. Z. und das Opfer bewegten», sagt Beutler. Er habe den Fall von Beginn an verfolgt. Das Umfeld des möglichen Täters hat er in seinem Buch extra durchleuchtet. «B. Z. war Chef des Zivilschutzes. Er war im Dorf kein Unbekannter, quasi eine öffentliche Person. Der Zivilschutz hatte ja damals, zu Zeiten des kalten Krieges, noch einen grossen Stellenwert.»
Für das Buch mit Ex-Freundinnen gesprochen
Im Roman verwischen allerdings die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion. «Die Haupthandlung trifft aber zu», versichert er. Die Namen hat er allerdings verändert, um die Personen zu schützen. Denn Beutler hatte sich für sein Buch extra mit mehreren Ex-Freundinnen und Ex-Geliebten von B. Z. getroffen. Es seien fast ausnahmslos Frauen aus gutem Hause.
Auffällig war, dass diese Frauen B. Z. zuerst ein Tötungsdelikt nie zugetraut hätten. «Er war ja nie gewalttätig. Aber später, als die Beziehung zerbrach, waren sie überzeugt, dass er der Mörder ist.»
Weder von Schuld noch von Unschuld überzeugt
Peter Beutler ist sich nicht sicher, ob B. Z. den Mord nun begangen hat oder nicht. «Wenn doch, dann war es höchstens eine Tötung im Affekt. Hätte er es geplant, wäre er anders vorgegangen.» Einerseits hatte B.Z. selber eine Vermisstmeldung aufgegeben, bevor knapp eine Woche später die Leiche gefunden wurde. «Wenn er sie getötet hat, wieso wartete er so lange, um sie wegzuschaffen?»
Zum anderen habe B. Z. mit seiner Frau noch einen Segelturn geplant gehabt, wo er sie, die Nichtschwimmerin war, auch hätte ins Wasser schubsen können. Beutler: «Als geplanter Mord wäre das viel einfacher gewesen.»