MORD Nest mit Käuzchen In einem Landauer Mordprozeß gibt der Angeklagte mit »Hellseher-Visionen« dem Gericht Rätsel auf. * 10.06.1984, 13.00 Uhr • aus DER SPIEGEL 24/1984
Facebook E-Mail Link kopieren Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?
Wenn Maurermeister Hugo Kröper, 44, auf der Baustelle die dritte Flasche Silvaner intus hatte, kam ihm gelegentlich »das zweite Gesicht«. Mal sah er, wie er sagt, seine geschiedene Ehefrau Hildegard beim Zwiebelschälen am Küchenherd, mal einen Nachbarn, den Fernfahrer Alois Schütz, auf Tour am Steuer.
Als 1976 der Millionärssohn Richard Oetker entführt wurde, will Maurer Kröper aus Ottersheim bei Landau in seinem Tran »plötzlich Scheine von Lösegeld« vor seinen Augen gesehen haben. Als 1980 in Weingarten bei Karlsruhe die Schülerin Cornelia Becker verschwand, redete er tagelang von einem »Baggersee, wo man suchen muß«.
Kröper hält sich für den »besten Hellseher in der Südpfalz«.
Auch als am 20. Juli 1981 bei Landau zwei Mädchen, Andrea Lenz, 17, und Ramona Schardt, 14, ermordet in einem Gebüsch gefunden wurden, war Kröper sofort im Bilde. Anderntags meldete er sich mit Tips bei der Polizei.
Doch daß er diesmal so gut Bescheid wußte, hat nach Meinung der Staatsanwaltschaft nichts mit Übersinnlichem zu tun; sie hält den vermeintlichen Hellseher für den Mörder. Seit Anfang Mai müht sich die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Landau, den Kriminalfall aufzuhellen.
Jetzt hat sich das Gericht erst mal auf den Sommer vertagt. Der Maurermeister Kröper, der nach anfänglicher Ansicht der Staatsanwaltschaft die Tat »im Zustand der Schuldunfähigkeit« begangen haben soll, ist nun »zweier Verbrechen des Mordes« angeklagt.
Die Mädchen waren, wie Gerichtsmediziner ermittelten, mit Faustschlägen traktiert und gewürgt worden. Die Leiche Ramonas hatte Stichverletzungen an der Brust und im linken Gesäßbereich, die Leiche Andreas sechs Stiche auf der linken Rückenseite, Tatwerkzeug: ein Taschen- oder Küchenmesser. Mit einem Stein waren schließlich die Gesichter der Mädchen zerschlagen worden. Anhaltspunkte für ein Sexualverbrechen fanden die Gerichtsmediziner nicht.
»Hellseher« Kröper hatte, wie er sagt, »800 Stunden in diesen Fall investiert« und dabei gegenüber Beamten, Kollegen und Nachbarn verschlüsselte Hinweise die Menge gegeben - auf sich selbst, wie allerdings erst spät erkannt wurde.
Dem Nachbarn Schütz berichtete der Okkultfahnder bald nach der Tat, der Mörder habe »heute in der Raiffeisenbank direkt neben mir gestanden«. Andere Nachbarn erfuhren von dem Hellseher, der Täter habe »eine Latzhose getragen, so wie ich«.
»Das 'M' meiner Handlinien«, sagte Kröper dem Freund Klaus Kimmel, »heißt 'Mörder'.« Und Kripo-Chef Gerhard Kroll erfuhr von dem Wahr-Sager gar, der Täter habe »eine Narbe in Form eines C auf der linken Backe« - eine Personenbeschreibung, die auf Kröper paßt.
Kripo-Beamten, die im Dorf wohnen, und die Eltern der Toten nervte der Tipgeber mit drei Mädchen-Tangas, die er in einem Wäldchen gefunden haben wollte und nun im Keller seines Neubaus verwahrte - angeblich Kleidungsstücke der Toten.
Angst und bange wurde es der südpfälzischen Kartenlegerin Renate Kuntz in Herxheim, als sie eines Tages Besuch vom Kollegen Kröper und eine Vision vom Doppelmord zu hören bekam: Nach der Tat habe der Mörder »drei bis vier Stunden« das Auto geschrubbt, »weil doch alles voll Blut war«. Dabei, so die Kartenlegerin später vor Gericht, sei Kröper in die Ich-Form verfallen: »Ich bin dabei ganz schön ins Schwitzen geraten.« Den Fehler erkennend, sei er der Kollegin per Würgegriff an den Hals gegangen: »Wenn Sie was erzählen, gibt's Säure ins Gesicht.«
Gerhard Kroll, Chef der Ludwigshafener Mordkommission, ließ derweil bei der Tätersuche rund 9000 Spuren prüfen. Erst als Kröper als angeblich viel wissender Zeuge in einem weiteren Mordfall es mit der Kripo aus Pirmasens zu tun bekam, geriet er wirklich in Verdacht.
Im blauen Mercedes 220 D des Maurers fanden sich Blutspuren, die »zu 99,997 Prozent von Ramona Schardt stammen« (gerichtsmedizinisches Gutachten). Klebrige Masse in der Reserveradwanne im Kofferraum enthielt Blutreste, die der Blutgruppe der toten Andrea entsprachen.
Nun wurde Kröper, ein Jahr und vier Monate nach der Tat, verhaftet. In der Vollzugsanstalt Frankenthal soll er einem dort ebenfalls einsitzenden Therapeuten, wie dieser berichtet, den Doppelmord gestanden haben. Danach hatte Kröper die Mädchen auf dem Heimweg von einer Diskothek aufgelesen; von der Älteren will er früher gelegentlich »Liebesdienste gegen Geld« erkauft haben.
Vor Gericht bezichtigt Kröper den Therapeuten und andere Zeugen, die ihn belasten, des Meineids. Kröper baut auf die Aussagen der Eheleute Mathilde und Waldemar Zentner, die in der Tatnacht nach dem Hitchcock-Film »Der unsichtbare Dritte« um 23.50 Uhr mit dem Hund vors Haus gegangen waren.
Das Ehepaar bleibt dabei, daß die Mädchen nahe der Diskothek »Europa« in einen beigegrauen VW Passat mit Fließheck, nicht aber in einen blauen Mercedes gestiegen seien, wie ihn Kröper besaß. Daß die beiden Zeugen keine anderen Mädchen gemeint haben können, bezeugten andere Jugendliche, die in der Diskothek zusammen mit Ramona und Andrea aufgebrochen waren.
Darauf gestützt, präsentiert der Angeklagte wieder eine »Vision": Danach handelt es sich »um drei Täter« und »um einen Verkehrsunfall, der mit dem Mord zusammenhängt - ich sehe den Fahrer des hellen Wagens heute noch über die Straße kriechen«. Mal ist in Kröpers Storys auch von einem »Mann mit Taschenlampe« die Rede, den er bei einer nächtlichen Radfahrt am »mutmaßlichen Tatort« gesehen haben will, mal von »zwei Blonden« und »einem Nest mit Käuzchen« im Wald.
Was von Kröpers Erzählungen zu halten ist, ist die große Frage für das Gericht. Zwei Gutachten widersprechen einander. Während der Psychiater Rainer Luthe den Beschuldigten aufgrund einer »chronischen Manie« für psychisch schwer krank und damit für schuldunfähig erklärt, hält ihn Kollege Paul Bresser für zurechnungsfähig.
Der Vorsitzende Richter Eberhard Richter will nun vielleicht einen dritten Gutachter heranziehen.