25.07.2020 07:19 615 Wieder Wirbel um "Cold Cases": Ex-Verdächtiger wirft Justiz Rufmord vor!
Von Oliver Wunder
Hamburg - Erneut wirft die Arbeit der Soko "Cold Cases" der Polizei Hamburg Fragen auf. Ein ehemaliger Verdächtiger packt aus.
Michael G. ist sauer. Der Unternehmer wirft der Staatsanwaltschaft Hamburg Rufmord vor. Alles fing vor 26 Jahren an.
Im Jahr 1994 geschah in Hamburg ein Mord, der seitdem nicht aufgeklärt werden konnte. G. arbeitete damals in der Stadt und hatte zuvor beruflichen Kontakt zum Opfer.
Er wurde erst als Zeuge vernommen, dann sogar als Tatverdächtiger. "Ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort", fasst G. die Ereignisse gegenüber TAG24 zusammen und beteuert seine Unschuld: "Ich war's nicht."
Nach wenigen Wochen kam ein Schreiben der Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen gegen ihn seien eingestellt. Für G. war der Fall damit erledigt. Für die Polizei Hamburg dagegen nicht. Bis heute ist der Mordfall ungeklärt.
Die Soko "Cold Cases" nahm die zwischenzeitlich eingestellten Ermittlungen wieder auf und G. geriet im vergangenen Jahr erneut ins Visier der Beamten.
Unerwartet standen im Frühjahr 2019 Ermittler der Sonderkommission vor seiner Tür, da war G. längst in ein anderes Bundesland gezogen. Sie vernahmen ihn wegen des Mordes. Wieder stand G. unter Tatverdacht. Verdeckte Ermittlungen: Michael G. wird abgehört
Dieses Mal sollte es Monate dauern, bis er ausgeräumt wurde.
Erst Anfang Juli 2020 meldete sich die Staatsanwaltschaft Hamburg bei ihm per Post.
Das Ermittlungsverfahren sei eingestellt worden. Gegen G. bestehe kein hinreichender Tatverdacht. Die Ermittler sehen ihn also als unschuldig an. Doch der Staatsanwalt teilte G. in dem Schreiben auch mit, dass seine Telekommunikation über einen Zeitraum von fünf Wochen überwacht wurde. Die Ermittler haben ihn abgehört und alles aufgezeichnet. Mittlerweile sollten die Daten gelöscht worden sein.
Aber nicht nur G. bekam diese Information. Ein ähnlicher Brief ging auch an seinen Vermieter und einen Geschäftspartner, berichtet der Unternehmer.
TAG24 liegt ein Exemplar vor. Betreff: "Ermittlungsverfahren gegen Michael G. wegen Mordes".
Der Staatsanwalt klärte die Empfänger darin ebenfalls über das Abhören auf, und wies ausdrücklich daraufhin, "dass sich die Ermittlungen nicht gegen Sie gerichtet haben". Der Brief wurde am selben Datum verschickt wie der an G., doch von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens steht darin kein Wort.
Staatsanwaltschaft nimmt Stellung
G. erfuhr davon und reagiert verunsichert: "Ich weiß nicht, wer alles so einen Brief bekommen hat."
Wer wolle noch mit jemandem Geschäfte machen, der von der Justiz als mutmaßlicher Mörder bezeichnet wird? "Das ist Rufmord!"
TAG24 konfrontierte die Staatsanwaltschaft Hamburg mit dem Vorwurf. Sprecherin Nana Frombach erklärte, dass insgesamt drei Menschen per Post über die Überwachung informiert wurden.
Diese nachträgliche Information aller Betroffenen schreibe das Gesetz vor. Damit könnten sie nachträglich gerichtlichen Rechtsschutz erhalten.
Außerdem sei allen mitgeteilt worden, "dass sich der Tatvorwurf gegen G. nicht bestätigt hat und ein solcher Tatvorwurf sich nicht selten auch gegen Personen richtet, deren Unschuld sich im Laufe der Ermittlungen herausstellt". Dadurch sollten negative Folgen für Geschäftsbeziehungen von Michael G. vermieden werden.
Aus der TAG24 vorliegenden Kopie des Informationsbriefes geht das aber nicht hervor. Auch G. weiß nichts davon. Auf Nachfrage blieb die Staatsanwaltschaft aber bei ihrer Darstellung. Soko "Cold Cases" wegen Ermittlungsmethoden in der Kritik
Die wieder aufgerollten Mord-Ermittlungen habe die "Cold Cases"-Einheit im Gegensatz zu vorherigen Fällen aus ermittlungstaktischen Gründen bislang nicht öffentlich gemacht.
Daher wollte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft auch keine näheren Angaben dazu machen.
Erst vor etwa zwei Jahren gerieten die Methoden der erst 2016 gegründeten Soko in die Kritik. Im Prozess um den Mordversuch an einem Mädchen im Jahr 1980 warf Richterin Anne Meier-Göring der Hamburger Polizei schwere Ermittlungsfehler vor.
Die Soko "Cold Cases" habe Zeugen getäuscht und einen Hauptbelastungszeugen nur mit einer Belohnung zu Aussagen bewegt.
Steven Baack, der Chef der zuvor hochgelobten Einheit, wurde versetzt, der Leiter des Landeskriminalamtes, Frank-Martin Heise, verlor seinen Posten.
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