Vertiefte DNA-Analyse trotz Verbots - Wie Bayerns Polizei die Strafprozessordnung umgeht
Gastbeitrag von Prof. Dr. Fredrik Roggan Laut der StPO darf DNA-Material zum Beispiel nicht auf Haarfarbe oder Herkunft eines Täters untersucht werden. Was aber, wenn sich die Ermittler auf Landesrecht berufen? Fredrik Roggan sieht solche Umgehungsversuche kritisch.
Am 28. Mai 2013 war in München ein Mann mit mehreren Messerstichen getötet worden. Im Rahmen der Spurensicherung konnte die Polizei am Tatort u.a. auch eine DNA-Spur sichern, die sie dem noch nicht identifizierten Täter zuordnen konnte.
Nur: Bei unbekannten Personen nützt die Feststellung eines DNA-Identifizierungsmusters oder die Ermittlung ihrer Abstammung oder ihres Geschlechts zunächst einmal nichts, wenn sich in der DNA-Analysedatei kein Vergleichsmuster findet oder Vergleichsmaterial von einem Verdächtigen ad hoc beschafft werden kann. Es war deshalb im Ansatz keinesfalls ausgeschlossen, dass die polizeilichen Ermittler den möglichen Täterkreis dadurch verkleinern, dass sie aufgefundene DNA-Spuren darauf hin untersuchen, wie der Spurenleger ausgesehen haben könnte.
Von solch einem Fall handelt ein Bericht, der jüngst in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist. Das Problem dabei: Die Strafprozessordnung (StPO) verbietet solche Untersuchungen.
Wahrscheinlich braune Haare und aus Nordosteuropa
Die Münchener Ermittler bedienten sich der Hilfe der Humangenetiker des Instituts für Gerichtliche Medizin der Universität Innsbruck. Diese fanden durch eine sogenannte vertiefte DNA-Analyse u.a. heraus, dass der Täter mit einer Wahrscheinlichkeit von 68,9 Prozent braune Haare hatte. Die Untersuchung der Y-Chromosomen ergab im Rahmen einer biogeografischen Herkunftsanalyse weiterhin, dass die Vorfahren des Täters väterlicherseits aus dem Nordosten Europas gestammt haben dürften. Ein Phantombild des Täters konnten die österreichischen Forensiker freilich nicht erstellen. Dennoch, so der Bericht, seien die Erwartungen der polizeilichen Ermittler übertroffen worden.
Die Strafprozessordnung verbietet allerdings eine DNA-Analyse, die auf das Aussehen und die örtliche Herkunft eines Spurenlegers gerichtet ist, explizit. Nach § 81e Abs. 2 i.V.m. § 81e Abs. 1 S. 2 StPO sind molekulargenetische Untersuchungen nur zu richten auf die Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters, die Abstammung und das Geschlecht einer Person. "Andere Feststellungen dürfen nicht erfolgen; hierauf gerichtete Untersuchungen sind unzulässig", heißt es dort.
Die Rechtslage scheint angesichts eines solch unmissverständlichen Verbots, wie es die StPO statuiert, eindeutig zu sein. Das ist sie auch nach Ansicht der Bayerischen Polizeibeamten – allerdings "andersherum": Die Ermittler der Münchener Kripo vollzogen nämlich einen Rollenwechsel, der aus ihnen vorübergehend Angehörige der Schutzpolizei machte. Ihr präventiv-polizeilich geschulter Blick fiel sodann auf Art. 32 Abs. 1 S. 2 des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (BayPAG). Hiernach darf eine DNA-Spur auch auf Augen-, Haar- und Hautfarbe, das biologische Alter und der biogeographischen Herkunft des Spurenverursachers untersucht werden, wenn die Abwehr einer Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.
Hinzu kommt: Da der Täter dem Bericht nach ausgesprochen aggressiv und aus nichtigem Anlass sehr brutal gehandelt hat, bestehe die Gefahr, dass er dies auch wieder tun könnte. In diesem Sinne handelte es sich bei der vertieften DNA-Analyse nicht nur um eine Maßnahme der Täterermittlung, sondern auch eine solche der Störerermittlung. Sie lässt sich damit zweierlei polizeilichen Zielen zuordnen, nämlich der Prävention und der Repression. Sie ist doppelfunktional.
Darf sich die Polizei ihre Rechtsgrundlage aussuchen?
Aber ist die Polizei in solchen Situationen frei in der Wahl der Rechtsgrundlage? Immerhin konnte sie im Zusammenhang mit dieser einzelnen Ermittlungsmaßnahme ja die Verfahrensherrschaft der Staatsanwaltschaft suspendieren, der die Anordnung der vertieften DNA-Analyse unzweifelhaft versagt gewesen wäre. Außerdem laufen damit gewissermaßen die – an dieser Stelle nicht näher interessierenden – Gründe, weshalb der StPO-Gesetzgeber die Bestimmung der Augen-, Haar- und Hautfarbe, des biologischen Alters und der biogeographischen Herkunft eines Spurenverursachers explizit verbot, ins Leere. Eben diese Möglichkeit war zuvor aber von bayerischer Seite im Rahmen einer Bundesratsinitiative gefordert worden.
Es ließe sich also – spitz formuliert – sagen, dass das, was der Bundestag dem Land Bayern versagt, durch eine polizeiliche Anordnung trotzdem genutzt werden könnte. Umgeht Bayerns Polizei damit in unzulässiger Weise die StPO-Regelung?
Die Antwort wäre bei Beachtung der vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen Schwerpunkttheorie leicht gefallen: Es sprach im Münchener Fall kaum etwas für eine im Vordergrund stehende Gefahrenabwehr, wie sie die Leipziger Richter voraussetzen. Der Täter war vor fast sieben Jahren offenbar erst- und einmalig auffällig geworden. Jedenfalls ist nicht bekannt, dass von ihm weiteres DNA-Material an einem anderen Tatort aufgefunden wurde. Dass es sich bei ihm um einen Serien-Täter handelt, von dem die Begehung von vergleichbaren Taten in einem absehbaren Zeitraum zu erwarten war, schien also eher fern liegend.
In ebenso weite Ferne rückte damit ein präventiver Schwerpunkt der Untersuchung des DNA-Materials auf äußerliche Merkmale oder seine Herkunft hin. Stattdessen konzentrierte sich die Ermittlungsarbeit im Rahmen des laufenden Strafverfahrens offenbar darauf, des Täters habhaft zu werden. Der in diesem Sinne feststellbare, repressive Maßnahmeschwerpunkt ging auch nicht dadurch verloren, dass durch die polizeilichen Ermittlungen möglicherweise zugleich auch künftigen Gewalttaten des Unbekannten vorgebeugt werden konnte. Nach der Theorie des BVerwG hätte sich die Polizei also wohl kaum auf Landesrecht berufen können. Wie die BGH-Rechtsprechung der Polizei ein Wahlrecht gewährt
Gleichwohl ist den Münchner Ermittlern kein Rechtsungehorsam vorzuhalten. Mit guten Gründen konnten sie sich nämlich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshof (BGH) berufen, der diese Weichenstellung änzlich anders behandelt.
Im Kontext der sogenannten legendierten Kontrollen begründete das Gericht im Jahr 2017 ein weitestreichendes Wahlrecht der Polizei bei der Rechtsgrundlage - und dies auch in laufenden Strafverfahren: Die Auswahl der Rechtsgrundlage sei erst dann als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn die Gefahrenabwehrrecht zur Legitimierung einer in Wahrheit bezweckten Strafverfolgungsmaßnahme nur vorgeschoben wird, weil die Polizei in Wirklichkeit überhaupt keine Gefahr abwehren will. Überhaupt nur dann stellt sich nach Auffassung der Karlsruher Richter, dass die gewonnenen Erkenntnisse strafverfahrensmäßig unverwertbar werden.
Entsprechend dürften die präventiv-polizeilichen Informationen in dem Fall aus Bayern auch längst Bestandteil der Strafakte gegen "Unbekannt" geworden sein.
Das Wahlrecht der Rechtsgrundlage wird auch in anderen Fällen zum Problem
So wenig naheliegend ein präventiver Schwerpunkt der DNA-Analyse auch war – den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs zu erheben, wäre zu weit reichend. So nämlich würde man den Polizeibeamten unterstellen, dass es ihnen überhaupt nicht auf die Verhinderung weiterer Gewalttaten durch den Täter angekommen wäre.
Von einem taktisch durchaus geschickten Spurwechsel wird man dagegen sehr wohl sprechen dürfen. Das Problem liegt letztlich in der Rechtsprechung des BGH, die zu einer Rosinenpickerei in Fällen wie diesem aus Bayern geradezu einlädt.
Es liegt in der Verantwortung der Karlsruher Richter, ihre Rechtsauffassung zeitnah und kritisch zu überprüfen. Denn die nächsten Herausforderungen warten schon: Wie wird sich die bayerische Polizei zum Beispiel entscheiden, wenn sie im Zuge von Ermittlungen gegen einen Drogenring eine Quellen-TKÜ (§ 100a Abs. 1 S. 2 StPO) durchführen möchte und hierbei auf den physischen Zugriff auf ein Handy o. ä. angewiesen ist, um das entsprechende Gerät zu infiltrieren? Ein heimliches Betreten und Durchsuchen einer Wohnung jedenfalls ermöglicht nur Art. 44 Abs. 1 S. 5 BayPAG, nicht aber die StPO.
Man sieht: Ein Polizeirecht als ergänzendes Strafverfahrensrecht darf es nicht geben.
Der Autor Prof. Dr. Fredrik Roggan lehrt Strafrecht an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg und ist Autor diverser Publikationen zumVerfassungs-, Strafprozess- und Polizeirecht.
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