Erfurter Gericht: Vergewaltigung auch ohne Erektion? 21.01.2015 - 07:00 Uhr
Das Landgericht Erfurt will im neu aufgerollten Fall von möglicher Vergewaltigung klären, inwieweit der "vollständige Verlust der Erektionsfähigkeit" des Angeklagten tatsächlich irreversibel ist.
Weimarer Land. Der Fall einer Vergewaltigung, der seit Montag vorm Erfurter Landgericht neu aufgerollt wird, wird uns aus zwei Perspektiven vor Augen geführt: aus der einer Hauswirtschafterin, die angibt, von ihrem ehemaligen Auftraggeber mehrfach zu sexuellen Handlungen und zum Geschlechtsverkehr gegen ihren ausdrücklichen Willen gezwungen worden zu sein. Und aus der des Auftraggebers, der jeden Vorwurf von sich weist.
2012 ist in dem Fall ein Urteil am Landgericht ergangen: Damals waren die Richter von der Schuld des Angeklagten überzeugt und hatten den Mann zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt.
Sowohl der Mann als auch die Staatsanwaltschaft gingen in Revision. Der Bundesgerichtshof hatte das Urteil ein Jahr später aufgehoben, weil die "Beweiswürdigung einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand" halte. Vor allem einen Widerspruch sah die oberste Instanz als nicht geklärt an: Wie kann ein Mann Geschlechtsverkehr ausüben, der nach einer urologischen OP keine Erektion mehr bekommen kann?
Sieben Jahre später ist es nun an der Strafkammer von Richter Markus von Hagen, die vier Vorfälle, die sich 2007 und 2008 im Weimarer Land ereignet haben sollen, erneut zu bewerten.
Ulrike A.* hatte zweimal in der Woche im Haus von Lutz B.* und seiner Frau geputzt und gebügelt. Für die kleine Hauswirtschaftsfirma von A. war der Auftrag bei B. ein wichtiger Posten. Die Familien kannten einander schon länger; zumindest die Männer waren Mitglieder im selben Verein.
Sie hätte den Auftrag nach den ersten Zudringlichkeiten kündigen können. Ihre Familie, sagt Ulrike A., sei aber auf die Einnahmen aus den Putzdiensten im Hause B. angewiesen. Sonst hätten die Vorfälle sie früher veranlasst, die Brocken hinzuschmeißen.
Sie habe nach den ersten Handgreiflichkeiten versucht, ihre Einsätze bei B. auf Tage zu legen, an denen Frau B. im Haus gewesen sei.
Ulrike A. zieht zu der Zeit nur ihren Therapeuten und eine Freundin ins Vertrauen. Aber auch ihr damals 18-jähriger Sohn bemerkt Wesensveränderungen an seiner Mutter. Der Junge bohrt nach und ist in der Familie der einzige, dem sie berichtet, was vorgefallen sein soll. Er habe seiner Mutter helfen wollen, erinnert sich der Sohn, "aber sie bat mich, nichts zu unternehmen, sie wolle die Sache selbst regeln". Ihrem Mann gegenüber habe sie sich nicht offenbart, sagt Ulrike A., aus Sorge, er könne Selbstjustiz üben.
Schließlich war es der Sohn, der zu Familie B. ging und Lutz B.s Ehefrau in Kenntnis darüber setzte, was seiner Mutter geschehen sei. Und nun kamen die Ermittlungsbehörden ins Spiel. Ulrike A. (52) trägt jetzt zum zweiten Mal vor einem Gericht in allen Einzelheiten vor, was 2008 vorgefallen sein soll.
Das Gericht wird unter anderem zu klären haben, ob der "vollständige Verlust der Erektionsfähigkeit" des Angeklagten tatsächlich irreversibel ist.
Lutz B. (68), der die Revision angestrengt hat, schweigt zu den Vorwürfen. Seine Frau jedoch will sich äußern; sie soll heute in den Zeugenstand treten. Frau B. glaubt an die Unschuld ihres Mannes: "Wenn ich Zweifel daran hätte, dann hätte ich ihn schon verlassen". *Namen geändert
Erfurter Gericht: Auch ohne Erektion ein Vergewaltiger? 27.01.2015 - 13:30 Uhr
Im wiederaufgerollten Prozess gegen einen Unternehmer aus dem Weimarer Land, dem die Vergewaltigung seiner Hauswirtschafterin vorgeworfen wird, hält ein Gutachter die Klägerin für "uneingeschränkt glaubhaft". Die Verteidigung plädiert dagegen auf Freispruch des Angeklagten.
Weimarer Land. Acht von zehn Strafverfahren, in denen es um sexuelle Gewaltverbrechen geht, müssen vor Gericht nach Indizienlage beurteilt werden. Fast immer fehlen direkte Zeugen der Taten. In den allermeisten Fällen ereignen sie sich an Orten, die von den Ermittlern als sozialer Nahbereich bezeichnet werden, also im Familien- oder Bekanntenkreis. So verhält es sich auch im wieder aufgerollten Prozess gegen einen Unternehmer aus dem Weimarer Land, dem die Vergewaltigung seiner Hauswirtschafterin vorgeworfen wird. Man lebt in derselben Gemeinde, ist Mitglied im selben Verein.
Staatsanwältin Petra Jarisch wies auf den Umstand fehlender Augenzeugen ausdrücklich hin, ehe sie am Montag vor dem Erfurter Landgericht ihr Plädoyer hielt. Dennoch gebe es in diesem Fall "deutlich mehr Umstände, die für eine Vergewaltigung sprechen als in vergleichbaren Verfahren".
Sechsmal zwischen Ende 2007 und September 2008 soll Lutz B.* (68) die in seinem Haus beschäftigte Ulrike A.* (52) sexuell genötigt beziehungsweise vergewaltigt haben. 2012 war eine andere Kammer des Landgerichts Erfurt überzeugt von B.s Schuld und hatte ihn zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.
Weil B. seit 2006 wegen einer urologischen Erkrankung zu keiner Erektion mehr fähig ist und die erste Instanz diesen "Widerspruch" nicht aufgelöst habe, hatte der Bundesgerichtshof das Urteil aufgehoben.
Auf eben diese Kalamität hebt auch die Verteidigung ab: Weil Lutz B. in der in Rede stehenden Körperregion lahm gelegt ist, sei er zu einer Verwaltigung auch nicht in der Lage gewesen. Jedenfalls nicht aus eigener Manneskraft. B.s Verteidiger hofft auf Freispruch: "Im Zweifel für den Angeklagten".
Darauf, dass bei einer Vergewaltigung auch andere Körperteile oder auch Gegenstände zum Einsatz kommen können, ging er nicht ein. Wohl aber die Staatsanwaltschaft: Strafrechtlich spiele es keine Rolle, womit das Opfer einer Vergewaltigung penetriert werde.
Ulrike A. habe kein Motiv gehabt, ihren Auftraggeber einer Tat zu beschuldigen, die er nicht begangen habe, sagt die Staatsanwältin. Über Monate habe sie es nicht gewagt, die Zudringlichkeiten in ihrer eigenen Familie zur Sprache zu bringen. Vielmehr habe sie vermeiden wollen, dass es zu "Gerede in dem kleinen Nest kommt", und darauf gehofft, dass Lutz B. aufgrund seiner Einschränkungen eine bestimmte Grenze nicht übertreten würde.
Ulrike A.s Erinnerungen an die Vorfälle seien "ungeordnet abrufbar und stimmen trotz des großen zeitlichen Abstandes in hohem Maße mit den Angaben überein, die sie bei Polizei, Staatsanwaltschaft und dem Sachverständigen" gemacht habe, hob die Staatsanwältin hervor. Professor Burkhard Schade, den das Gericht als forensisch-psychologischen Gutachter zu Rate gezogen hatte, halte A.s Angaben für "uneingeschränkt glaubhaft. Dem schließe ich mich an". Petra Jarisch beantragt für Lutz B. fünf Jahre Freiheitsentzug.
Vergewaltigung ohne Erektion: Drei Jahre Haft für Unternehmer aus Weimarer Land 17.02.2015 - 13:00 Uhr
Die Revision blieb für einen Unternehmer aus dem Weimarer Land erfolglos: Er wurde erneut der Vergewaltigung an seiner ehemaligen Hauswirtschafterin schuldig gesprochen.
Weimarer Land. Eigentlich wollte Ulrike A.* die Übergriffe ihres Auftraggebers für sich behalten. Wie 91 Prozent jener Frauen, die Opfer sexueller Gewalt wurden, waren der selbstständigen Hauswirtschafterin die Grabschereien zu peinlich, als dass sie sie bei der Polizei angezeigt hätte. Ulrike A. hatte sich vorgenommen zu vergessen, was ihr angetan wurde. Ans Licht kam ihre Bedrängnis erst, als ihr Sohn den Auftraggeber zur Rede stellen wollte und der wiederum eine Anzeige wegen Verleumdung erstattet hatte.
Lutz B.*, Unternehmer aus dem Weimarer Land, muss für gut drei Jahre ins Gefängnis. Das Landgericht Erfurt sieht den 68-Jährigen schuldig, seine Haushaltshilfe 2007 und 2008 in einem schweren und drei minderschweren Fällen vergewaltigt und sexuell genötigt zu haben. Der Revisionsantrag, von dem B. sich erhofft hatte, freigesprochen zu werden, hatte keinen Erfolg.
Vor Gericht hatte B. geschwiegen. Nur als Richter Markus von Hagen ihm vor der Urteilsverkündung Gelegenheit für ein letztes Wort gab, erklärte B. noch einmal, unschuldig zu sein. Seine Verteidigung war auf dem Umstand aufgebaut, dass B. aufgrund einer urologischen Erkrankung zu keiner Erektion mehr fähig sei.
Der Fall war also im Januar zum zweiten Mal aufgerollt worden, nachdem Lutz B. im Jahr 2012 erstinstanzlich zu zwei Jahren Haft verurteilt worden war. Die 7. Strafkammer des Landgerichts hatte die Freiheitsstrafe damals zur Bewährung ausgesetzt.
Mit seiner Strafe von vier Jahren, von denen neun Monate bereits als vollstreckt betrachtet werden können, ging die nunmehr mit dem Fall befasst erste Strafkammer weit strenger mit Lutz B. ins Gericht. Möglich wurde dies, weil auch die Staatsanwaltschaft in Revision gegangen war. Der Strafrahmen war dadurch nicht auf den in der ersten Verhandlung ausgesprochenen Umfang gedeckelt.
Ob zwei Menschen einander freiwillig näher kommen oder einer von beiden dabei Zwang anwendet, lässt sich meist nicht eindeutig beweisen. In einer bundesweiten Studie zu den Schwächen der Strafverfolgung bei Sexualdelikten hatte das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen diese Not im vergangenen Jahr bestätigt. Täter wissen das, Opfer wissen das auch. Und alle beide Gruppen kennen die öffentlichkeitswirksamen Fälle, in denen Männer falschen Beschuldigungen ausgesetzt sind - obwohl dies einer europaweiten Studie von 2009 zufolge nur auf ein bis neun Prozent der zur Anzeige gebrachten Sexualdelikte zutrifft. Genau daraus ergibt sich die schwierige Gemengelage, in der solche Fälle vor Gericht landen.
Auch im vorliegenden Fall konnte sich Richter von Hagen in seiner Entscheidung "leider Gottes" nicht auf objektive Beweise stützen. Vielmehr musste er "viele objektivierbare Umstände" zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Dazu gehört auch der innere Rückzug, den A. nach den ersten Handgreiflichkeiten angetreten hatte, und der plötzliche Wandel in ihren Gewohnheiten, die ihrem Umfeld nicht verborgen bleiben konnten. Ihrem Sohn, ihrer Freundin und ihrer Therapeutin gegenüber habe A. die Zudringlichkeiten angedeutet, aber zum Ausdruck gebracht, das Ganze ohne Hilfe bewältigen zu wollen.
Das Gericht konnte bei Ulrike A. kein Motiv für eine bewusste Falschaussage erkennen. Der forensisch-psychologische Gutachter Professor Burkhard Schade habe ihr "in höchstem Maße uneingeschränkte Glaubhaftigkeit" attestiert. Ihre "konstante Tatschilderung", in der sie ein "komplexes Geschehen detailreich" benennen und in ihren Aussagen immer wieder zeitliche Sprünge vollführen konnte, und der Umstand, das Ulrike A. ihr Leid nicht selbst angezeigt hatte, sprächen gegen die These einer falschen Beschuldigung.
Die Erektionsfähigkeit B.s spielte in der Urteilsbegründung kaum eine Rolle. Ob die sexuelle Selbstbestimmung eines Opfers durch einen Penis oder einen Gegenstand verletzt wird, ist einerlei. *Namen geändert
Zur Sache:
Die Menschenrechtsorganisation "Terre des Femmes" hat Fakten zu "Sexueller Gewalt in Deutschland" zusammen getragen, die durch das Bundesfamilienministerium veröffentlicht wurden. Ebenso fließen Ergebnisse einer Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen in die Auswahl ein.
Alle Zahlen stammen aus den zurückliegenden zehn Jahren. 13 Prozent der Frauen in Deutschland haben seit dem 16. Lebensjahr strafrechtlich relevante Formen sexueller Gewalt erlebt. Jede vierte Frau erlebt sexuelle Gewalt durch aktuelle oder frühere Partner. Sexuelle Gewalt in der Ehe stellt erst seit 1998 einen Straftatbestand dar. Nur acht Prozent jener Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, schalten die Polizei ein. So werden in Deutschland jährlich etwa 8000 Vergewaltigungen angezeigt. Der Anteil der Fälle, in denen eine Vergewaltigungsanzeige zur Verurteilung eines Täter führt, liegt in Deutschland, je nach Bundesland, bei 4,1 bis 24,4 Prozent. Der Anteil falscher Beschuldigungen liegt in Deutschland bei etwa drei Prozent.
Sabine Brandt kommentiert den Fall:
Es kommt vor, dass Frauen, aus welchem Grund auch immer, Männer zu Unrecht bezichtigen, sexuelle Gewalt ausgeübt zu haben. Solche Fälle hat zwangsläufig vor Augen, wer ein Vergewaltigungsverfahren vor Gericht als Berichterstatter begleitet. Denn nichts ist so schwer wieder herzustellen, wie eine zerstörte Reputation. Sie verschleiern, dass mehr als neunzig Prozent aller Frauen mit sexueller Gewalterfahrung gar nicht erst zur Polizei gehen. Und von den wenigen Fällen, die verhandelt werden, erweisen sich in Deutschland drei Prozent als falsche Beschuldigungen.