Ihre Tochter ist vor 13 Jahren mit ihrem Kind untergetaucht
Vor 13 Jahren verschwand eine Heidelbergerin mit ihrem Sohn - Sie wird bis heute per Haftbefehl gesucht - Großmutter spricht bei "Stern TV"
Von Jonas Labrenz
Heidelberg. Maria fährt gemeinsam mit ihrer Mutter von Heidelberg nach München, passt ihren Sohn Felix (beide Namen geändert) nach der Schule ab und verschwindet mit dem Sechsjährigen. Seinen Vater, bei dem er zu diesem Zeitpunkt lebt, wird er nicht mehr wiedersehen. Seit diesem Tag im September 2006 fehlt von Mutter und Sohn jede Spur - sie leben bis heute im Ausland, verstecken sich vor den Behörden.
Die Entführung schlägt damals auch in Heidelberg hohe Wellen. Mehrmals schreibt die RNZ über den Fall. Doch nicht die Flucht der Mutter mit ihrem Sohn sorgt dafür, sondern eine Entscheidung des Amtsgerichts, die diese Eskalation erst in Gang setzte: Die Richterin hatte dem Vater im Mai 2006 das Aufenthaltsbestimmungsrecht zugesprochen, ohne Mutter und Sohn angehört zu haben.
Sein ganzes Leben hatte der Junge bis dahin mit seiner Mutter verbracht, seinen Vater fast nie gesehen. Die Großmutter, Brigitta G., mit der die RNZ nun erneut sprach, ist auch heute noch wütend: "Ich habe mein Vertrauen in die Justiz verloren." Nächste Woche ist der Fall Thema bei "Stern TV" - und Brigitta G. stellt sich dort live den Fragen des Moderators. Auch ihr Enkel wird per Videobotschaft zu Wort kommen.
Felix ist mittlerweile 19 Jahre alt, volljährig. Wo er sich aufhält, ist ihm überlassen. Gesucht wird er nicht mehr - im Gegensatz zu seiner Mutter, auf deren Namen noch immer ein internationaler Haftbefehl ausgestellt ist. Sporadisch hat der junge Mann Kontakt zu seiner Großmutter. "Es geht ihm gut", sagt sie. Er besuche die Schule: "Er macht gerade seinen Abschluss, das was bei uns Abitur wäre. Er hat überall Einsen. Ich bin sehr stolz auf ihn."
Seinen Vater vermisst Felix nicht. Schon als Kind habe er nicht bei ihm leben wollen, doch das Gericht habe behauptet: "Da spricht die Mutter aus ihm", erklärt Brigitta G. Es sei jedoch ganz anders gewesen: Seine Mutter habe ihn gerettet, vor einem Mann, der nicht einmal sein leiblicher Vater, sondern nur der rechtliche ist. Denn Alexander S. war mit Maria verheiratet, als das Kind zur Welt kam - und da weder der leibliche Vater noch er selbst sich um eine offizielle Klärung bemühten, ist Felix rein rechtlich sein Kind.
Brigitta G. ist es auch deshalb schleierhaft, warum der Mann den Sorgerechtsstreit damals so eskalieren ließ. Das Paar habe schon kurz nach der Hochzeit 1994 - sechs Jahre vor Felix’ Geburt - nicht mehr in einer gemeinsamen Wohnung gelebt. Später habe er sich kaum um den Jungen gekümmert: "Meine Tochter war immer alleinerziehend." Der Pilot habe nie Geburtstagsgeschenke gekauft, "und nie hat er ihm mal etwas von seinen Reisen mitgebracht".
2004 zieht Maria mit dem vierjährigen Felix von München - wo auch Alexander S. lebt - nach Heidelberg. Zurück zu ihrer Mutter. Damals sollen die Probleme mit Alexander S. begonnen haben: "Meine Tochter hat ihm ein Gästezimmer eingerichtet und ihm einen Schlüssel gegeben." Doch der Vater habe die Besuche meist kurzfristig abgesagt. Dann soll es zu einer Szene gekommen sein, die Maria dazu bringt, dem Vater den Schlüssel abzunehmen: "Er wollte, dass mein Enkel sich nackt auszieht und auf ihn legt", erzählt Brigitta G. Am Ende finden die Treffen nur noch unter Aufsicht beim Kinderschutzbund statt. Es wird eine Verfahrenspflegerin bestellt, die in dem Streit die Interessen des Kindes vertreten soll. Sie entscheidet: Die Mutter, Maria, verhält sich unkooperativ.
Plötzlich geht alles ganz schnell: Der Vater bekommt am 3. Mai 2006 das Aufenthaltsbestimmungsrecht zugesprochen. Mutter und Kind wird das gar nicht mitgeteilt. Am selben Tag hat Felix einen Termin im Kinderschutzbund mit seinem Vater. Als seine Mutter ihn abholen will, ist ihr Sohn nicht mehr da: "Felix konnte sich nicht einmal verabschieden", erzählt Brigitta G. Erst dann erfährt Maria, dass Alexander S. nun darüber entscheidet, wo Felix lebt. Er nimmt ihn mit zu sich nach München.
In den nächsten Monaten haben Maria und Brigitta G. kaum Kontakt zu dem Jungen. Bei der Einschulung dabei sein zu dürfen, mussten sie beantragen. "Und wir durften nur drei Stunden bleiben", so Brigitta G. Eine Woche später fahren die beiden wieder nach München, doch nur die Großmutter kehrt zurück nach Heidelberg, wird festgenommen. "Sie wollten, dass ich ihnen erzähle, wo meine Tochter mit ihrem Sohn hin ist. Aber das wusste ich nicht." Sie wird später wegen Beihilfe zur Kindesentziehung verurteilt - zu einer zehnmonatigen Haftstrafe, ausgesetzt zur Bewährung.
Während Brigitta G. noch um ihre Freiheit kämpft, stellt sich heraus: Das Gericht war bei seiner Entscheidung einem psychologischen Gutachten gefolgt, das der Mutter die Erziehungsfähigkeit absprach. Zwei Gutachten, die von der Mutter in Auftrag gegeben wurden, lehnte das Gericht als "Gefälligkeitsgutachten" ab. Dabei bescheinigten diese der Mutter, dass sie nicht an einer gespaltenen Persönlichkeit leide und keine Selbstmordabsichten zu erkennen seien, wie noch von Alexander S. behauptet. Auch ein Gutachten über Felix bescheinigte ihm keine Schäden. Der Kinderpsychiater Helmut Loch sprach daraufhin von einem "Justizskandal".
Info: Am Mittwoch, 4. September, spricht Brigitta G. um 22.15 Uhr bei "Stern TV" auf RTL über den Fall. Auch Felix soll per Videobotschaft zu Wort kommen.
Im September 2006 schnappt sich Maria ihren Sohn Felix (Namen geändert) nach der Schule und verschwindet mit ihm. Seitdem wird sie wegen Kindesentziehung gesucht, denn das Aufenthaltsbestimmungsrecht hatte kurz zuvor der Vater zugesprochen bekommen. Die Chronologie einer Eskalation:
> 1994 heiratet die Flugbegleiterin Maria den Piloten Alexander S.. Lange sollen sie nicht in der gemeinsamen Wohnung in München gewohnt haben.
> Im Januar 2000 wird Felix geboren. Sein leiblicher Vater bemüht sich nicht um Kontakt, Alexander S. wird rechtlicher Vater.
> 2004 zieht Maria, die mittlerweile nicht mehr als Flugbegleiterin arbeitet, mit ihrem Sohn zu ihrer Mutter Brigitta G. nach Heidelberg.
> Bis zum Mai 2006 soll Alexander S. seinen Sohn fast nie besucht haben, berichtet Brigitta G.. Trotzdem bemüht er sich um das alleinige Sorgerecht.
> Am 3. Mai 2006 kann Alexander S. bestimmen, wo Felix lebt. Er bekommt das Aufenthaltsbestimmungsrecht zugesprochen. Der Junge hat an diesem Tag einen Termin mit seinem Vater beim Kinderschutzbund. Als seine Mutter ihn abholen will, ist er bereits auf dem Weg nach München.
> Als Felix in München ist, erfährt Maria von dem Gerichtsbeschluss. In dem folgenden Verfahren soll die Erziehungsfähigkeit der beiden Elternteile von einem Psychologen untersucht werden. Es heißt, Maria sei nicht erziehungsfähig. Die Gegengutachten ergeben etwas anderes. Das Gericht folgt ihnen nicht.
> Im September 2006 holt Maria Felix gemeinsam mit Brigitta G. aus München und verschwindet mit ihrem Sohn.