Ungeklärt: Kugeln verfehlten ihr Opfer nur knapp Aktualisiert: 05.02.19 20:11
2005 fielen in Ohligs Schüsse auf einen Mann mit türkischen Wurzeln. Der Täter wurde nie gefasst.
Von Kristin Dowe
Yusuf M.* (*Name von der Redaktion geändert) hat großes Glück gehabt. 14 Jahre sind nun vergangen, seitdem zwei Projektile einer Schusswaffe den zum Tatzeitpunkt 28-jährigen Mann mit türkischen Wurzeln nur knapp verfehlt hatten. Der versuchte Mord an dem Ohligser ist einer von sechs ungeklärten Kriminalfällen aus Solingen, die zurzeit von der Polizei Wuppertal für die vom Landeskriminalamt (LKA) Düsseldorf geplante Datenbank für ungelöste Kriminalfälle, sogenannte Cold Cases, archiviert werden.
Was war geschehen? Es war an einem ruhigen Winterabend, als es an jenem Sonntag des 20.?November 2005 bei Yusuf?M. Sturm klingelte. Besuch hatte der Solinger nach eigener Aussage nicht erwartet, schon gar nicht um kurz vor Mitternacht. Zu jener Zeit wohnte er in einer Mietwohnung in einem Mehrfamilienhaus an der Rückertstraße. Doch der dubiose Besucher gab keine Ruhe, drückte weiter unentwegt auf die Klingel.
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UNGEKLÄRTE?FÄLLE Unsere Redaktion stellte ungeklärte versuchte und vollendete Tötungsdelikte sowie Vermisstenfälle aus Solingen vor, bei denen von einem Gewaltverbrechen auszugehen ist. Das LKA Düsseldorf baut zurzeit eine Datenbank für ungeklärte Kriminalfälle auf, in die auch die Solinger „Cold Cases“ aufgenommen werden. Mit Hinweisen zu einem Fall können Bürger sich unter Tel.?(02?02)?28?40 oder per E-Mail bei der Polizei melden.
Als es Yusuf M. zu viel wurde, öffnete er zunächst die Wohnungstür, wo er niemanden antraf. Daraufhin schlich er nach Schilderung der Polizei zur Hauseingangstür und spähte durch die Glasfront. Wieder nichts. Der Solinger öffnete schließlich die Haustür und schaute mit dem Kopf hinaus, als er einen lauten Knall hörte und ein Schuss die zersplitternde Glasfront der Tür traf. Geistesgegenwärtig warf Yusuf M. diese sofort wieder zu und suchte schließlich Zuflucht bei einer Nachbarin, die dann sofort die Polizei verständigte. „Der Mann hatte insofern großes Glück, dass er sich nur mit dem Oberkörper aus der Tür gebeugt hatte und nicht auf die Straße getreten ist. So blieb er unverletzt“, sagt Stefan Weiand, Sprecher der Polizei Wuppertal. „Er war sich ja keiner Gefahr bewusst und hat sich in der Situation absolut richtig verhalten.“
Eine Verwechslung des Opfers ist laut Polizei nicht ausgeschlossen Die Einsatzkräfte der Solinger Polizeiwache waren schnell vor Ort – zwei Einschusslöcher, die sich jeweils in der Glasfront sowie im Rahmen der Tür befanden, zeugten von dem Verbrechen. „Es kommt relativ häufig vor, dass Leute bei der Polizei behaupten, dass es jemand auf sie abgesehen hätte. Mit solchen Behauptungen wird oft Schindluder getrieben“, sagt Weiand. Nicht so in diesem Fall – die Einschusslöcher sowie die dazugehörigen Projektile größeren Kalibers bestätigten die Geschichte des Mannes.
Dieser habe selbst nicht die leiseste Ahnung, wer hinter dem Attentat stecken könnte. Feinde soll der Ohligser keine gehabt haben, und auch eine Familienfehde, wie sie laut Polizei in der türkischen Community gelegentlich vorkomme, hätten die Ermittler ausgeschlossen. „Der Geschädigte war zum Tatzeitpunkt in keiner Beziehung und lebte getrennt. Mit seiner Ex-Freundin gab es aber wohl keine nennenswerten Probleme.“
Wurde Yusuf M. Opfer einer Verwechslung? „Das ist nicht ausgeschlossen“, so Weiand. Zunächst hätten die Ermittler gar einen Zusammenhang zu den Morden der rechtsextremen Terrororganisation NSU in Erwägung gezogen, doch hält die Polizei dies heute für unwahrscheinlich. „Die NSU hat ja ausschließlich Morde an ausländischen Kleinunternehmern verübt. Da passte dieser Fall nicht ins Muster.“
Ungeklärte Mordfälle: Zurück bleiben Überseecontainer
Die Zeugenaussagen seien außerdem dürftig. Zwar hatten Anwohner Knallgeräusche gehört, aber keine brauchbaren Beobachtungen gemacht. Unklar ist auch der genaue Tathergang: So könnte der Täter nach dem Klingeln in ein Auto zurückgekehrt sein und die Schüsse von dort abgegeben haben. Auch gibt es an der Rückertstraße einige Müllcontainer, wo der Täter Yusuf?M. gut getarnt hätte auflauern können. Weiand: „Da gibt es leider viele offene Fragen.“