Schweden-Mord Wird das Verfahren gegen Christine S. wieder aufgenommen? Mehr als zehn Jahre nach der Tat soll der Fall der in Schweden wegen Mordes an zwei Kindern verurteilten Hannoveranerin Christine S. wieder aufgenommen werden. Darauf arbeitet Matthias Waldraff, der Rechtsanwalt der Verurteilten, hin.
Hannover Der Fall der zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilten Doppelmörderin Christine S. aus Hannover wird möglicherweise erneut ein Fall für die schwedische Justiz. Matthias Waldraff, der Rechtsanwalt der heute 42-Jährigen, möchte, dass der Fall neu aufgerollt wird. „Wir arbeiten derzeit intensiv an der Wiederaufnahme des Verfahren“, sagte er. Offizielle Anträge seien derzeit aber noch nicht eingereicht worden. „Damit ist frühestens im Herbst zu rechnen“, sagt der Strafverteidiger.
Christine S. war in einem umfangreichen Verfahren für schuldig befunden worden, im März 2008 in der schwedischen Kleinstadt Arboga die neue Lebensgefährtin ihres ehemaligen Freundes aus Eifersucht schwer verletzt und die beiden Kinder der Frau mit einem Hammer erschlagen zu haben. Während des Verfahrens hatte Christine S., die derzeit in der JVA Vechta ihre Strafe absitzt, stets ihre Unschuld beteuert. Bei ihren Aussagen verstrickte sie sich allerdings immer wieder in Widersprüche.
Gericht genügten Indizien Sie wurde verurteilt, obwohl am Tatort keinerlei Spuren, keine Fingerabdrücke und keine DNA-Spuren gesichert werden konnten. Dem schwedischen Gericht genügten Indizien wie das in der Nähe des Tatorts geortete Handy der jungen Frau.
Um die Wiederaufnahme eines Verfahren zu erreichen, müssen neue und gewichtige Erkenntnisse vorliegen, die bislang in dem Verfahren keine Rolle gespielt haben. Nach Angaben von Rechtsanwalt Matthias Waldraff hat eine Team in intensiven Recherchen diese neuen Erkenntnisse tatsächlich zu Tage gefördert. Um welche es sich im Einzelnen handelt, will der Jurist derzeit mit Blick auf den bevorstehenden Antrag nicht sagen. Der oberste Gerichtshof in Schweden hat allerdings bereits einen ersten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahren im Fall Christine S. im Jahr 2012 abgelehnt.
MORD IN SCHWEDEN : Motiv ja, Indizien ja, Beweise nein VON MATTHIAS WYSSUWA , VÄSTERÅS -AKTUALISIERT AM 25.08.2008-19:24 Das Gericht hält Christine S. für schuldig Bildbeschreibung einblenden
In Schweden steht eine Deutsche vor Gericht, die aus Eifersucht zwei kleine Kinder ermordet haben soll. Die Verteidigung plädiert auf Freispruch, die Anklage auf lebenslänglich - im Gefängnis oder in der geschlossen Psychiatrie.
Das Gesicht von Christine S. verrät keine Gefühle, als die Staatsanwältin Frieda Gummesson von den Morden berichtet, die ihr vorgeworfen werden. Halb versunken im Stuhl, starrt sie auf die Tischkante, in den Händen tanzt ein Kugelschreiber, ihr Mund ist ein Strich. Christine S. sei am 17. März in das Haus von Emma im schwedischen Arboga eingedrungen, beginnt Gumesson vom vermeintlichen Ablauf der Tatnacht zu berichten.
Kaum sei Christine S. im Flur gewesen, habe sie einen Hammer gezogen und auf Emma und ihre beiden Kinder Max und Saga eingeschlagen. 45 Mal in weniger als 20 Minuten. Der drei Jahre alte Max und die einjährige Saga sterben, ihre Mutter überlebt schwer verletzt. Gummesson lässt ein Bild der Kinder an die Wand projizieren. Sie macht eine Pause, die Augen der Angeklagten bleiben am Tisch haften. Sie sei sicher, beendet Gummesson ihr Plädoyer, das Christine S. schuldig ist. Es gebe ein Motiv und viele Indizien. Einen klaren Beweis aber gibt es nicht.
„Es wird eine Verurteilung geben.“
Mit den Schlussplädoyers am Montag tritt der Mordprozess gegen Christine S. nach zehn Verhandlungstagen und mehr als 50 Zeugenaussagen in die Schlussphase ein. Seit Mitte Juli steht die deutsche Studentin in Schweden vor Gericht, angeklagt des zweifachen Mordes und des versuchten Mordes. Der Prozess begann in Köping und wird in Västerås beschlossen. Das Gericht musste in ein größeres Gebäude umziehen - das Medieninteresse war gewaltig. Auch an diesem Montag drängen sich mehr Journalisten in den verglasten Zuschauerraum, als es Stühle gibt. Wer zu spät kommt, kann im Nebenraum auf Großbildleinwand verfolgen, wie Gummesson versucht, die einzelnen Puzzleteile in ein schlüssiges Gesamtbild von der Schuld der Angeklagten einzufügen.
Schnell war die 32 Jahre alte Studentin in den Fokus der Ermittler geraten. Schon wenige Tage nach der Tat wurde Christine S. in Hannover festgenommen und im April an Schweden ausgeliefert. Sie bestreitet die Tat. Gummesson aber gab sich vor der Verhandlung sicher: „Es wird eine Verurteilung geben.“ Christine habe als einzige ein klares Motiv gehabt: Eifersucht.
Alle Vorwürfe zurückgewiesen
Torgny H., der Lebensgefährte Emmas, hatte die Deutsche einst verlassen. Die beiden hatten sich im Sommer 2006 auf Kreta kennengelernt. Es war eine heftige und zum Schluss wohl einseitige Liebe. Nachdem Christine ihn mehrmals in Schweden besucht hatte, trennte sich Torgny von ihr. Christine wollte den Kontakt aber nicht abreißen lassen, zog nach Schweden und immatrikulierte sich an der Stockholmer Universität. Doch Torgny hatte längst Emma kennengelernt und war zu ihr und den Kindern gezogen. „Das hat Christine nicht verkraftet“, sagt Gummesson.
Sie zeichnet in ihrem Plädoyer das Bild einer gekränkten, psychisch labilen Frau. Regelmäßig habe sie ihm geschrieben oder versucht anzurufen. Auch habe sie die Geburt eines gemeinsamen Sohnes vorgetäuscht, um Torgny zurückzugewinnen. Gummesson berichtet von den Selbstmordversuchen Christines, und sie liest aus ihrem Tagebuch vor. Da schreibt Christine, kurz nach der angeblichen Geburt des Kindes im Oktober 2007, an Torgny gerichtet: „Du hast das Leben, das ich führen wollte.“ Sie habe das Familienglück Torgnys nicht ertragen können, sagt Gummesson. Das alles füge sich zu einem eindeutigen Motiv. Christine S. wies im Zeugenstand alle Vorwürfe zurück. „Alle, die mich kennen, wissen, dass ich so etwas nie tun könnte“, sagte sie aus.
„Technischer Beweis“ fehlt
Die anderen Puzzleteile, über die Gummesson neben dem Motiv verfügt, sind Indizien, die zwar in ihrer Fülle erdrückend wirken, jedoch nicht reibungslos ineinander greifen wollen. So war Christine S. am Tatabend in Arboga, angeblich um eine Ausgrabungsstätte zu besuchen. Sie habe Fotos gemacht und diese dann wieder gelöscht. Kriminaltechniker konnten aber nachweisen, dass es solche Fotos auf ihrer Kamera nie gegeben hat. Dafür wurden auf einem Laptop, der in Hannover sichergestellt wurde, Fotos von Emmas Haus gefunden. Damit aber habe sie nichts zu tun, sagte Christine aus. Auch die angeblich plötzliche Abreise am Tag nach der Tat - nach Hannover - ist laut Staatsanwaltschaft verdächtig. Christines Verteidigung spricht hingegen von einem lange geplanten Osterausflug zur kranken Mutter. Den Hammer, den man ihr am Flughafen abnahm, den habe sie dabei gehabt um ein Fahrrad zu reparieren. Blutspuren konnten an dem Werkzeug nicht gefunden werden.
LEBENSLANGE HAFT : Gericht bestätigt Urteil gegen deutsche Studentin VON MATTHIAS WYSSUWA -AKTUALISIERT AM 16.02.2009-14:39 Video starten LEBENSLANGE HAFT : Gericht bestätigt Urteil gegen deutsche Studentin Video: reuters
Ein schwedisches Berufungsgericht hat die Verurteilung der als „Hammermörderin“ bekannt gewordenen deutschen Studentin Christine S. zu lebenslanger Haft bestätigt.
Auch in zweiter Instanz ist die deutsche Studentin Christine S. zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die 32 Jahre alte Hannoveranerin soll nach Überzeugung des Oberlandesgerichts in Västerås des Mordes an zwei Kleinkindern und des versuchten Mordes an deren Mutter schuldig sein. Das Gericht bestätigte damit am Montag das Urteil der ersten Instanz vom Oktober vergangenen Jahres.
Eine Einweisung in die geschlossene Psychiatrie kam als Strafmaß nicht in Frage - schon im ersten Verfahren wurde Christine S. für voll zurechnungsfähig befunden. Die Gefängnisstrafe soll sie in Deutschland antreten, die Richter haben die Ausweisung von Christine S. angeordnet. Zudem soll sie Entschädigung zahlen. Die deutsche Studentin hatte auch im Berufungsverfahren jede Schuld von sich gewiesen.
Im März vergangenen Jahres, kurz nach Sonnenuntergang, soll Christine S. nach Überzeugung des Gerichts in das Haus von Emma J. in der schwedischen Kleinstadt Arboga eingedrungen sein. Mit einem spitz zulaufenden Gegenstand - vermutlich einem Zimmermannshammer - habe sie danach auf Emma J., ihre einjährige Tochter Saga und den drei Jahre alten Sohn Max eingeschlagen - mehr als vierzig Mal. Die Kinder starben, die Mutter überlebte mit schweren Kopfverletzungen. Sie lag zehn Tage im Koma.
Aufgrund der Brutalität der Tat, war der Prozess gegen Christine S. lange nicht von den Titelseiten der schwedischen Boulevardpresse wegzudenken: Christine S. fand sich erst als „die Deutsche“ und nach der Verurteilung in erster Instanz als „Hammermörderin“ unter voller Namensnennung und mit Bild regelmäßig in den Schlagzeilen wieder. Aus dem Gerichtssaal wurde in der Manier eines Fußballtickers auf den Internetseiten der großen Zeitungen berichtet.
Motiv: Eifersucht
Das Motiv der Studentin aus Hannover soll Eifersucht gewesen sein. So stellte es Staatsanwältin Frieda Gummesson bei ihrem Schlussplädoyer in Västerås dar. Christine S. habe demnach die Trennung von ihrem schwedischen Freund Torgny H. - einer Urlaubsliebe, der sie nach Schweden gefolgt war - nicht verwunden. Als dieser mit Emma J. eine neue Partnerin fand, habe Christine S. sein Glück nicht ertragen können. Mehrmals hatte sie in dieser Zeit versucht, sich das Leben zu nehmen.
Gummesson beschrieb die deutsche Studentin als eine „kontrollierte und kalte Person“, die Emma und ihre Familie schon lange verfolgt habe. Tatsächlich fanden Ermittler Fotos vom Emmas Haus auf dem Laptop der Deutschen, zahlreich wurde im Internet von dem Computer aus die Suchanfrage „Arboga“ gestellt. Christine S. gab an, nichts darüber zu wissen - den Laptop hätten auch viele andere Freunde benutzt. Auch das Motiv sei konstruiert, warf sie der Staatsanwaltschaft vor. Mit Tagebucheinträgen hatte sie in der Berufungsverhandlung versucht zu belegen, dass ihre Liebe zu Torgny H. schon lange vor der Tat erloschen gewesen sei.
Viele Indizien, aber keine Beweise
Neue Beweise konnten im Berufungsverfahren nicht präsentiert werden - gegen die Deutsche sprechen viele Indizien, technische Beweise für ihre Schuld gibt es jedoch nicht. So fehlt weiterhin die Tatwaffe oder eine DNA-Spur, die Christine S. mit dem Tatort in Verbindung bringt. Ob Schuhspuren im Hausflur wirklich zu ihr gehören, ist umstritten. Passende Schuhe trug Christine S. zwar auf einem alten Foto - gefunden wurde das Paar jedoch nie. Sicher ist, dass Christine S. an dem Tag der Tat in Arboga war - mehr als eine Zugstunde entfernt von ihrer Wohnung in Stockholm. Sie will dort aber nur archäologische Steinformationen fotografiert haben. Auch diese Fotos wurden jedoch nie gefunden.
So blieb auch im Berufungsverfahren die Glaubwürdigkeit der einzigen Tatzeugin ein zentraler Punkt der Anklage: Emma J. will Christine S. erkannt haben, bevor sie niedergeschlagen wurde. Nachdem in erster Instanz ein Sachverständiger es kaum für möglich hielt, dass Emma sich trotz der schweren Kopfverletzungen so gut erinnern kann, widersprach in zweiter Instanz ein weiterer Sachverständiger - die Aussage von Emma J. könne glaubhaft sein.
Ein Sieg für Max und Saga
Im Gegensatz zum ersten Urteil waren in der Berufungsverhandlung nicht die Laien- sondern die Berufsrichter in der Überzahl. Im schwedischen Rechtssystem bleibt Christine S. noch eine weitere Instanz. Ob sie diese auch in Anspruch nehmen wird, ist nach Auskunft ihrer deutschen Anwältin Tanja Brettschneider noch unklar - bis Freitag soll eine Entscheidung fallen. Da für die Eröffnung einer dritten Instanz jedoch Verfahrensfehler nachgewiesen werden müssten, seien die Aussichten auf eine Revision „verschwindend gering“. Das Urteil sei enttäuschend, sagte Brettschneider dieser Zeitung. Nur aufgrund von Indizien dürfe man ihre Mandantin nicht zu lebenslanger Haft verurteilen. Der Vater der ermordeten Kinder sagte schwedischen Medien nach dem Urteil, dies sei ein Sieg für Max und Saga.