Mord beim Campen: Wie zwei Geschwister nach 30 Jahren ihre Mutter überführen 1988 wurde die schwangere Miriam Rice brutal umgebracht. Zwei kleine Kinder erlebten alles mit.
In der Nacht des 24. Juni 1988 hallte ein markerschütternder Schrei durch die Lagune des Pinhook Parks in South Bend im US-Bundesstaat Indiana. Erst flehte eine Frau um ihr Leben, dann folgten noch mehr Schreie. All das hörten die siebenjährige Paula und ihr zweijähriger Bruder von einem nahegelegenen Campingplatz aus mit an und fürchteten sich zu Tode.
Wenige Stunden zuvor hatten Paulas Mutter, deren Freund und Paulas anderer Bruder Robert den Campingplatz verlassen, um Essen zu kaufen. Das geht aus einer vor Kurzem im St. Joseph County eingereichten Klage hervor. So soll sich Paula auch noch genau daran erinnern, dass das Trio blutverschmiert zurückkam, die schmutzigen Klamotten verbrannte, die dunkelroten Flecken auf dem Auto wegwischte und sie alle zusammen wegfuhren.
Sechs Tage später fand man die Leiche der 28-jährigen Miriam Rice in einer Böschung nahe der Lagune. Die Mutter eines drei Jahre alten Kinds war im vierten Monat schwanger als sie starb. In der Nacht, in der Paula die Schreie gehört hatte, war Rice vom abendlichen Spaziergang mit ihrem Hund nicht mehr zurückgekehrt. Ein Gerichtsmediziner kam zu dem Schluss, dass man Rice mit mehreren Schlägen mit einem stumpfen Gegenstand gegen den Kopf getötet hatte.
Der brutale Mord an Rice blieb fast drei Jahrzehnte lang ein ungelöstes Rätsel – bis Kenneth Cotter, der Staatsanwalt von St. Joseph County, vergangenen Monat den 77-jährigen Ex-Häftling George Kearney und die 56-jährige Barbara Brewster – Kearneys Ex und Paulas und Roberts Mutter – des Mordes anklagte. Kearney befindet sich schon seit Wochen in Haft, nun hat ein Gericht entschieden, dass auch Brewster ohne Möglichkeit auf Kauton in U-Haft muss. Beide plädieren auf nicht schuldig.
Paula und Robert sind nun die entscheidenden Zeugen. Und dank ihrer Aussagen konnten die Ermittler den Verdacht gegen Kearney und Brewster bereits deutlich erhärten. Experten zufolge ist ein solcher Durchbruch in einem so lange ungeklärten Mordfall eine Seltenheit.
"Eigentlich werden solche Fälle immer durch moderne DNA-Techniken oder erneute Zeugenbefragungen gelöst", sagt Jason Dickinson, ein Psychologieprofessor an der Montclair State University, der sich auf Augenzeugenberichte spezialisiert hat. "Es kommt nur sehr selten vor, dass lange ungeklärte Kriminalfälle durch Augenzeugen gelöst werden, die zum Tatzeitpunkt noch Kinder waren."
Ein Fall mit einigen Tücken So sieht es auch Michael Benza, ein Juraprofessor an der Case Western Reserve University und Experte für Strafverfahren. "Normalerweise melden sich keine neuen Augenzeugen mehr, wenn das Verbrechen schon so lange zurückliegt", sagt er. Es gebe in solchen Fällen auch einiges zu beachten: "Wie zuverlässig sind die Aussagen, wenn die Zeugen zum Tatzeitpunkt noch Kinder waren? Hier fällt es oft schwer, sich an entscheidende Details zu erinnern."
Und das Problem verstärkt sich noch. Denn die Ermittelnden versuchten natürlich, die Glaubhaftigkeit der Augenzeugenberichte zu untermauern, indem sie so viele Details wie möglich bestätigen. "Ich würde untersuchen, ob die Aussagen der Zeugen von irgendetwas beeinflusst werden und warum sie sich erst jetzt als Erwachsene melden", sagt der Psychologieprofessor.
Dennoch scheint dieser Fall recht eindeutig zu sein.
In einem Telefongespräch erzählt Brewsters Schwester Helen Patrin davon, wie ihre Familie seit fast 30 Jahren mit dem dunklen Geheimnis vom Mord an Miriam Rice leben muss. "Paula und vor allem Robert waren richtig traumatisiert. Letztendlich musste ich die beiden großziehen, weil meine Schwester immer nur das macht, was sie will", sagt Patrin. "1995 verschwand sie einfach so und ich traf sie erst im Jahr 2009 wieder, als mein Ehemann starb."
Laut der jetzt eingereichten Klage wurde Patrin Anfang des Jahres von Ermittlern verhört. Dabei gab sie zu Protokoll, dass Brewster und Kearny die junge Paula bei ihr vorbeigebracht hätten, nachdem sie in der Tatnacht vom Campingplatz weggefahren waren. "Paula erzählte [Patrin] von den Schreien und dem Blut", heißt es in der Klage. "Patrin gab an, dass sie zuerst nicht wusste, was sie glauben sollte. Ihrer Aussage zufolge bekam sie später in den Nachrichten aber mit, dass Miriam Rice vermisst wurde."
Patrin erzählte den Ermittelnden außerdem, das sie zweimal das anonyme Hinweisprogramm "Crime Stoppers" kontaktiere habe, um zu berichten, was ihre Nichte gesehen hatte – einmal an dem Tag, als Rice verschwand, und dann noch mal, als die Leiche der Frau gefunden wurde. Auf die Bitte einer Stellungnahme hat Crime Stoppers USA noch nicht reagiert.
Obendrein wanderte der Fall Miriam Rice über die Jahre von einer Behörde zur nächsten, was die Ermittlungen nicht gerade einfacher machte.
"Helen Patrin war der Meinung, dass man ihr vielleicht aufgrund von Paulas Alter nicht geglaubt hatte", heißt es in der Klageschrift. Archivunterlagen bestätigten, dass Helen Patrin Crime Stoppers kontaktiert hatte.
Patrin sagt außerdem, dass ihre Schwester und Kearney zur Zeit des Mordes beide auf Bewährung waren. Ihr Bewährungshelfer habe sie auch zu dem Fall befragt. "Es ist aber nichts dabei rumgekommen", sagt sie "Er ließ sie gehen und damit hatte sich die Sache erledigt."
Tim Corbett, Leiter der St. Joseph County Metro Homicide Unit, räumt ein, dass sich die Polizei Kearney und Brewster 1988 "angeschaut" habe, sie seien aber keine Hauptverdächtigen gewesen. "Bei ungelösten Fällen kommt erschwerend hinzu, dass wir ständig Anrufe bekommen", sagt Corbett. "Wir werden in viele verschiedene Richtungen geführt."
Obendrein wanderte der Fall Miriam Rice über die Jahre von einer Behörde zur nächsten, was die Ermittlungen nicht gerade einfacher machte. Ursprünglich lag die Zuständigkeit beim South Bernd Police Department. 1993 ging der Fall an die Special Crimes Unit in St. Joseph County, wo er dann 22 Jahre vor sich hinschlummerte. 2015 nahm schließlich die neugegründete Cold Case Unit von St. Joseph die Ermittlungen auf und ging alten Hinweisen nach, wie Corbett berichtet.
"Wir haben diese Einheit mit ein paar Typen aufgebaut, die im Ruhestand waren und sich vor lauter Rumsitzen gelangweilt haben", sagt Corbett. "Sie ist bislang sehr erfolgreich, wir haben diverse alte Fälle gelöst."
Die ersten wirklichen Fortschritte Der erste große Durchbruch gelang laut Anklageschrift am 9. März 2016. Kearney hatte eingewilligt, vor den Cold-Case-Ermittelnden auszusagen. Er habe von Paula Brooks Briefe ins Gefängnis bekommen, in denen sie ihn zu dem Tod von Rice befragte, jetzt wolle er "ein paar Dinge klären". Kearney war 1989 wegen Kindesmissbrauchs zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt worden.
Im Gespräch mit den Beamten erinnerte sich Kearney daran, wie er, Brewster und ihr Sohn in seinem Van saßen, als sie Rice am Pinhook Park Pavillon vorbeilaufen sahen. Kearney sagte, dass Brewster "etwas aus einer schwarzen Tüte geholt hat und hinter der Frau hergerannt ist".
Er habe seine Freundin und die Frau aus den Augen verloren, sie allerdings schreien gehört. "Als Brewster zurückkehrte, hatte sie Blut an ihren Händen", heißt es in der Klageschrift. "Er gab weiterhin an, dass Brewster ihre Hände daraufhin in der Lagune gewaschen hat."
Die Ermittler befragten anschließend Paula Brooks, ihren Bruder Robert South und ihre Tante Helen Patrin. Brooks, inzwischen 37, erzählte, wie sie die Schreie gehört hatte und das Trio blutbedeckt zum Campingplatz zurückkehrte. Sie erzählte auch, wie ihre Mutter sie dazu zwang, das Innere des Autos vom Blut zu reinigen. Ihr kleiner Bruder war es jedoch, der den Detectives detailliert beschreiben konnte, was wohl in den letzten Minuten von Miriam Rices Leben geschehen war.
South sah mit an, wie seine Mutter "wiederholt Miriam Rice mit einem Werkzeug auf den Kopf schlug".
Der 35-jährige South sagte, dass Kearney mit dem Wagen an Rice ranfuhr und sie sich schnappte. Die wehrte sich. "Kearney knallte ihren Kopf gegen die Seite des Vans und zwang Miriam Rice ins Auto", heißt es in der Klageschrift. "Kearney begann, Brewster anzuschreien, dass sie Miriam Rice töten soll."
South sah daraufhin mit an, wie seine Mutter "wiederholt Miriam Rice mit einem Werkzeug auf den Kopf schlug". Dabei spritzte laut Klageschrift "eine erhebliche Menge Blut durch den Van, auch auf ihn". Sein Leben lang von der Tat traumatisiert hatte South mit niemandem über das gesprochen, was er in Pinhook Park erlebt hatte. Wie South den Ermittlern sagte, habe Kearney gedroht, ihn umzubringen, sollte er jemals darüber sprechen.
Am 15. Februar machten die Cold Case Detectives schließlich Brewster ausfindig. Sie gab zu, bei er Ermordung von Rice anwesend gewesen zu sein – an dem Mord selbst sei sie allerdings nicht beteiligt gewesen. Brewster bestand in ihrer Schilderung darauf, dass Kearney Rice überwältigt und im Van bewusstlos geschlagen habe. "Kearney fuhr sie und ihre Kinder daraufhin zurück in den Pinhook Park und setzte sie ab", heißt es in der Klageschrift. "Miriam Rice war immer noch bewusstlos im Van, als Kearney mit ihr wegfuhr. Etwa 15 Minuten später kehrte Kearney ohne Miriam Rice zurück", beschrieb Brewster den Tathergang.
Ihre Schwester Helen Patrin ist sich allerdings sicher, dass beide am grausamen Tod von Miriam Rice beteiligt waren. "Wenn Sie mich fragen, dann ist meine Schwester schuldig", sagt sie. "Und genau so ist es George. Sie ist wirklich nicht einfach. Und dieser Mann ist das pure Böse."