Töten und abkassieren Mörder erhalten unter Umständen die Vorsorgegelder ihrer Opfer. Das soll sich ändern.
Andrea Sommer Bern 07:22
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Dass ein Mörder sein Opfer beerbt, sollte eigentlich nicht vorkommen. Laut Erbrecht ist jemand erbunwürdig, der vorsätzlich den Tod des Erblassers herbeigeführt hat. Auch bei den Hinterbliebenenleistungen von AHV und Invalidenversicherung sieht das Gesetz bei schwerem Verschulden eine Kürzung oder Streichung der Gelder vor. Trotzdem können Täter finanziell profitieren. Denn bei der beruflichen Vorsorge sowie bei der dritten Säule klafft eine Gesetzeslücke.
Was dies konkret bedeutet, zeigen die folgenden drei Fälle, die sich alle in der Romandie zugetragen haben. Vor drei Jahren erschoss ein Mann seine Ehefrau. Obwohl er verurteilt wurde und nun im Gefängnis sitzt, erbte er wie ein «normaler Witwer» die 10'000 Franken vom Freizügigkeitskonto des Opfers. Der Anwalt des Sohnes intervenierte vergeblich: Weil dieser bereits volljährig und nicht mehr in Ausbildung ist, ist das Recht auf der Seite des Mörders.
Im zweiten Fall ging es um mehr Geld: Hier hätte der Ehemann, der seine Frau ebenfalls 2015 umbrachte, 64'000 Franken aus der dritten Säule seiner Gattin zugute gehabt. Hätte, denn der Täter erklärte sich auf Bitte der Vorsorgestiftung schliesslich dazu bereit, das Geld seiner Schwiegermutter zu überlassen.
Im dritten Fall erübrigte sich die Auszahlung der Vorsorgegelder an den Mörder ebenfalls – allerdings nur, weil sich dieser, nachdem er seine Ehefrau umgebracht hatte, selbst tötete. Damit ging das Geld direkt an die Nachkommen.
Verantwortung bei den Stiftungen
Wie viele solche Fälle es in der Schweiz gibt, lässt sich laut Emmanuel Ullmann, Generalsekretär des Vereins Vorsorge Schweiz (VVS), nicht sagen. Der Ende 2014 gegründete Verein vertritt die Interessen der wichtigsten Freizügigkeits- und Vorsorgestiftungen. Ullmann geht von einer gewissen Dunkelziffer aus. «Wir vermuten, dass jede grössere Schweizer Vorsorgestiftung bereits Gelder an Täter ausbezahlt hat.» Es gebe in der Schweiz zwei Millionen Freizügigkeitskonti und noch mehr 3a-Konti. «Da muss es schon rein statistisch gesehen mehrere Fälle geben», so Ullmann. Weil die Vorsorgestiftungen jedoch keine Informationen zur Todesart der Versicherten erhielten, hätten sie in der Regel keine Kenntnis darüber, ob sie Gelder einem Mörder auszahlten.
Es kommt nicht jeden Tag vor, dass ein Mörder Anspruch auf die Vorsorgegelder seines Opfers hat. «Das sind zum Glück Ausnahmefälle», sagt Emmanuel Ullmann. «Aber sie sind stossend und widersprechen jeglichem Rechtsempfinden.» Zwar erlaube es die heutige Rechtslage den Freizügigkeits- und Vorsorgestiftungen, in ihren Reglementen Bestimmungen zu erlassen, die einen Gewalttäter vom Kreis der Begünstigten ausschliesst. Allerdings haben laut Ullmann die meisten Stiftungen keine solche Regelung.
Dennoch soll die Verantwortung bei den Stiftungen bleiben, sagt der Fachmann Simon Tellenbach von der VZ Vorsorge AG gegenüber der Luzerner Zeitung. Aus Sicht der sozialen Gerechtigkeit sei die Forderung nach einer zwingenden Bestimmung zwar nachvollziehbar. «Eine zusätzliche Regulierung scheint mir aber nicht sinnvoll zu sein.»
In dem Sinne liess sich auch die emeritierte Sozialversicherungsprofessorin Gabriela Riemer-Kafka zitieren. Der Mord sei ein Spezialfall, und wenn der in den Reglementen nicht vorkomme, könne das gute Gründe haben. «Natürlich ist es moralisch stossend und wäre ein Fehlanreiz, wenn ein Straftäter Geld aus der Vorsorge des Opfers erhält. Aber es dient auch dazu, dass ein Straftäter möglichst lange von der Sozialhilfe ferngehalten wird.»
Interpellation aus dem Ständerat
Diese Argumentation löst beim Verein Vorsorge Schweiz Kopfschütteln aus: «Das kann kein Argument sein. Moralisch ist es nicht haltbar, wenn ein Mörder das Geld bekommt», sagt Emmanuel Ullmann. Zudem zweifelt der VSV-Generalsekretär daran, dass eine reglementarisch geregelte Ausschlussregelung einer Klage standhalten würde. «Deshalb ist es uns ein Anliegen, dass diese Gesetzeslücke geschlossen wird.»
Eine Forderung, die bei Josef Dittli Gehör fand. «Es darf nicht sein, dass einer, der seine Frau tötet, von ihren Vorsorgeeinrichtungen profitieren kann», sagt der Urner FDP-Ständerat. Ein Täter habe moralisch keinen Anspruch auf das Geld. Es sei daher richtig, dass ein Mörder gemäss Erbrecht für erbunwürdig erklärt werden könne. Der Gesetzgeber habe diese Bestimmung erlassen, weil er sicherstellen wollte, dass eine Person, die den Tod einer anderen Person vorsätzlich herbeigeführt habe, nicht auch noch finanziell davon profitiere. «Dass es diese Lücke im Bereich der beruflichen Vorsorge gibt, ist sehr störend und muss behoben werden.»
Doch erst will Dittli das Terrain abstecken. Dafür hat er letzte Woche eine Interpellation eingereicht, in der er vom Bundesrat wissen will, wie dieser die Lage beurteile und ob er bereit sei, die Gesetzeslücke zu schliessen. Dittli: «Je nach Antwort des Bundesrates werde ich weitere politische Schritte unternehmen.» (Basler Zeitung)