Frauen, die von Gewalt betroffen sind, haben in Deutschland keine Lobby. Diesen Satz sagen viele Mitarbeiterinnen in den niedersächsischen Frauenhäusern. Die Schutzeinrichtungen im Land mussten im vergangenen Jahr mehr als 2.600 Frauen abweisen. Das zeigt eine Abfrage des NDR Regionalmagazins Hallo Niedersachsen unter den 40 Frauenhäusern im Land. Die Frauen fanden keinen Platz, obwohl sie unmittelbar in Gefahr waren, bedroht durch Schläge oder Vergewaltigungen. Die Zahl der dazugehörigen Kinder ist unklar, weil sie nicht überall erfasst wird.
"Sie will ja nur Schutz vor Gewalt"
Das Frauenhaus Oldenburg musste 197 Frauen wegschicken. Das empfinden Mitarbeiterin Anja Kröber und ihre Kolleginnen als sehr belastend: "Es gibt dann Situationen, in denen eine Frau am Telefon in Tränen ausbricht und sagt, ich kann doch auch auf dem Boden schlafen. Und wir ihr dann erklären müssen, dass das keine gute Lösung ist. Wir müssen sie ja auch beraten und begleiten". Anja Kröber findet es entwürdigend, dass eine Frau sich derartig erniedrigen muss. "Sie will ja eigentlich nur Schutz vor Gewalt", sagt sie. Auch das Frauenhaus in Walsrode im Heidekreis musste im vergangenen Jahr Frauen sagen, dass es hier für sie keinen Platz gibt. "Ich kenne Frauen, die haben zehn oder zwölf Telefonate geführt, bevor sie überhaupt einen Platz gefunden haben", erzählt Leiterin Frauke Flöther.
Neun Landkreise in Niedersachsen ganz ohne Frauenhaus
Aber was sind die Ursachen für den Platzmangel? Zunächst fehlen in neun Landkreisen Frauenhäuser. Im Ammerland, in der Wesermarsch und in den Landkreisen Cloppenburg, Friesland, Osterholz, Wittmund, Holzminden, Northeim und Helmstedt gibt es kein Frauenhaus. Warum ist das so? Der Landkreis Wesermarsch beispielsweise schreibt dazu auf Anfrage des NDR: "Bedrohte Frauen können in jedem Frauenhaus unterkommen, das über einen freien Platz verfügt. Demzufolge gibt es, und bedarf es, hierzu keiner Vereinbarung mit anderen Frauenhäusern über die Aufnahme bedrohter Frauen." Weiter schreibt der Pressesprecher des Landkreises, in der Wesermarsch gebe es eine Beratungsstelle für betroffene Frauen und in der Stadt Oldenburg befinde sich das nächstliegende Frauenhaus. Bedrohte Frauen würden aber teilweise gerade auch ein möglichst entfernt liegendes Frauenhaus auswählen.
"Das darf es nicht geben"
Das ist sicher richtig: Wer akut bedroht ist, muss auch weit weg fliehen können, wenn es im direkten Umfeld zu gefährlich ist. Aber wäre es dann nicht auch sinnvoll, dass ein Landkreis wie die Wesermarsch Frauen aus München oder Stuttgart aufnehmen kann? Anja Kröber vom Frauenhaus in Oldenburg findet es skandalös, dass es im Jahr 2018 immer noch Landkreise in Niedersachsen gibt, die kein Frauenhaus haben: "Es ist ärgerlich, dass diese Landkreise darauf vertrauen, dass die von Gewalt betroffenen Frauen einfach in anderen Frauenhäusern unterkommen." Und auch Frauke Flöther in Walsrode sieht es äußerst kritisch, dass es kein flächendeckendes Netz in allen Landkreisen gibt: "Das ist nicht richtig und das darf es nicht geben. Jeder Landkreis sollte über ein Frauenhaus verfügen. Die Politik sollte sich dafür stark machen." Die Politiker könnten sich nicht zurücklehnen und sagen: Bei uns gibt es keine häusliche Gewalt, fügt Flöther hinzu.
Fehlender bezahlbarer Wohnraum hat unmittelbaren Einfluss
Dass die Frauenhäuser viele Betroffene abweisen müssen, hat auch etwas mit dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum zu tun. Weil die Frauen oft mittellos in der Schutzunterkunft ankommen, sind sie häufig auf Sozialleistungen angewiesen. Da bleibt trotz staatlicher Unterstützung wenig Geld fürs Wohnen. Und weil überall der soziale Wohnraum knapp ist, passiert es nicht selten, dass die Frauen bis zu einem Jahr, manchmal sogar länger, in der Einrichtung bleiben müssen. Unfreiwillig blockieren sie damit den Platz für andere, die nicht nachrücken können.
Das "Betteln" um Geld sei schwierig und demütigend, sagt Frauke Flöther. Uneinheitliche Finanzierung schafft Ungleichheit.
Die einzelnen Häuser finanzieren sich unterschiedlich. Alle erhalten Geld von Land und von der Kommune, das die Personalkosten, die Betreuung und einen Teil der Sachkosten abdecken soll. Bei finanzstarken Kommunen funktioniert das. Aber weil die Unterbringung im Frauenhaus eine freiwillige soziale Leistung ist, bekommen die Häuser Jahr für Jahr unterschiedlich viel Geld - je nach Auslastung. Auch die Träger sind unterschiedlich. Manchmal ist es die Kommune, so zum Beispiel im Landkreis Leer. Oder es sind Wohlfahrtsverbände wie die Arbeiterwohlfahrt, etwa in Goslar, Braunschweig und Emden. An anderen Orten sind es Vereine, die sich vor Jahrzehnten gegründet haben, zum Beispiel in Lüchow, Celle und Walsrode. Gerade die kleinen Frauenhäuser sind finanziell oft schwächer aufgestellt und müssen sich regelmäßig um Spenden bemühen. "Wenn es etwas Größeres ist, zum Beispiel mehrere Betten ausgetauscht werden müssen oder die Küche, dann überlegen wir schon, wo wir das letzte Mal um Hilfe gebeten haben und wo wir jetzt um Hilfe bitten können", sagt Flöther. "Das ist manchmal auch eine demütigende Situation, weil es dem Betteln gleichkommt und wir das noch zusätzlich tun müssen, obwohl wir eine ganz wichtige und hoch anstrengende Arbeit machen."
Mehr als 400 Plätze fehlen
Dabei gibt es in Deutschland gesetzliche Grundlagen zum Schutz für Frauen in Not. Darin ist festgelegt, dass Deutschland "die erforderlichen gesetzgeberischen und sonstigen Maßnahmen" trifft, "um die Einrichtung von geeigneten, leicht zugänglichen Schutzunterkünften in ausreichender Zahl zu ermöglichen". Das soll passieren, "um Opfern, insbesondere Frauen und ihren Kindern, eine sichere Unterkunft zur Verfügung zu stellen", heißt es im Gesetzestext. In einer Empfehlung des Europarats werden dazu Mindeststandards genannt. Darin "wird eine sichere Unterkunft für Frauen in Frauenhäusern empfohlen, die auf alle Regionen verteilt sind und eine Familie pro 10.000 Einwohner aufnehmen können". Davon ist Niedersachsen aber weit entfernt. Das Frauenhaus Braunschweig hat beispielsweise zehn Plätze für Frauen, die vom Land gefördert werden. Nach dem Mindeststandard, sagt Gudrun Meurer vom Frauenhaus, müssten es aber 25 sein, da in Braunschweig derzeit knapp 250.000 Menschen leben. In ganz Niedersachsen fehlen bei dieser Grundlage mehr als 400 Frauenplätze.
In Hannover suchen viele Frauen mit Kindern Schutz. Hannover: Jeden Tag eine Frau abgewiesen Die Landeshauptstadt und die Region Hannover verfügen über drei Frauenhäuser. Auch sie haben gemeinsam ausgerechnet, wie viele Plätze fehlen. Weil auch hier viele Frauen mit Kindern Schutz suchen, haben sie den Mindeststandard des Europarats diesen Gegebenheiten angepasst. Statt der 10.000 Menschen berechnen die Frauenhäuser in Hannover 7.500 Menschen pro Frauen- und Kinderschutzplatz. "So kommen wir zu dem Ergebnis, dass in Hannover und Region 60 Plätze fehlen", sagt Sozialpädagogin Ute Schimpf. Sie und ihre Kolleginnen mussten im vergangenen Jahr jeden Tag eine Frau aus Platzmangel abweisen. Dass es landesweit mehr als 2.600 sind, überrascht die Mitarbeiterin nicht: "Frauen und ihre Kinder werden auch heute noch mit dem Problem alleine gelassen." Und fast wütend fügt sie hinzu: "Dass die Unterbringungsmöglichkeiten nicht reichen, das ist dann eben so. Vielleicht könnten die Frauen ja noch ein bisschen länger aushalten." Genau wie Ute Schimpf fordern viele weitere.