Minijobber sollten für die Polizei Kinderpornos sichten
Walter Bau
am 30.10.2017
Privatfirmen helfen der Polizei bei Kinderporno-Ermittlungen. Solch eine Firma aus Bayern suchte nun neue Leute – für Heimarbeit.
Berlin/München. Die Stellenanzeige klang etwas kryptisch: „Forensische(r) Bildauswerter(in)“ wurden gesucht, als Minijobber auf 450-Euro-Basis. Man benötige für die Tätigkeit lediglich einen PC und „etwas Erfahrung mit Computern“, stand da. Nach einer mehrtägigen Schulung könne man dann die Aufträge einfach zu Hause abarbeiten.
Wer sich dann unter der angegebenen Rufnummer meldete, erfuhr um was genau es bei dem Job ging: Die Minijobber sollten kinderpornografisches Material auswerten. Als eine Interessentin daraufhin entsetzt die Polizei alarmierte, wurde schnell klar: Die Firma, die die Anzeige aufgegeben hatte, arbeitete ganz legal selbst für die Ermittler. Kein Problem also?
Wer kontrolliert die Heimarbeit?
Doch. Zwar ist es nicht ungewöhnlich, dass die Polizei Privatunternehmen damit beauftragt, das oft riesige Datenmengen umfassende Material in Kinderporno-Ermittlungen zu sichten und zu ordnen. Das bayerische Innenministerium etwas spricht von „steigenden Fallzahlen u. a. im Bereich der Kinderpornografie und einem vervielfachten auszuwertenden Datenvolumen“. Dass eine Firma jedoch Mitarbeiter in Heimarbeit für den brisanten Job sucht, ist zumindest ein fragwürdiges Vorgehen.
Durch die Heimarbeit ist nicht zu kontrollieren, welche Personen Einblick in das Material bekommen – oder ob jemand die angezeigten Fotos womöglich vom Bildschirm abfotografiert. Ausgeschlossen ist ebenso wenig, dass jemand einen Bekannten auf den Fotos oder Videos entdeckt. Zudem stellt sich die grundsätzliche Frage, in wie weit ungelernte 450-Euro-Jobber für derart sensible und psychisch belastende Ermittlungstätigkeit überhaupt geeignet sind.
Polizei stoppt Zusammenarbeit
Laut einem Bericht der „Augsburger Allgemeinen“ bekam die Firma umgehend Besuch von der Polizei. Die Beamten hätten überprüft, ob sich das Gutachter-Büro an die Regeln halte, die für die Zusammenarbeit mit den Behörden gelten. Zudem sei die Zusammenarbeit mit Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaften erst einmal gestoppt worden.
Auch das bayerische Innenministerium ist inzwischen in den Vorgang eingeschaltet. Ein Sprecher erklärte auf Anfrage unserer Redaktion, man habe „den Fall zum Anlass genommen, unsere Polizeipräsidien nochmals ausdrücklich für die Kontrollpflichten zu sensibilisieren“.
Ministerium überprüft Kontrollmechanismen
Es gebe klar definierte Voraussetzungen für die Firmen, mit denen die Ermittler zusammenarbeiten, sagte der Sprecher weiter. Dazu gehöre die „sicherheitsrechtliche Überprüfung der Mitarbeiter“. Es dürften sich dabei „keinerlei Einschränkungen der Zuverlässigkeit durch strafrechtliche Verurteilungen oder durch sonstige Erkenntnisse anderer Behörden ergeben“.
Nun prüfe das Ministerium, „inwiefern die Voraussetzungen für entsprechende Beauftragungen von Firmen zukünftig verschärft werden müssen“.
Die Kripo beauftragt bei Kinderporno-Ermittlungen wegen der großen Datenmengen oft Privatfirmen. Doch wie sicher ist es, wenn 450-Euro-Kräfte diese Aufgabe in Heimarbeit erledigen? Von Jörg Heinzle
Wenn sie mit dem Sammeln einmal begonnen haben, können viele nicht mehr aufhören. Der frühere Augsburger Kinderarzt Dr. Harry S., 41, ist ein Beispiel dafür. Er wurde voriges Jahr verurteilt, weil er Kinder entführt und missbraucht hat. Die Ermittler fanden bei ihm Computer, Handys, Festplatten und Speichersticks – und darauf fast überall Kinderpornografie. So etwas auszuwerten, erfordert einen großen Aufwand. Bei Harry S. wurden am Ende exakt 57.333 Foto- und Videodateien gefunden. Darunter waren Aufnahmen, die unter anderem zeigten, wie Kleinkinder und Babys brutal vergewaltigt oder zum Sex mit Tieren gezwungen wurden.
Strafverfahren wegen des Besitzes von Kinderpornografie gehören für die Beamten der Kriminalpolizei zur traurigen Routine. Das Internet macht es einfach, sich solche Fotos oder Filme zu beschaffen. Und die Datenmengen, die bei den Beschuldigten gefunden werden, werden tendenziell immer größer. Bei der Auswertung des Materials greifen Ermittler deshalb schon seit Jahren auf die Hilfe von privaten Anbietern zurück. Vor allem Datenschützer haben schon länger Bedenken, ob es richtig ist, solche sensiblen Ermittlungsarbeiten nach außen zu vergeben. Nun scheint ein Fall im Großraum Augsburg nach Informationen unserer Zeitung diese Bedenken zu bestätigen. Bei einer IT-Firma, die für Polizei und Justiz tätig ist, haben offenbar überwiegend Frauen in Heimarbeit Datenträger mit Kinderpornografie ausgewertet.
Kinderpornos für die Kripo sortieren - auf 450-Euro-Basis
Gesucht wurden die Mitarbeiterinnen per Stellenanzeigen in Zeitungen und im Internet. Als „forensische(r) Bildauswerter(in)“, auf 450-Euro-Basis. Die Voraussetzungen für den Job laut der Anzeige: Man benötige nur einen Computer oder Laptop sowie „etwas Erfahrung mit Computern“. Nach einer vier- bis fünftägigen Schulung könne man dann die Aufträge, wann immer man wolle, einfach von zu Hause aus bearbeiten. Wer sich dafür interessierte und bei der Firma anrief, erfuhr, worum es genau geht. Nämlich um die Auswertung von Kinderpornografie. Die privaten Firmen haben in der Regel den Auftrag, die Dateien zu sortieren. Nach dem Alter der gezeigten Kinder und der Schwere des Missbrauchs.
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Eine Augsburgerin, die sich auf die Anzeige hin für eine Stelle bewerben wollte, war entsetzt, als sie die Details der Arbeit erfuhr. Man müsse dabei auch „vergewaltigte Babys“ anschauen, lautete die Auskunft, die sie am Telefon bekam. Die Frau schrieb einen Brief ans bayerische Innenministerium. Inzwischen haben die Behörden reagiert. Am Freitag voriger Woche besuchten Augsburger Kripobeamte unangekündigt die IT-Firma. Sie überprüften genau, ob sich das Gutachter-Büro an die Regeln hält, die für die Zusammenarbeit aufgestellt worden sind. Zudem wurde die Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz erst einmal gestoppt. In Polizeikreisen heißt es, man müsse den Fall nun genau anschauen und dann entscheiden, ob die Firma weiter mit der Erstellung von Gutachten in Ermittlungsverfahren beauftragt werden könne. Sie hat in der Vergangenheit unter anderem für die Kripo in Augsburg und Fürstenfeldbruck gearbeitet sowie für mehrere Staatsanwaltschaften in Bayern.
Kinderporno-Ermittlungen: Heimarbeit ist nicht kontrollierbar
Was den Ermittlern nach Informationen unserer Zeitung sauer aufstoßen ist, ist vor allem die Möglichkeit zur Heimarbeit. Wie es heißt, habe die Firma zwar dafür gesorgt, dass die Daten gut gesichert seien. So konnten die Dateien zum Beispiel auch nicht heruntergeladen werden. Durch die Heimarbeit sei aber eben nicht kontrollierbar, wer alles einen Blick auf den Bildschirm werfen kann – oder ob jemand die angezeigten Bilder nicht auch einfach abfotografiert. „Es kann ja zum Beispiel sein, dass jemand einen Bekannten auf den Fotos oder Videos entdeckt“, sagt ein Beamter. Auch die Frage, ob es ideal ist, ungelernte 450-Euro-Jobber für hochsensible und psychisch extrem belastende Ermittlungsarbeit einzusetzen, steht in dem Fall im Raum.
Wie es heißt, sind die Mitarbeiter der IT-Firma zumindest vorab alle gründlich gecheckt worden. Demnach mussten sie unter anderem ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und eine Geheimhaltungs-Erklärung unterschreiben. Auch regelmäßige Schulungen habe es gegeben. Im Justizministerium heißt es auf Anfrage unserer Zeitung, der Fall werde derzeit geprüft. Mehr könne man noch nicht dazu sagen.
Kritik an der Auslagerung von Ermittlungsarbeit gibt es schon länger. So sagte der Vizefraktionschef der Linken im Bundestag, Jan Korte: „Sensible persönliche Informationen und eventuell strafrechtlich relevantes und illegales Material gehören nicht in die Hände von Privaten.“ Ändern wird sich an der Praxis aber auf absehbare Zeit nichts. „Wir wären heillos überfordert, wenn wir die riesigen Datenmengen alle selbst auswerten müssten“, sagt ein Augsburger Kripobeamter. Das würde, meint er, nahezu die gesamte Kriminalpolizei lahmlegen.