Sohn gesteht Todesstiche auf Mutter FR. 02.08.2013, 16.40 UHR
Hamburg (dpa/lno) - Erst nach ihrem Tod war sie für ihn «keine Bedrohung» mehr: Ein 30-Jähriger hat vor dem Hamburger Landgericht gestanden, seine Mutter mit zahlreichen Messerstichen getötet zu haben. «Aus heutiger Sicht empfinde ich die Tat als furchtbar», sagte der Angeklagte am Freitag.
Er wünsche sich, alles ungeschehen machen zu können. Der Mann steht wegen Totschlags vor Gericht.
In einer vorbereiteten Erklärung schilderte er seine schwere Depression, seine Verzweiflung und seinen Selbsthass. Am Tattag Mitte Februar habe er sich wegen seiner «hoffnungslos gescheiterten Existenz» umbringen wollen und einen mehrseitigen Abschiedsbrief geschrieben. Er habe seiner Mutter den Brief gezeigt, aus dem Wunsch heraus: «Hoffentlich realisiert sie endlich, wie kaputt ich bin.» Statt ihn in den Arm zu nehmen, habe sie aber «kalt, boshaft und empathiefrei» reagiert.
Die 51-Jährige habe gesagt, sie bezweifle stark, dass «ein Versager wie du» es schafft, sich selbst zu töten. Da habe es bei ihm «Klick» gemacht - und er habe mit dem Taschenmesser, das er immer bei sich trug, zugestochen. An die blutige Attacke könne er sich aber nur «ausschnitthaft» erinnern: «Ich kam mir wie entrückt und ferngesteuert vor.» Während des Angriffs habe er nichts gefühlt, er sei sich wie ein «Zuschauer im eigenen Körper» vorgekommen.
Sein Verteidiger hatte bereits beim Prozessauftakt erklärt, er gehe davon aus, dass der 30-Jährige bei der Tat vermindert steuerungsfähig gewesen sei. Nach den Todesstichen alarmierte der 30-Jährige den Notruf. Ein Mitschnitt des minutenlangen Gesprächs wurde im Gerichtssaal vorgespielt. «Ich hab gerade meine Mutter umgebracht», sagte der Mann, der völlig aufgelöst wirkte, damals der Polizei.
Der Angeklagte fühlte sich als «Blitzableiter für alle Launen und Alkoholausbrüche» seiner Mutter: «Sie hat mich regelmäßig als psychischen Fußabstreifer missbraucht.» Diese schwierige Beziehung habe er für seine Probleme verantwortlich gemacht: Das Unvermögen, einen Partner zu finden, die Angst vor der Ablehnung anderer Menschen, die Angst zu versagen.
Er hatte erst vier Wochen vor der Tat an der Popakademie eine Ausbildung zum Singer/Songwriter begonnen, zuvor hatte er mehrere Studiengänge abgebrochen - darunter Soziologie, Ethnologie und Religionswissenschaften.
Der 30-Jährige beschrieb sich als Scheidungskind, das hin- und hergeschoben worden sei zwischen Tagesmutter und Großeltern. Immer wieder habe er sich an neue Partner der Mutter gewöhnen müssen, seinen jüngeren Halbbruder aber habe er geliebt.
Am Tattag habe die 51-Jährige ihm dann an den Kopf geworfen, sie wünschte, sie hätte seinen Vater und den Vater seines Bruders nie getroffen. «Sie sah mich mit einem Ausdruck kalten Hasses an, selbst als ihr Blick glasig zu werden begann», erklärte der Angeklagte. Sein ganzes Leben lang habe er eine «tiefgehende Angst» vor seiner Mutter gehabt.
Nach der Tat wollte er aus dem Fenster der Wohnung im sechsten Stock springen - habe es aber aus Sorge, zu überleben, nicht gemacht. Die Freundin seines Halbbruders schilderte die 51-Jährige als eine sehr emotionale, temperamentvolle und sarkastische Frau. «Sie war sehr wortgewandt. Worte waren ihre Waffe, sie wusste, wie sie die Leute trifft», sagte die Zeugin vor Gericht.
Auch der Halbbruder betonte: «Ihr Schwert war die Sprache.» Seine Mutter habe - wie er selbst und der Angeklagte - an einer Depression gelitten. «Wir sind alle halt ein bisschen depressiv gewesen. Familienkrankheit.»