Halle. Der Bordell-Angestellte wird am 29. Dezember 1999 vor dem "Kastanienhof" in Halle erstochen. Die Polizei fahndet nach zwei Kosovo-Albanern, Ridvan und Habib Muhamedi
Ungeklärte Kriminalf... Tod vorm Bordell: Zwei Männer auf der Flucht
30.07.2011
Von Bernd Kaufholz
In Sachsen-Anhalt werden Jahr für Jahr etwa 1500 sogenannte Kapitalverbrechen begangen - darunter rund 100 Tötungsdelikte. Die meisten Fälle werden aufgeklärt. Doch bleiben immer noch einige Straftaten übrig und die Täter unerkannt. Die Volksstimme nimmt sich in ihrer Sommerserie
gemeinsam mit Staatsanwaltschaft und Polizei einiger dieser Delikte an und fragt: Wer kann Hinweise geben?
Halle. Wie Natalja aus der Ukraine am Vormittag des 29. Dezember 1999 - nach langem Zögern ("Ich sage dazu gar nichts") - den Beginn des blutigen Geschehens schildert, bei dem Minuten später ein Mensch auf der Strecke blieb, ist in einigen Passagen mit großer Vorsicht zu genießen:
"Ich wohne seit dem 8. November 1999 im Zimmer 137 vom ,Kastanienhof'. Ich bin vier Tage vorher nach Deutschland gekommen, weil ich mit meinem Freund ein Auto kaufen wollte." Allerdings habe das Geld nicht gereicht. Deshalb sei sie in der Beesener Straße 226 untergekommen. Einer Arbeit gehe sie in Deutschland nicht nach, beteuert die 31-Jährige mit dem Touristenvisum im Pass.
"Am 28. Dezember bin ich gegen 24 Uhr ins Bett gegangen. Zuvor hatte ich noch mit meiner Mutter in der Ukraine telefoniert."
Es müsse so gegen zwei, drei Uhr gewesen sein, da habe plötzlich ein Mann in ihrem Zimmer gestanden. "Ich habe gefragt: Warum kommen? Weiß nicht, was er geantwortet hat."
Sie habe zur Tür gedeutet, um dem Mann zu zeigen, dass er verschwinden solle. Doch er sei "aggressiv" geworden. "Ich habe die Rezeption angerufen, wegen Hilfe."
Soweit die Version der Frau, die nichts davon gewusst haben will, dass sie in einem stadtbekannten Bordell Halles untergekommen war. Die "nicht mal ahnte", dass Frauen - bevorzugt aus Osteuropa - dort anschaffen gehen.
Tödliche Messerattacke vor dem Bordell
Kurz vor drei Uhr hat Maik Zurbuchen Dienst im Eingangsbereich des Etablissements. Er ist so etwas wie der "Aufpasser". Der 34-Jährige hat unter anderem die Aufgabe, im Falle von Unstimmigkeiten zwischen Freiern und Frauen einzugreifen.
Der Puff-Wächter schnappt sich nach dem Anruf Nataljas seinen "Texas Bull", einen Baseballschläger, und läuft zum Zimmer 137. In der 1. Etage kommt es zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit dem angeblich renitenten "Gast".
Zurbuchen schlägt mindes-tens zweimal mit dem schweren Holz zu. Dann jagt er den Mann, mit den Platzwunden und Beulen am Kopf, die Treppe des ehemaligen "Klubhauses der Pumpenwerker" hinunter.
Draußen steht ein weißer Golf II. Davor haben sich zwei Männer postiert. Als diese sehen, dass der Bordell-Besucher traktiert wird, ergreifen sie für ihren Kumpel Partei. Einer der Männer zieht bei der folgenden Auseinandersetzung ein Messer und stößt es gegen die linke Hüftgegend Zurbuchens.
Der 34-Jährige bricht zusammen. Die drei Männer steigen eilig in den VW und fahren Richtung Südstadt.
Zurbuchen verblutet nach zwei Stichen mit einem Messer, Klingenlänge zwölf Zentimeter, wie die Rechtsmedizin später feststellt.
Brüder mit langer Vorstrafenliste
Staatsanwalt Klaus Wiechmann zu den Ermittlungen unmittelbar nach der Tat: "Ein Zeuge, der ebenfalls im ,Kastanienhof' gearbeitet hat, konnte das Auto, das später auch gefunden wurde, beschreiben. Und die Angaben zu den drei Männern haben uns bald auf eine heiße Spur gebracht." Vieles deute darauf hin, dass es sich bei ihnen um polizeibekannte Kosovo-Albaner handelt.
Der Mann, der im Zimmer 137 bei Natalja aufgekreuzt war und möglicherweise Geld eintreiben wollte, war mit gro-ßer Sicherheit Habib Muhamedi, geboren am 12. Mai 1970. Derjenige, der für die tödlichen Messerstiche verantwortlich gewesen ist, könnte sein Bruder Ridvan (alias Ali Krasniqi), geboren am 7. September 1977, gewesen sein.
Die Muhamedi-Brüder sind nach der Bluttat am "Kastanienhof" wie vom Erdboden verschluckt. "Abgetaucht" nennt es der Staatsanwalt. Beide haben eine lange Latte von Vorstrafen. Allein in Habibs Regis-ter sind damals bereits zehn Eintragungen zu finden: unter anderem Körperverletzung, Betrug, Diebstahl.
Und auch sein kleiner Bruder Ridvan ist einschlägig vorbestraft, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung.
"Spuren, die während der komplexen Ermittlungen ausgewertet wurden, bekräftigten den Tatverdacht", sagt Wiechmann. So erließ das Amtsgericht Halle im Juni 2000 Haftbefehl. Inzwischen wird nach den Muhamedi-Brüdern mit europäischem Haftbefehl gefahndet, ein internationaler ist in Vorbereitung. Fotos und Personenbeschreibungen wurden ins sogenannte Schengener Informations-System eingestellt.
Obwohl seit dem Totschlag bereits zwölf Jahre vergangen sind, hat die Staatsanwaltschaft Halle die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die Tatverdächtigen gefasst werden.