Ein Mordprozess ohne Leiche und Tatwaffe Gerd Niewerth am 21.03.2010 um 15:42 Uhr
Paris.. Der Kriminalfall Suzanne Viguier zählt zu den spektakulärsten der jüngeren französischen Justizgeschichte. Seit Februar 2000 wird sie vermisst. Nun beginnt ein Indizienprozess ohne Leiche und Geständnis, ohne Tatwaffe und Motiv.
Was genau passiert in der Nacht des 27. Februar 2000 mit der hübschen Suzanne Viguier? Eine Frage, die ganz Frankreich seit zehn Jahren aufwühlt. Um 4.30 Uhr, soviel steht fest, hat die damals 38-Jährige noch gelebt.
Das kann ihr Liebhaber bezeugen, denn der setzt die Tanzlehrerin damals vor ihrem ehelichen Haus im südfranzösischen Toulouse ab. Ist es dann zu einem tödlichen Streit gekommen, in dem ihr Mann Jacques die Kontrolle verliert? Hat er sie gar heimtückisch ermordet und die Tote kaltblütig beiseite geschafft? Oder lebt sie noch und liegt quicklebendig irgendwo an einem Südseestrand?
Der Kriminalfall Viguier zählt zu den spektakulärsten der jüngeren französischen Justizgeschichte. Drei Wochen lang versuchte das Schwurgericht im südfranzösischen Albi nun, in einem Aufsehen erregenden Berufungsprozess Licht in diesen mysteriösen Fall zu bringen. Es ist ein Indizienprozess ohne Leiche und Geständnis, ohne Tatwaffe und Motiv. Ein packendes Spektakel, ganz nach dem Geschmack der Neugierigen, die täglich vor dem Justizpalast Schlange stehen und um die besten Zuschauerplätze ringen.
Der Rechtsprofessor, für den die Staatsanwälte später 15 bis 20 Jahre fordern werden, sitzt wie ein Häufchen Elend auf der Anklagebank: wortkarg, leidend, taumelnd wie ein angezählter Boxer. „Er weiß sich nicht zu verteidigen“, platzt es mitten in der Verhandlung aus seiner verzweifelten Tochter Clémence heraus. „Wie uns das aufregt, dass Papa nicht reagiert“, schreit sie durch den Saal. Sie und die beiden Zwillingsgeschwister stehen treu zu ihrem Vater. Auch die Schwiegermutter hält ihn nicht für den Mörder ihrer Tochter Suzy, wie sie von allen genannt wurde.
Schwager bleibt wie immer gefasst
Ganz anders reagieren seine beiden Schwägerinnen Hélène und Carole, die als kämpferische Nebenklägerinnen auftreten. Carole, die Jüngere, verliert mehrfach die Contenance. „Du hast sie getötet, das ist widerlich“, brüllt sie ihn mit tränenerstickter Stimme an. „Sag mir in die Augen, dass du es getan hast!“ Aber der 52-jährige Schwager bleibt wie immer gefasst. „Nein, ich habe sie nicht umgebracht.“
Suzys Verschwinden bleibt ein Rätsel. Was haben die Blutflecken zu bedeuten, die die Fahnder damals entdeckten? Warum verbrannte Jacques Viguier am Tag nach dem Verschwinden die Matratze, auf der Suzy schlief?
Merkwürdig auch, dass er das Verschwinden seiner Frau erst Tage später zur Anzeige brachte. Suzys Schlüssel fanden sie im Haus, aber das war damals abgeschlossen. „Ist Madame Viguier etwa durch den Schornstein entschwunden?“, fragt der Anwalt der Schwägerinnen.
Nun, die Ehe der Beiden bestand damals nur noch auf dem Papier. Dabei waren sie anfänglich ein Bilderbuchpaar. Er, der gut aussehende und erfolgreiche Jura-Dozent, verliebt sich auf einem Uni-Fest in die hübsche Studentin. Schnell steigt Jacques, der als „überdurchschnittlich intelligent“ gilt, auf.
Er ist ein Karriere-Gelehrter, aber auch ein charmanter Sonnyboy, der amourösen Affären mit seinen überwiegend jungen Bewunderinnen keineswegs abgeneigt ist. Am Ende betrügt sich das Paar gegenseitig, wissentlich, aber Suzy dringt nun auf Scheidung. Möglicherweise, so wird vermutet, will Jacques Viguier jedoch nach außen den Schein des Familienidylls waren. Wem alles gelingt, dem darf die Frau doch nicht einfach davon laufen.
Aber in diesem Indizienprozess zählen nicht Mutmaßungen und „innere Überzeugungen“, es entscheiden die Fakten. Und die sprechen für den Angeklagten. Es ist am Samstag um kurz nach fünf, als das Schwurgericht das Urteil verkündet: Freispruch. Die „Viguier-Sympathisanten“ brechen in donnerndem Applaus aus, und Clémence fällt ihrem regungslosen Vater minutenlang um den Hals. Endlich ist er ein freier Mann.
Suzanne Viguier wird endlich wiedergefunden - Soula, Costa de
Im Februar 2000 verschwindet Suzanne Viguier in Südfrankreich spurlos. Des Mordes dringend verdächtig ist ihr Ehemann. Da ihm nichts nachgewiesen werden kann, wird er schließlich nach zehn Jahren freigesprochen. Doch ein Nachbar des Opfers macht sich seine eigenen Gedanken und kommt einem fast perfekten Verbrechen auf die Spur.
5. März 2010, 10:59 Uhr Frankreich Ein Mordfall à la Hitchcock
Feedback In Frankreich steht ein Juraprofessor vor Gericht, dessen Frau vor zehn Jahrenverschwand. Das Land rätselt: Handelt es sich um einen fast perfekten Mord oder wird ein unbescholtener Bürger gejagt?
Von Stefan Ulrich, Paris Jacques Viguier erinnert sich genau an jenen Abend vor vielen Jahren, als er seine spätere Frau Suzanne auf einem Universitätsfest lieben lernte. "Sie schwenkte eine Champagnerflasche und begoss mich damit", erzählte Viguier jetzt vor einem Berufungsgericht im südfranzösischen Albi. "Es war eine prickelnde Begegnung." Der Angeklagte war damals ein junger Juradozent, Suzanne eine Studentin.
Heute ist Viguier Rechtsprofessor, und Suzanne ist tot. So wird jedenfalls vermutet. Denn eine Leiche wurde nie gefunden. Auch gibt es weder eine Tatwaffe noch ein Geständnis.
Das alles macht die Aufgabe der Staatsanwaltschaft so schwer, den Juristen zu überführen. Vor einem Jahr wurde er bereits freigesprochen. Nun, in der Berufung, muss eine Jury darüber befinden, ob der 52 Jahre alte Hitchcock-Fan einen fast perfekten Mord beging - oder nur das Opfer übereifriger Ankläger ist.
Suzy, wie sie ihre Freunde nannten, wurde das letzte Mal lebend am 27. Februar 2000 um 4.30 Uhr in der Frühe gesehen. Zu dieser Zeit will sie ein Liebhaber vor dem ehelichen Haus in Toulouse abgesetzt haben, wo sie mit Viguier und den drei Kindern lebte.
Die Ehe war damals längst gescheitert, die 38 Jahre alte Tanzlehrerin Suzy wollte die Scheidung. Dabei hatte alles so prächtig begonnen. "Wir funktionierten sehr gut zusammen und waren so stark ineinander verliebt", sagt Viguier. Doch dann sei im Jahr 1991ein gemeinsamer Sohn tot geboren worden. Seitdem habe sich "ein Graben aufgetan", der durch die vielen Liebschaften des Professors vertieft wurde. Auch Suzy sah sich anderweitig um - und fand Gefallen an einem Tarot-Spielpartner. Die Eheleute aber gingen sich im Haus aus dem Weg, wenn sie nicht gerade stritten. Bis Suzy plötzlich verschwand.
Der Angeklagte versichert: "Ich habe ihr nie ein Haar gekrümmt." Die Staatsanwaltschaft aber hält ihm allerlei merkwürdiges Verhalten vor. So zeigte er das Verschwinden seiner Frau erst nach Tagen an, angeblich will er es vorher nicht bemerkt haben. Eine Matratze, auf der Suzy im Salon schlief, schaffte er am 28.Februar 2000 auf eine Müllkippe, wo sie verbrannte. Die Spurensicherung fand an mehreren Stellen im Haus zahlreiche Blutflecken. Doch diese Indizien dürften kaum reichen, einen Mann des Mordes zu überführen.
Skeptische Schwägerinnen Die Familie des Paares ist gespalten. Während die Kinder und die Schwiegermutter fest an die Unschuld Viguiers glauben, sind seine Schwägerinnen von seiner Schuld überzeugt. Im Berufungsprozess sollen nun bisher nicht verwertete Telefonmitschnitte geprüft werden, die die Gespräche Viguiers in den Wochen nach dem Verschwinden seiner Frau enthalten. "Das wird alles ändern, Sie werden sehen!", prophezeit ein Anwalt der Schwägerinnen. Doch auch die Verteidigung gibt sich zuversichtlich und setzt auf Offensive. Sie will demonstrieren, dass die Staatsanwälte den Angeklagten auf Grund vager Indizien obsessiv verfolgten.
Die Wahrheit in diesem Mordprozess ohne Leiche zu ermitteln, ist schwierig bis unmöglich, solange vom möglichen Opfer jede Spur fehlt.