Der Fall Koller: Schwertmord in Abensberg Im Mai 1999 wird ein Fitnessstudio-Besitzer brutal niedergestochen. Der Prozess gegen einen Tatverdächtigen wird Jahre später zur Farce. MARIO GEISENHANSLÜKE, NINA SCHELLKOPF 27. Mai 2017
Abensberg. Es ist der 27. Mai 1999. Peter "Pit" Koller verlässt gegen 21.30 Uhr sein Fitnessstudio an der Ecke von Römer- und Traubenstraße. Er setzt seinen Helm auf und will auf sein Motorrad steigen. Dann trifft er seinen Mörder. Beide liefern sich ein Wortgefecht. Koller versucht nach einem ersten kleinen Handgemenge zu flüchten. Er schafft es bis zu einer Wiese in der Nähe der Gleise. Doch weiter kommt er nicht. Sein Mörder, der mit einem Samurai-Schwert bewaffnet ist, holt ihn ein und sticht zweimal zu. Koller sackt zusammen. Dann rammt ihm sein Mörder das Schwert mit beiden Händen von oben durch die Brust. Auf einem Grünstreifen neben dem Bahndamm, auf dem die Züge zwischen Ingolstadt und Regensburg fahren, stirbt Peter Koller.
Nachbarn hören, wie er um sein Leben schreit. Sie rufen um 21.35 Uhr die Polizei, während der Täter flüchtet. Dabei verliert er die Schwertscheide der Mordwaffe, die er offenbar selbst angefertigt hat, und rast in einem roten Kombi mit quietschenden Reifen davon.
"Der gewaltsame Tod von Pit hat uns alle in einen tiefen Abgrund gerissen." aus einem Rundschreiben an die Mitglieder von Pit Kollers Fitnessstudio
Der Notarzt kann nur noch den Tod des 38-Jährigen feststellen. Zu diesem Zeitpunkt gehört ihm das "Fitness-Center Abensberg – Pit's Gym II". Am Tag nach dem Mord hängt ein Zettel an der Tür. Auf ihm ist zu lesen: "Wegen Trauerfall vorübergehend geschlossen". Die Mitglieder des Fitnessstudios bekommen kurz nach dem Mord außerdem ein Rundschreiben, in dem unter anderem zu lesen ist: "Der gewaltsame Tod von Pit hat uns alle in einen tiefen Abgrund gerissen."
Die Ermittlungen Dort, wo Peter Koller ermordet wurde, steht heute noch ein großes Kreuz. Freunde haben es aufgestellt. Sie und die Polizei sind sich schon direkt nach der Tat sicher, den Mörder zu kennen: Stefan S., der einmal Kollers Fitnessstudio gepachtet hatte. Beide waren seit langem zerstritten. Koller hatte kurz vor seinem Tod das Studio von Stefan S. zurückbekommen – nach einem jahrelangen Streit vor Gericht. Koller hatte gegenüber der Mittelbayerischen Zeitung erklärt, welche großen Pläne er nun für das Fitnessstudio habe, welches er 1988 selbst aufgebaut hatte und das nun wieder ihm gehörte. Ein paar Tage später ist er tot.
Im Oktober 1998 hatten sich Pit Koller und Stefan S. außerdem im Studio geprügelt. Im Zuge dieser Schlägerei stahl Stefan S. rund 50.000 Mark. Außerdem brach er Koller das Nasenbein und fügte ihm Platzwunden zu. Blutspritzer an den Wänden des Studios sollen noch zum Zeitpunkt des Mordes von dieser Auseinandersetzung gezeugt haben. Wegen dieser Tat wird er auch später – nach dem Tod Kollers – zu zwei Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt werden.
Die Polizei ist sich also im Prinzip sicher: Der 21-jährige Stefan S. hat Pit Koller umgebracht, weil er sich von ihm gedemütigt fühlte und Rache nehmen wollte. Auch ein Phantombild, das nach Zeugenaussagen angefertigt wird, sieht ihm ähnlich. Doch Stefan S. wird im Jahr 1999 nicht verhaftet. Der Grund: Er kann ein lückenloses Alibi vorweisen. Während der Tat war er in München und stand im Stau.
Polizei konzentriert sich auf die Tatwaffe
Dann konzentrieren sich die Ermittlungen auf die Tatwaffe und die selbstgebaute Schwertscheide, die der Täter am Tatort verloren hat. Als Mordwaffe diente ein japanisches Ninja-Kampfschwert. Diese Waffe ist auch bekannt als "Säbel" oder "Samurai-Schwert". Ein Mitarbeiter der Kriminalpolizei Landshut erklärt damals: "Es besitzt eine etwa 40 Zentimeter lange, gebogene Klinge, wie man es öfter in Filmen sieht."
Die Polizei veröffentlicht außerdem Bilder von der Schwertscheide. Sie ist 67 Zentimeter lang, vier Zentimeter breit und ebenfalls leicht gebogen. Die Schatulle wurde – wohl vom Täter selbst – aus zwei Holzleisten gefertigt und dann mit einem schwarzen Stoffband umwickelt. Mit einer grauen Kordel war ein Tragegurt befestigt, der möglicherweise von einer Sporttasche stammt.
Der Täter, von dem die Polizei zwischenzeitlich glaubt, dass er der letzte Gast im Fitnessstudio gewesen sein könnte, wird so beschrieben: 18- bis 25 Jahre alt, 1,70 bis 1,80 Meter groß, athletisch, kurze und dunkle Haare. Außerdem soll er ein auffälliges Nasenpflaster getragen und mit einer dunklen Sporthose, einem schwarzen T-Shirt mit weißem Aufdruck auf dem Rücken und weißen Sneakern bekleidet gewesen sein.
Doch die Ermittler kommen nicht weiter. Die Polizei greift zu immer öffentlichkeitswirksameren Methoden. Es werden Fahndungsplakate aufgehängt – von München bis Passau und besonders in Abensberg, Neustadt und Kelheim. Im Juli 1999 gibt es außerdem eine sogenannte Studiofahndung in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY": Es wird kein nachgestellter Beitrag des Mordes gezeigt, aber im Studio werden den Zuschauern das Phantombild und die Bilder der Schwertscheide gezeigt.
Aufzeichung der Sendung "Aktenzeichen XY" vom 16. Juli 1999. Der Beitrag über den Mord in Abensberg beginnt etwa bei 5:20 Minuten.
Der erste Prozess
Im Jahr 2000 steht Stefan S. dann vor einem Schöffengericht in Kelheim – allerdings nicht wegen Mordes an dem Abensberger Fitnessclub-Besitzers. Es geht um die Schlägerei, die rund ein halbes Jahr vor dem Mord stattfand. Der Fall ist verzwickt. Stefan S. soll zu Beginn seiner Pacht 50.000 Mark an Koller in bar für dessen Kundenkartei gezahlten haben. Um den Vertrag vorzeitig aufzulösen, wollte Koller das Geld zurückgeben. Zu diesem Zweck treffen sich beide am 21. Oktober 1998. Doch es kommt zum Streit und Stefan S. nimmt das Geld gewaltsam an sich.
Dass es ein geplanter Raub gewesen sei und Stefan S. vorgehabt habe, Koller anzugreifen, schließt Richter Dr. Clemens Prokop aus der Aussage eines Zeugen. Dieser gibt zu Protokoll, er habe sich auf die Bitte von Stefan S. hin hinter der Trennwand des Solarium-Bereichs verstecken und auf das Stichwort "Hilfe, Hilfe" hervortreten sollen.
Vor Gericht erzählt Stefan S. jedoch eine ganz andere Geschichte – und will auch von dem Geld nichts gesehen haben. Das überführt ihn als Lügner. Denn Koller hatte die Nummern von 50 1000-Mark-Scheine registrieren lassen und 37 von ihnen waren bei einem Grundstückskauf aufgetaucht. Mit dem Geld wollte eine Freundin von Stefan S. ein Areal kaufen, auf dem ein eigenes Fitness-Center gebaut werden sollte. Stefan S. hatte dieses Vorhaben damals groß öffentlich angekündigt. Kurze Zeit steht auf diesem Grundstück auch eine Bautafel, doch mehr wird aus dem Projekt nicht.
Dieses Holzkreuz erinnert noch heute in Abensberg an die Ermordung von Pit Koller. Foto: MZ-Archiv Neben diesen Hinweisen und Unstimmigkeiten in Stefan S. eigener Darstellung, belastet ihn auch ein weiterer Zeuge. Ihm soll Stefan S. nach der Schlägerei mit Blick auf die Blutspritzer gesagt haben: "Ich habe schon lange auf diese Gelegenheit gewartet."
Und plötzlich spielt auch der Mordfall Koller wieder eine Rolle. Denn der erste Zeuge, der hinter der Wand warten sollte, äußert sich nebulös. "Ich werde gar nichts mehr sagen, mir ist das zu gefährlich." An den Richter gewandt sagt er: "Sie wissen doch, dass der Koller tot ist, und der Mörder noch frei herumläuft." Der Richter will wissen, was der Zeuge weiß. Er sagt: "Ich weiß gar nichts. Es kann jeder sein." Damit wiederum gibt sich der Staatsanwalt jedoch nicht zufrieden und bohrt weiter. Am Ende fragt er den Zeugen, was überhaupt denn dieser Fall mit dem Mordfall sieben Monate später zu tun habe. Der Zeuge sagt: "Ich hab zwar nur Hauptschulabschluss, kann aber auch ein bissl denken."
Danach verweigert er jede weitere Aussage. Stefan S. wird wegen Raubes und vorsätzlicher Körperverletzung zu zwei Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Eine Berufung scheitert. Stefan S. geht ins Gefängnis. Die Ermittlungen zum Mord an Pit Koller geraten ins Stocken.
Der zweite Prozess
Dann im November 2005 die Wende: Stefan S. – mittlerweile 29 Jahre alt – wird verhaftet. Eine Ex-Freundin, mit der er zusammen einige Zeit auf Mallorca lebte, sagt aus, er habe ihr gegenüber den Mord an dem Abensberger Fitnessclub-Besitzer gestanden. 19 Monate lang sitzt der 29-Jährige in Untersuchungshaft, bis Anklage erhoben wird. Am 12. Februar, einem Montag, beginnt der Prozess. Ein Prozess, der den Mordfall "Pit Koller" abschließen und Stefan S. hinter Gitter bringen soll. Doch es wird ein Prozess, an dessen Ende selbst die Oberstaatsanwältin einen Freispruch fordern muss.
"Die Polizei hat unserem Mandanten 19 Monate seines Lebens geraubt". Strafverteidiger Prof. Dr. Jan Bockemühl
Vom "peinlichen Ende einer Mordanklage" schreibt die Süddeutsche Zeitung, nachdem der Prozess gegen Stefan S. in Regensburg nach 19 Monaten U-Haft und drei Monaten Prozessdauer mit einem Freispruch endet und die Polizei unter Beschuss gerät. Besonders drastisch gehen in ihren Plädoyers die Verteidiger des Angeklagten, Michael Haizmann und Jan Bockemühl, die Ermittler an. Haizmann sagt, die Polizei habe in skandalöser Weise manipulativ ermittelt. Bockemühl sagt: "Die Polizei hat unserem Mandanten 19 Monate seines Lebens geraubt". Und sogar Richter Klaus Nußstein spricht in seinem Urteil von Pannen.
Mehr als acht Jahre nach dem Prozess spricht Prof. Dr. Jan Bockemühl im Videointerview über den Prozess gegen seinen damaligen Mandaten Stefan S..
Die Ermittlungspannen
Aus heutiger Sicht lesen sich die Berichte über den Prozess wie ein schlechtes Drehbuch. So wurde das erste Alibi von Stefan S. – Zeugen sagten aus, ihn kurz vor und kurz nach der Tatzeit in München gesehen zu haben – nie richtig geprüft. Normalerweise dauert die Fahrt rund 50 Minuten, doch Stefan S. sagt, er habe im Stau gestanden. Die Verteidiger fordern, die Polizei möge die Verkehrsverhältnisse an dem Tag ermitteln. Doch nichts passiert.
Ebenfalls nur halbherzig gehen die Ermittler einem Hinweis von Kollegen aus Ingolstadt nach. Sie weisen auf einen Mann hin, der dem Phantombild ähnelt, ein rotes Auto fährt, Verwandtschaft in Abensberg hat – und schon einmal jemanden mit einem Schwert angegriffen hat. Der Mann wird am Telefon gefragt, ob er etwas mit dem Mord zu tun habe. Das verneint er. Damit ist für die Ermittler die Sache offenbar erledigt.
Dazu kommt augenscheinlich die bewusste Manipulation von Akten. Einen Zeugen, dessen Aussage Stefan S. entlastet, erklärte die Kripo in ihrem Abschlussbericht für verstorben. Doch der Zeuge weilt zum Zeitpunkt des Prozesses sehr wohl noch unter den Lebenden.
Endgültig jedoch bricht die Anklage in sich zusammen, als sich die 37-jährige Spaniern, gegenüber der Stefan S. den Mord gestanden haben soll, vor Gericht in Widersprüche verstrickt. Mit ihr hatte Koller sich zwischen dem Ende seiner Haftstrafe und seiner Festnahme auf Mallorca eine Wohnung geteilt. Doch ihre Aussage ist wirr und stimmt teilweise nicht mit dem objektiven Tathergang oder mit ihrer früheren Aussage überein. Dazu kommt, dass die Zeugin wegen einer Mischung aus kärtnerischem Dialekt und spanischen Akzent schwer zu verstehen ist. Die Verteidigung fordert eine Bild- und Tonaufzeichnung. Das wird abgelehnt. Auch auf die Hinzuziehung eines Dolmetschers wird verzichtet – im Hinblick auf die Authentizität. Denn Stefan S. Aussagen ihr gegenüber sollen in Deutsch gefallen sein. Die Hauptbelastungszeugin wird schließlich als unglaubwürdig eingestuft.
Am Ende muss selbst Oberstaatsanwältin Elfriede Schütz eingestehen, dass die Beweise und Indizien für eine Verurteilung nicht ausreichen. Stefan S. wird freigesprochen und entschädigt. Der Mord an Pit Koller ist weiterhin ungeklärt.
In diesem Audiointerview spricht MZ-Redakteur Manfred Forster, der 1999 und später viel über den Mordfall in der Mittelbayerischen Zeitung geschrieben hat, über den Fall Koller.
Hinweise im Fall Koller / hier fehlen noch Infos von der Polizei
Auch wenn der Mord in Abensberg inzwischen schon fast 20 Jahre zurückliegt, haben die Ermittler ihn noch nicht zu den Akten gelegt. Immer wieder wird an den sogenannten "Cold Cases" gearbeitet, Hinweise und Spuren neu asserviert und bewertet und DNA-Spuren verglichen. Denn: Mord verjährt nicht!
Im Fall Koller ist immer noch eine Belohnung in Höhe von 5000 Euro ausgesetzt. Hinweise nimmt die Kriminalpolizei Landshut unter der Telefonnummer (0871) 92522999 sowie jede andere Polizeidienststelle entgegen.