Der Fall Brunner: Brutaler Raubmord an einer Witwe Im August 1966 wird eine 68-jährige Frau in ihrem Haus in Leonberg erstochen und beraubt. Vom Täter fehlt bis heute jede Spur... Nina Schellkopf, Mario Geisenhanslüke 04. März 2017
Leonberg. Es ist der 12. August 1966, ein warmer Sonntagnachmittag, als der Eisenwerkarbeiter Anton S. aus Winkerling eine grauenvolle Entdeckung macht.
Zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter ist er unterwegs zu seiner Großtante Anna Brunner, die zurückgezogen in Leonberg in einem kleinen Häuschen im Kuchlweg 19 wohnt. Er will mit der 68-jährigen Witwe den Ausflug zu einem Kirchenfest besprechen. Als der 35-Jährige gegen 15 Uhr an die Haustür tritt, wundert er sich: In der Türklinke steckt noch der Burglengenfelder Anzeiger vom Vortag. Er klingelt, doch Anna Brunner öffnet nicht. Er spricht mit den Nachbarn, doch auch diese haben die ältere Dame seit Tagen nicht gesehen.
S. erinnert sich an die Worte seiner Tante, die vor einigen Jahren ernsthaft krank war: Wenn sie einmal nicht die Tür öffnen würde, solle er versuchen, sich über das Schlafzimmerfenster Zutritt zum Haus zu verschaffen.
Der Eisenwerkarbeiter geht ums Haus herum. Mit einer Eisenstange hebelt er das Fenstergitter auf und klettert hinein. Dort bietet sich ihm ein Bild der Verwüstung: Gegenstände liegen über das ganze Zimmer verteilt, die Schränke sind aufgerissen, die Schubladen des Nachtkästchens stehen offen, das Bett ist durchwühlt.
Im angrenzenden Zimmer sieht es ähnlich aus. S. geht weiter in die Küche des kleinen Häuschens. Dort liegt seine Großtante Anna in einer großen Blutlache auf dem Fußboden – neben der Leiche zwei zerschlagene Bier- und eine Weinflasche ohne Boden. Auf dem Küchenschrank finden sich zwei leere Geldbörsen. Schmuck und Sparbuch sind verschwunden, den Haustürschlüssel hat der Mörder offensichtlich mitgenommen.
Wie die Obduktion später ergeben wird, wurde Anna Brunner mit einem stumpfen Gegenstand niedergeschlagen. Die Frau muss sich heftig gegen ihren Mörder gewehrt haben. Es finden sich Spuren eines Kampfes. Todesursache waren jedoch mehrere Stiche mit einem schmalen Messer oder einem Stilett. Rücken, Hals und Brust der Frau wiesen insgesamt neun Einstiche auf. Die Witwe ist innerlich verblutet. Die Tatwaffe wurde bis heute nicht gefunden.
Die Ermittlungen Es ist der 25. November 2016, ein grauer Herbstvormittag. Ein Lkw blockiert den schmalen Kuchlweg im beschaulichen Leonberg. Ein Schlauch führt in ein nahe gelegenes Haus. Hier wird Heizöl angeliefert. Direkt gegenüber muss sich einst die Hausnummer 19 befunden haben. Doch das einfache Häuschen von Anna Brunner ist längst verschwunden – und auch von ihrem Mörder fehlt bis heute jede Spur.
Ein Raubmord – darauf tippen die ermittelnden Beamten damals. Oder zumindest hat es der Täter am Tatort so aussehen lassen: Sämtliche Zimmer und Behältnisse sind durchwühlt, Matratzen hochgehoben worden. Die Polizeibeamten finden zwei leere Geldbörsen am Tatort. Sparbuch und etwas Schmuck hat der Unbekannte offensichtlich mitgenommen oder verschwinden lassen. Dennoch wirft der Fall – damals wie heute – viele Fragen auf.
Kannte Anna Brunner ihren Mörder? So fehlen zum Beispiel Spuren eines Einbruchs: Die Haustür ist verschlossen, alle Fensterläden sind heruntergelassen. Hat Anna Brunner ihren Mörder selbst ins Haus gelassen? Die 68-Jährige ist seit 22 Jahren Witwe. Ihr einziger Sohn Leonhard ist im Zweiten Weltkrieg gefallen. Sie lebt alleine und zurückgezogen in dem kleinen Häuschen am Kuchlweg. Zumindest das muss der Mörder gewusst haben. Da sind sich die Leonberger damals sicher.
Kannte sich Täter und Opfer also? Das kann die Kriminalpolizei nicht ausschließen. Möglicherweise hat derjenige versucht, sich von der hilfsbereiten Dame Geld zu borgen, so die Vermutung. Doch, wenn wirklich Geldgier das Motiv war, warum suchte er sich ausgerechnet Anna Brunner als Opfer aus? Es war nämlich ebenfalls bekannt, dass die tiefreligiöse Frau in eher bescheidenen Verhältnissen lebte, von lediglich 280 Mark Rente.
Aufgrund der Tatumstände gehen die Ermittler in jedem Fall davon aus, dass Brunners Mörder im Affekt gehandelt hat. Doch schon bei der Tatzeit können wieder nur grobe Schätzungen herangezogen werden: Irgendwann zwischen Freitag und Sonntag, heißt es. Genauere Angaben sind nicht möglich, denn gehört haben will niemand etwas – zur Verwunderung von Nachbarn und Kriminalbeamten. Laut Obduktionsbericht soll sich Anna Brunner nämlich heftig gegen ihren Mörder zur Wehr gesetzt haben. Niemand hat etwas Verdächtiges wahrgenommen, dabei hätte beispielsweise ein Fremder in dem kleinen Dorf eigentlich sofort auffallen müssen.
Zwei Verdächtige scheiden aus Mehr als zwei Dutzend Verdächtige werden von der Polizei verhört, Finger- und Handflächenabdrücke genommen. Doch die Kriminalisten kommen keinen Schritt weiter. Mehr als ein Monat vergeht, dann der vermeintliche Durchbruch: Ein 15-jähriger Maurerlehrling aus Leonberg gesteht den Mord.
Sein Motiv: "Ich wollte Geld". Doch die Polizei hält sein Geständnis für unglaubwürdig. Der Junge wird wieder auf freien Fuß gesetzt. Im September 1972 – gut sechs Jahre nach der Tat – gerät ein Bauarbeiter in Geldnöten ins Visier der Ermittler. Doch auch bei ihm ergibt sich am Ende kein konkreter Tatverdacht.
Das Einzige, was die Polizei auf Grund der Obduktion über den Täter sagen kann, ist, dass er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Rechtshänder war. Ob er noch lebend gefasst wird? Mit jedem Jahr, das vergeht, wird es unwahrscheinlicher, dass der Mörder von Anna Brunner noch zur Rechenschaft gezogen werden kann.