Neuer Blick auf einen alten Mord: Vor 50 Jahren wurde die Morbacherin Anna Wilbert in ihrem Haus getötet
(Trier) Im zweiten Teil unserer Serie „Ungelöste Kriminalfälle“ geht es um ein 50 Jahre zurückliegendes Gewaltverbrechen und einen Ermittler, dem gerade solche Altfälle liegen. Dossier zum Thema: MORDE
06.03.2017 Rolf Seydewitz
Immer wieder werden aufsehenerregende Kriminalfälle erst nach vielen Jahren gelöst. Einer der spektakulärsten regionalen „Cold Cases“, wie die Altfälle im Fachjargon genannt werden, war das Gewaltverbrechen an der 18- jährigen Eifelerin Lolita Brieger. Erst drei Jahrzehnte nach dem mysteriösen Verschwinden der jungen Frau wurde 2011 ihre Leiche entdeckt und der Ex-Freund später als Täter überführt. Nur weil das Verbrechen als Totschlag gewertet wurde, der nach 20 Jahren verjährt, konnte der Mann nicht verurteilt werden. Anzeige
In der Trierer Mordkommission war seinerzeit Kriminalhauptkommissar Wolfgang Schu für den Altfall Lolita Brieger und die zweiwöchige Suche nach den Überresten auf einer längst stillgelegten Mülldeponie zuständig. Der späte Ermittlungserfolg sei vor allem Schus Beharrlichkeit zu verdanken gewesen, meinten der damalige Chef-Staatsanwalt Jürgen Brauer und Polizeipräsident Lothar Schömann.
„Man will die Tat klären. Und ich will den Angehörigen die Wahrheit verschaffen“, kommentierte der erfolgreiche Trierer Mordermittler nach dem Fall Lolita Brieger seine Motivation.
Seit einem Dreivierteljahr hat Wolfgang Schu nun einen neuen „Cold Case“ auf seinem Schreibtisch liegen. Laut Kommissariatsleiter Christian Soulier ist es „der mit Abstand älteste Fall, den wir noch bearbeiten“. Es geht um das inzwischen 50 Jahre zurückliegende Gewaltverbrechen an einer 59- jährigen Frau aus der Hunsrückgemeinde Morbach.
Die allein lebende Anna Wilbert wurde am 25. September 1967 tot in ihrem am Ortsrand gelegenen Wohnhaus aufgefunden. Der oder die Täter hatten ihr Opfer schwer misshandelt, bevor Anna Wilbert an der Vielzahl innerer und äußerer Verletzungen starb. Es gab kurz nach der brutalen Tat eine Festnahme, aber der wegen dringenden Tatverdachts verhaftete Verwandte wurde schon nach einigen Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt.
Kann der Fall nach einem halben Jahrhundert überhaupt noch geklärt werden? Und sind nicht auch der Täter und mögliche Mitwisser aller Wahrscheinlichkeit nach längst verstorben? Die Trierer Mordermittler um Christian Soulier und Wolfgang Schu sind jedenfalls davon überzeugt, dass es noch jemanden gibt, der wichtige Hinweise liefern kann – „Zeitzeugen womöglich, die sagen, vielleicht hat ja diese Sache oder jene etwas damit zu tun“.
Die ein halbes Jahrhundert zurückliegende Bluttat von Morbach ist eines von zehn Tötungsdelikten im Zuständigkeitsbereich des Trierer Polizeipräsidiums, die noch nicht geklärt sind. Die Aufklärungsquote bei schweren Gewaltverbrechen ist hoch. Nach Angaben des Landeskriminalamts gab es in Rheinland-Pfalz zwischen 2011 und 2015 insgesamt 342 Tötungsdelikte und -versuche, von denen bislang „nur“ 17 Fälle nicht aufgeklärt sind. Das entspricht einer Aufklärungsquote von 95 Prozent. Zum Vergleich: Bei Einbrüchen liegt die Aufklärungsquote landesweit bei 15 Prozent.
Auch wegen der immer ausgefeilteren Kriminaltechnik können viele Fälle nach Jahren noch geklärt werden.
(Morbach) Vor 50 Jahren wurde die Morbacherin Anna Wilbert in ihrem Haus getötet Dossier zum Thema: MORDE
06.03.2017 Rolf Seydewitz
Morbach Es ist ein früher Samstagabend im September 1967, als Anna Wilbert in der Nähe ihres am Ortsrand von Morbach gelegenen Hauses das letzte Mal lebend gesehen wird. Irgendwann in den Stunden danach muss die 59-Jährige ihrem Mörder die Tür geöffnet haben. Oder waren es womöglich sogar zwei Täter, denen die allein lebende Frau seinerzeit gegenüberstand? Wolfgang Schu hält das keineswegs für ausgeschlossen.
Der Kriminalhauptkommissar sitzt ein halbes Jahrhundert nach dem Gewaltverbrechen in seinem Büro im Trierer Morddezernat und geht die Akten seiner Kollegen von damals noch einmal durch. "Es kribbelt immer", sagt der 60-jährige Ermittler, "die Betrachtung eines alten Kriminalfalls ist hochinteressant."
Wolfgang Schu hat sich die alten Akten nicht aus Lust und Laune noch einmal vorgeknöpft. Seit Mitte vergangenen Jahres ist der Trierer Ermittler zuständig für den Fall. Da Mord nicht verjährt, kommen unaufgeklärte Fälle auch nicht zu den Akten. Nach Angaben von Kommissariatsleiter Christian Soulier kümmert sich jeder seiner Ermittler neben der normalen Arbeit um ein, zwei Altfälle. Und Wolfgang Schu hat jetzt eben den Fall Anna Wilbert auf dem Tisch.
Die 59-jährige Morbacherin wird am 25. September 1967 gegen 6.40 Uhr tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Eine Bekannte Anna Wilberts hatte den Schwager gerufen, nachdem sie an diesem frühen Montagmorgen vergeblich an die Tür des alten Hauses geklopft hatte. Die beiden Frauen arbeiten gemeinsam in einer Morbacher Handschuhfabrik.
Über eine an die Hauswand angelehnte Leiter steigt der Schwager in das Haus ein und macht schließlich in einem hinter der Küche gelegenen Räumchen die schreckliche Entdeckung. Die Leiche seiner Schwägerin liegt in einer Blutlache auf dem Boden. Anna Wilberts Kopf weist schwerste Schädelverletzungen auf. Die Obduktion in Bernkastel ergibt später, dass die 59-Jährige an den Folgen brutaler Misshandlungen mit äußeren und inneren Verletzungen gestorben ist.
Weil in der Wohnung Kampfspuren gefunden werden, folgern die Ermittler damals, dass sich das Opfer ebenso verzweifelt wie vergeblich zu Wehr gesetzt haben muss. Als mutmaßliches Tatwerkzeug stellen die Kripobeamten einen stabilen Teekessel sicher, dessen Ausgussschnabel abgebrochen ist.
War es ein Raubmord? Ein Sexualverbrechen? Oder die Tat eines Serienkillers? Erst zweieinhalb Wochen zuvor war in Trier eine 53 Jahre alte Frau getötet worden. Auch sie lebte allein - genau wie Anna Wilbert. Die beiden Ermordeten sollen miteinander verwandt gewesen sein, wird spekuliert. Die Eltern eines im Zusammenhang mit dem Trierer Mord festgenommenen Tatverdächtigen - der später das Trierer Verbrechen auch gesteht - sollen aus Morbach stammen, lautet eine andere Spekulation. Nichts davon ist wahr. Dann heißt es, dass Anna Wilbert vermögend gewesen sei und es auch Erbschaftsstreitigkeiten gegeben haben soll. Die 59-Jährige hatte sechs Geschwister, von denen damals fünf noch am Leben waren. Anna Wilbert lebte alleine im Elternhaus. "Richtig ist, dass es damals Erbschaftsangelegenheiten gab", sagt Kriminalhauptkommissar Wolfgang Schu, der hörbar darum bemüht ist, den Zusatz Streitigkeiten zu vermeiden. War Anna Wilbert denn reich?
"Sie war nicht arm", sagt der Trierer Mordermittler, "aber wohlhabend war sie auch nicht." Zwei Wochen nach dem Gewaltverbrechen wird ein 57-jähriger Verwandter der Ermordeten wegen dringenden Tatverdachts festgenommen. Nach mehrstündiger Vernehmung und einer Nacht in der Zelle wird der Morbacher wieder freigelassen. Es hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, durch die ein Haftbefehl gerechtfertigt gewesen wäre, heißt es anschließend.
Danach werden die Schlagzeilen über das blutige Gewaltverbrechen in der Hunsrückgemeinde immer kleiner, bis das Thema schließlich ganz aus den Medien verschwindet. Fast 50 Jahre liegt der Mord an Anna Wilbert inzwischen zurück. Und der oder die Täter sind immer noch nicht identifiziert.
(sey) Der Mord an der Morbacher Arbeiterin Anna Wilbert ist der zweite Fall in der neuen Volksfreund-Serie über ungelöste Verbrechen in der Region Trier. Im ersten Teil (TV vom 1. Februar) berichteten wir über den Mord an der Kölner Prostituierten Simone Dewenter. Auch im dritten Teil geht es um ein noch ungeklärtes Gewaltverbrechen. Zu jeder Folge sind im Internet unter volksfreund.de/morde weitere Informationen abrufbar. Dort gibt es zum 50 Jahre zurückliegenden Gewaltverbrechen an der 59-jährigen Anna Wilbert auch ein längeres Video-Interview mit dem zuständigen Ermittler der Trierer Mordkommission, Kriminalhauptkommissar Wolfgang Schu. BELOHNUNG FüR HINWEISGEBER
Extra (sey) Für Hinweise zum Gewaltverbrechen an Anna Wilbert hat die Trie rer Kriminalpolizei ein Telefon (0651/9779-2480) geschaltet. Vertrauliche Hinweise können auch unter Tel. 0152-28854968 und per E-Mail unter kdtrier.hinweisaufnahme@polizei.rlp.de gegeben werden. Führen sie zur Aufklärung des Verbrechens, gibt es eine Belohnung von 2500 Euro. Die Ermittler interessieren sich u.a. für die Frage, ob es Menschen gibt, denen mögliche Hinweise auf die Tat oder deren Hintergründe zu Ohren gekommen sind.
Es gibt Kriminalfälle, die bleiben über Jahrzehnte ungeklärt. Manchmal kommt nach Jahrzehnten Jahren ein Hinweis und ein alter Fall wird wieder aufgerollt. Solche "Cold Cases" liegen dem 61-jährigen Kriminalhauptkommissar aus Trier. Sein aktueller Fall: Anna Wilbert aus Morbach. Sie verschwand 1967 aus ihrem Haus. Die Ermittlungen blieben erfolglos. Fast ein halbes Jahrhundert später öffnet Wolfgang Schu erneut die Akte.
Erfolg nach 30 Jahren
Die 18-jährige schwangere Lolita Brieger aus Frauenkron in der Eifel war am 4. November 1982 das letzte Mal gesehen worden. 2011 dann der Durchbruch für den Ermittler. Die Sendung "Aktenzeichen XY" brachte den entscheidenden Hinweis. Ein Mitwisser packte aus – getrieben von Schuldgefühlen. Er wusste wo die Leiche vergraben war. Nach fast 30 Jahren endlich Gewissheit: Lolita Brieger wurde Opfer eines Verbrechens. Fast sein halbes Berufsleben hatte sich Wolfgang Schu mit dem Fall beschäftigt.