Hildegard Winklhofer (26) wurde mit einem Seidenstrumpf erdrosselt
Das tote Callgirl von Apartment 126 Aktualisiert: 21.09.15 16:00
München - In einem nordbayerischen SOS-Kinderdorf lebte im April 1976 ein todunglückliches Kind (6), das sich Tag und Nacht mit immer derselben Frage quälte:
Wie hatte es dieser Krebs geschafft, heimlich in seine Mami hineinzukriechen und sie zu töten? Wo doch der Krebs nur ein Tier ist. Tommi (6; Name geändert) konnte sich dieses Mysterium nicht erklären. Jahre später – der Bub war mittlerweile 12 Jahre alt – schleuderte ihm ein Verwandter ohne jede Vorbereitung („Du bist jetzt alt genug“) die Wahrheit ins Gesicht: „Deine Mutter Hildegard war eine Hure. Und sie ist ermordet worden,“ sagte der Mann grob. Er drückte dem Buben eine alte Zeitung mit dem Mord-Bericht von damals in die Hand. Damit war für ihn der Fall erledigt. Und wieder blieb Tommi ratlos, verzweifelt und einsamer denn je zurück...
Hildegard „Gigi“ Winklhofer (26) war ein typisches Kind der 70er-Jahre. Zuweilen rebellisch, immer neugierig und äußerst selbstbewusst ging das attraktive Mädchen mit den blondroten Haaren und den aufregend langen Beinen seine eigenen Wege. Und es war Gigi wurscht, was andere über sie dachten. Nur auf ihre bürgerliche, sehr religiöse Familie nahm sie Rücksicht. Die Eltern und ihre drei jüngeren Geschwister erfuhren erst nach ihrem Tod, dass Gigi ein Geheimnis hatte. Sie hatte ihr Geld mit „gewerblicher Unzucht“ verdient. So nannte man das damals. Ihre Familie aber wollte das nicht glauben: „Meine Schwester ließ sich von Männern schon mal nackt fotografieren, aber sexuellen Kontakt hatte sie mit denen nicht“, sagte der tief erschütterte Bruder damals.
Da allerdings irrte er sich: Gigi war ein Callgirl und sie machte ihren Job gut. Die Männer liebten das schöne Mädchen, das als „Modell“ samt Telefonnummer auf den einschlägigen Seiten der Münchner Zeitungen inserierte. In Apartment 126 eines Hauses in der Volkartstraße (Neuhausen) empfing Gigi regelmäßig ihre Kunden. Das dokumentierte sie alles in ihrem Adressbuch, in dem sie auch Telefonnummern ihrer Freier aufschrieb.
1969 allerdings geschah etwas völlig Unvorhergesehenes. Die „wilde Hilde“ – das war ihr Spitzname – war 20 Jahre alt und schwanger. Und zwar von ihrem damaligen Freund, einem Berliner Kellner. Die Familie lehnte ihn ab. Noch vor der Geburt seines Sohnes Thomas im Jahr 1970 verabschiedete er sich aus der Beziehung. Hildegard litt darunter sehr. Tommi aber – dieses fröhliche, liebe Kind – machte vieles wieder wett, auch wenn er überwiegend bei den Großeltern aufwuchs. Und auch Gigi lachte bald wieder. Sie hatte einen neuen Freund gefunden: Franzl (Name geändert), ein Automechaniker aus Milbertshofen, bei dem sie zuletzt lebte.
Was am 28. April 1976 zwischen 14.45 und 15.45 Uhr in Apartment 126 geschah, ist nie geklärt worden. Um 14 Uhr hatte Hildegard noch mit einer Kollegin telefoniert. Die Mädchen sicherten sich auf diese Weise gegenseitig ab. Ab 15.45 Uhr war Gigis Telefonanschluss ständig besetzt – ausgehängt, wie sich später herausstellte. Um 18.15 Uhr verständigte die Kollegin Freund Franzl, der sofort kam und die Tür aufbrach. Zu spät: Seine Freundin lag nackt auf dem Bett – erdrosselt mit einem Seidenstrumpf, die Brust durchbohrt von mehreren Messerstichen. Gigi war schon seit Stunden tot.
In den folgenden Stunden versammelte sich die gesamte Münchner Polizei-Prominenz – angeblich sogar der damalige Präsident – in Gigis kleinem Apartment. Rückblickend finden Angehörige und Freunde das sehr seltsam. Denn hartnäckig hielt sich damals das Gerücht, dass Gigis Freund Franzl ein V-Mann der Polizei im Münchner Drogenmilieu gewesen sein soll. Das jedoch wurde nie kommentiert.
Gigi war damals bereits das dritte ermordete Callgirl in nur neun Monaten – auch das könnte eine Erklärung für den großen Polizei-Aufmarsch sein. Die Morde an Gigis Kolleginnen Traudl Frank (24) und Fatima Grossart (23) wurden im Frühjahr 1994 geklärt. Beide waren von dem Regensburger Serienmörder Horst David erdrosselt worden. Die Mordakte Gigi jedoch liegt seit nunmehr 32 Jahren im Münchner Polizeipräsidium im Keller der ungeklärten Fälle.
Hildegard Winklhofers Sohn ist heute 38 Jahre alt und bereits Frührentner. In seinem Leben gab es nur wenige glückliche Tage. Nach der Ermordung seiner Mutter hatte der Kleine einen amtlich bestellten Vormund bekommen, der ihn eines Tages ohne jede Erklärung im SOS-Kinderdorf ablieferte. Als Thomas 16 Jahre alt und ein hoffnungsvoller Sportschwimmer war, wurde er am Knie operiert und dabei mit Hepatitis C infiziert. Später verlor er beinahe einen Arm, erlitt einen Schlaganfall, versank in Depressionen. Er leidet unter Weichteil-Rheuma (Fibromyalgie) und erträgt die Schmerzen nur noch mit Morphium. Das Trauma seiner Kindheit und den gewaltsamen Tod seiner Mutter hat Thomas Winklhofer nie bewältigt. So hat Gigis Mörder – genaugenommen – zwei Menschen auf dem Gewissen.
Hat der Mörder Gigis Adressbuch?
Als Hildegard Winklhofer am 4. Mai 1976 auf dem Gautinger Friedhof zu Grabe getragen wurde, mischten sich unter die 40 Angehörigen und Freunde auch einige Polizisten, die sich diskret über die Anwesenden informierten. In Gigis Apartment waren weder Geld noch ihre Ausweispapiere gefunden worden. Auch ihr Notizbuch mit all den Telefonnummern ihrer Freier und das Tatmesser wurde nicht mehr gefunden. Und bis heute fragen sich die Angehörigen, ob Hildegard Winklhofer pikante Informationen verwendete, die ihr zum Verhängnis wurden.
Wochenlang fahndete die Polizei damals nach einem „irren Freier“ – ein Kunde von Gigi, der allerhand (wahrscheinlich harmlose) Ticks hatte. Doch auch diese Spur verlief im Sande – wie alle anderen, die die Mordkommission in den letzten Jahren immer wieder verfolgte. Gerade mal 2000 Mark– also 1000 Euro – Belohnung wurden damals auf den Mörder ausgesetzt. Diese Summe könnte auf 5000 Euro aufgestockt werden. Das jedoch muss die Mordkommission (Tel. 089/2910-0) im Falle einer erneuten Öffentlichkeitsfahndung beim LKA beantragen.