Augsburg/Straßburg (dpa/lby) - 15 Jahre nach dem Mord an der zwölfjährigen Vanessa liegt der Fall immer noch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Der damals 19 Jahre alte Täter, der an Fasching 2002 das Mädchen mit einer Totenkopfmaske verkleidet ermordet hat, klagt in Straßburg gegen seine Sicherungsverwahrung. Auch nach etwa zweieinhalbjähriger Verfahrensdauer hat der Gerichtshof noch nicht über die Rechtmäßigkeit der Verwahrung entschieden.
Weder der Anwalt des Klägers noch das Bundesjustizministerium kennen den Stand des Verfahrens. Der Fall sei in Straßburg wohl «in den Dornröschenschlaf verfallen», kritisierte Rechtsanwalt Adam Ahmed, der den Täter vertritt, die lange Verfahrensdauer. Das Ministerium werde auch erst zwei Wochen vor einem Urteil informiert, sagte eine Sprecherin des Justizministeriums in Berlin. Von dem Gerichtshof selbst sind ebenfalls keine detaillierten Informationen zu erhalten.
Im Februar 2002 war der 19-Jährige in Gersthofen bei Augsburg in das Haus einer Familie eingedrungen, als die Eltern des Mädchens am Abend des Rosenmontags bei einem Faschingsball waren. Der als Tod verkleidete 19-Jährige tötete Vanessa in deren Kinderzimmer mit 21 Messerstichen. Nachdem der Mann die Jugendhöchststrafe von zehn Jahren abgesessen hatte, ordnete das Landgericht Augsburg im Jahr 2012 die nachträgliche Sicherungsverwahrung an. Der mittlerweile 34-Jährige hat dagegen beim Menschenrechts-Gerichtshof geklagt.
Ein Urteil in Straßburg hat auch Folgen für den Fall der in Gersthofen ermordeten Vanessa. Warum das einen Anwalt stinksauer macht.
VON HOLGER SABINSKY-WOLF Rechtsanwalt Adam Ahmed ist stinksauer. Er ärgert sich über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Nicht, weil er ein Verfahren verloren hat. Das Missfallen des Anwalts ist grundsätzlicher: „Das ist ein juristischer Purzelbaum rückwärts“, poltert Ahmed. Der Gerichtshof weiche mit seiner Entscheidung „diametral von seiner eigens eingeleiteten Rechtsprechung ab dem 17. Dezember 2009 ab“.
Was den bekannten Strafverteidiger so auf die Palme bringt, dürfte den Großteil der Bevölkerung allerdings beruhigen. Der Gerichtshof hat am Dienstag in Straßburg verkündet, dass Daniel I., der sogenannte „Joggerin-Mörder von Kelheim“ zu Recht auf unbestimmte Zeit weggesperrt ist. I. hatte 1997 eine Studentin erwürgt und sich an der Leiche vergangen. Er erhielt die höchstmögliche Jugendstrafe von zehn Jahren Haft. Nachdem er die Strafe abgesessen hatte, ordnete ein Gericht 2009 nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen ihn an.
Was das Urteil mit Vanessa aus Gersthofen zu tun hat Da die Fälle bezüglich der nachträglichen Sicherungsverwahrung laut Ahmed identisch sind, hat das Urteil eine vorentscheidende Wirkung auch für den Fall der zwölfjährigen Vanessa aus Gersthofen. Michael W. hatte sie am Rosenmontag 2002 in ihrem Bett erstochen. Er saß ebenfalls zehn Jahre Jugendstrafe ab und wurde 2012 vom Landgericht Augsburg zu Sicherungsverwahrung verurteilt. Im Fall W. läuft seit vier Jahren ein Verfahren am EGMR. Wann das Gericht eine Entscheidung fällt, ist unklar. Dass Vanessas Mörder bald freikommt, ist nun aber sehr unwahrscheinlich geworden.
Lesen Sie jetzt: Die heutige Ausgabe Ihrer Tageszeitung als E-Paper. Das Straßburger Urteil hat grundsätzliche Bedeutung. Denn es geht um nichts weniger als die Frage, wie Deutschland mit gefährlichen Straftätern umgehen soll, die ihre Haft abgesessen haben. Das deutsche System zur Sicherungsverwahrung war im Jahr 2013 angepasst worden. Zuvor hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Deutschland mehrfach deswegen verurteilt – unter anderem, weil sich die Lebensbedingungen der Gefangenen früher nur unwesentlich von denen im regulären Strafvollzug unterschieden. Zuletzt hatte sich das Straßburger Gericht mit der Neugestaltung aber wiederholt zufriedengegeben.
Bayerisches Justizministerium begrüßt das Urteil Im Fall des „Joggerin-Mörders“ entschied der EGMR, die deutschen Gerichte hätten durch Expertengutachten hinreichend dargelegt, dass der Mann an sexuellem Sadismus leide und in Freiheit weitere Straftaten begehen könnte. Seine Sicherungsverwahrung sei daher nicht willkürlich gewesen und habe nicht gegen das Recht auf Freiheit verstoßen. Außerdem unterstrichen die Richter, dass die Unterbringung des Mannes vor allem darauf abgezielt habe, seine psychische Störung zu behandeln.
Das bayerische Justizministerium begrüßte das Urteil. Es sei Rechtssicherheit hergestellt worden. „Damit können in Bayern auch künftig zum Schutz der Allgemeinheit gefährliche Straftäter unter höchsten Sicherheitsmaßnahmen therapiert und untergebracht werden.“ (mit dpa)