Enkeltrick-Bande soll 290.000 Euro ergaunert haben Von Martin Jenssen | Veröffentlicht am 25.01.2017 | Lesedauer: 4 Minuten
„Rate mal, wer hier spricht!“: Ein 29-jähriger Pole soll mit Komplizen 290.000 Euro von Senioren erschlichen haben. Ihre Masche war besonders perfide. Ein Opfer erlitt einen Herzinfarkt.
Es ist ein spektakulärer Prozess, der am Mittwoch vor dem Hamburger Landgericht begann: Der Angeklagte Marcin K. soll Kopf einer Bande gewesen sein, die mit der sogenannten „Enkeltrick“-Masche Millionen verdiente. Als sogenannter „Keiler“ (Anrufer), soll der Angeklagte zahlreiche Betrugstaten in Hamburg und anderen deutschen und mitteleuropäischen Städten vorbereitet haben.
„Lolli“ wurde der 29jährige Großbetrüger von den Polizisten genannt, die nach ihm fahndeten. „Lolli“ agierte vornehmlich von Polen aus am Telefon. Mit seinen Tricks und seiner einschmeichelnden Tonart brachte er unendlich viel Leid über ältere Menschen, denen er ihre Ersparnisse abluchste.
Im Juli vergangenen Jahres wurde Marcin K. in Ungarn geschnappt. Mit Mitgliedern seiner Familie hatte er sich in Budapest niedergelassen. Dort soll er das zu Unrecht erworbenen Geld verprasst haben. Von den ungarischen Behörden wurde er nach Deutschland ausgeliefert.
Schlag gegen organisierten Betrug
Angeklagt ist Marcin K. auch unter den alias-Namen Jeff Orlowski, geboren in Hamburg und Marek Novak, geboren in Chicago oder Warschau. Der Prozess ist ein großer Schlag für die Fahnder im Kampf gegen die internationale Enkeltrick-Mafia.
Die Hamburger Staatsanwaltschaft wirft Marcin K. 43 Betrugstaten vor. Bei 16 Fällen soll er erfolgreich gewesen sein und dadurch 290.000 Euro erlangt haben. Bei 27 der vorgetragenen Straftaten blieb es bei dem Versuch.
„Keiler Lolli“ soll dabei überaus variantenreich vorgegangen sein. Zunächst als angeblich armer Verwandter oder Bekannter rief er Senioren an, bei denen viel Geld vermutet wurde. Er spielte dabei eine Notlage vor. Später soll er telefonisch auch als Rechtsanwalt Dr. Sommer agiert haben, der angeblich die notleidenden Verwandten unterstütze.
Polizei-Razzia gegen Bande von Enkelrickbetrügern
So funktionierte die fiese Masche: Die Bande durchforstete Telefonbücher nach möglichen Opfern. Von Interesse für den „Keiler“ waren Vornamen, die in früheren Jahren modern waren, zum Beispiel Luise, Hertha, Gottfried oder Karl. Wohnten die anvisierten Opfer auch noch in einer besseren Wohngegend, wurden sie vom dem „Keiler“ angerufen.
Die verfängliche erste Frage des betrügerischen Anrufers: „Rate mal, wer hier spricht?“ Antworteten die angerufenen Senioren: „Ach, du könntest mein Enkel Bernd oder mein Neffe Alfred sein“, hingen sie schon am Haken. Sogleich berichtete der Anrufer mit trauriger Stimme, dass er Neffe Alfred sei, sich zur Zeit aber in Geldnöten befinde. Ihm könne nur mit einem hohen Geldbetrag, der sehr schnell aufzubringen sei, geholfen werden.
Gaben sich die angerufenen Senioren hilfsbereit, schaltete die gut organisierte Bande vor Ort einen „Logistiker“ ein, der die Wohnung auskundschaftete und der einen „Abholer“ organisierte. Gemeinsam bereiteten „Keiler“ und „Logistiker“ dann die Übergabe vor.
„Eine befreundete Person wird das Geld gleich abholen“
War alles vorbereitet, rief der „Keiler“ erneut bei dem Opfer an und erklärte: „Ich kann leider nicht selbst kommen, aber eine befreundete Person, wird das Geld gleich abholen.“ Die Abholer, meiste eine Frau Schmidt oder ein Herr Schmidt, stellten sich als Sekretärin oder Mitarbeiter eines Anwaltsbüros vor. Klappte der Coup, wurde das Geld unter den Betrügern geteilt. Klappte es nicht, warf der „Keiler“ den Senioren auch noch „mangelnde Hilfsbereitschaft“ vor. Die vor dem Landgericht angeklagten Fälle wurden zwischen dem 1. November 2011 und dem 21. Mai 2014 begangen.
Einige der gemeinsten Fälle aus Hamburg: Ein 86 Jahre alte Dame aus Eppendorf wurde um 100.000 Euro betrogen. Der Angeklagte, so die Anklage, gab sich am Telefon als ihr Neffe „Hans-Jörg“ aus, bat um 35 000 Euro für ein Immobiliengeschäft. Als die alte Dame schnell bereit war, das Geld zu besorgen, verbesserte er sich: „Du hast falsch verstanden, ich benötige nicht 35.000 Euro sondern 135.000 Euro.“ Als die alte Dame erklärte, sie könne „nur“ 100.000 Euro aufbringen, war er damit auch zufrieden. Logistiker und Abholer wurden sofort in Bewegung gesetzt.
Bei einer 85-jährigen Frau aus Uhlenhorst soll er sich als „ihr Schwiegersohn“ gemeldet habe, der in großer Geldnot sei. Die hilfsbereite Frau konnte 3500 Euro aufbringen – und erlitt einen Herzinfarkt, nachdem sie den Betrug bemerkte. Eine 89-jährige Frau aus Rahlstedt gab den Betrügern 40.000 Euro – Geld, das sie für ihren kranken Sohn gespart hatte.
Mit dem Prozess gegen Marcin K. hat vor dem Landgericht eines der umfangreichsten Verfahren dieses Jahres begonnen. Bis zum möglichen Urteilstermin am 21. Dezember wurden 69 Verhandlungstage angesetzt. Gestern wurde die Anklageschrift verlesen. Verfahren gegen den „Keiler“ sind auch in Österreich, in der Schweiz und in Luxemburg anhängig.
In Österreich soll die Bande um Marcin K. allein ein Opfer um 640.000 Euro geprellt haben. Die Mitglieder der Bande sollen teure Autos, u. a. Lamborghinis und Ferraris gefahren haben, und es soll YouTube-Videos geben, auf denen zu sehen ist, wie die Familienmitglieder mit ihrem Reichtum prahlen.
40-FACHER ENKELTRICK-BETRUG! BANDEN-CHEF WANDERT ÜBER ZWÖLF JAHRE IN DEN KNAST
Hamburg - Das Hamburger Landgericht hat einen Hintermann von Enkeltrickbetrügern zu zwölfeinhalb Jahren Haft verurteilt.
Dem 30-Jährigen seien 40 Betrugstaten nachgewiesen worden, sagte der Vorsitzende der Strafkammer, Bernd Steinmetz, am Montag. Hinter dem Angeklagten habe ein ganzes Netzwerk von Betrügern gestanden. "Bei Ihnen liefen die Fäden des Netzwerks zusammen", sagte der Richter.
Der 30-Jährige habe von Polen aus agiert und sein luxuriöses Leben mit der Beute finanziert. Der Pole habe mindestens 300.000 Euro Profit gemacht. Laut Urteil muss der Angeklagte drei geschädigten Frauen rund 47.000 Euro zurückzahlen.
Der 30-Jährige sei in den meisten Fällen als so genannter Keiler tätig gewesen, stellte die Strafkammer fest: Er habe Menschen mit altmodisch klingenden Vornamen wie Ingeborg, Gerda, Heinrich oder Oswald in Deutschland angerufen und sich als Enkel oder Verwandter in einer Notsituation ausgegeben.
Erklärten sich die Senioren bereit, ihrem vermeintlichen Enkel zu helfen, schickte ein Mittäter vor Ort einen Abholer für das Geld los.
Der Prozess hatte vor einem Jahr begonnen. Erst im November hatte der Angeklagte ein fast vollständiges Geständnis abgelegt, wie eine Gerichtssprecherin sagte. Der 30-Jährige war im Juli 2016 in Ungarn festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert worden.