Landgericht Tod eines viermonatigen Babys wird von der Justiz erneut aufgerollt Von Bernd Jost Zimmermann 31.01.17, 06:00 Uhr
Kreis Euskirchen - Nach Ansicht der Ärzte war es zweifelsfrei ein Schütteltrauma, das Ende März 2012 zum Tod eines vier Monate alten Säuglings führte. Der Junge aus dem Kreis Euskirchen starb in der Kinderklinik Sankt Augustin an seinen Hirnverletzungen.
Zuvor hatte das Baby acht Tage lang immer wieder geschrien und sich regelrecht verkrampft. Doch die Eltern scheuten sich anfangs, einen Notarzt zu rufen, und schafften es auch nicht, dem Kind rasch anderweitige ärztliche Hilfe zuteil werden zu lassen.
Erst nach zwei Tagen brachte die Mutter ihren kleinen Sohn ins Krankenhaus, wo die Ärzte ein Schädelhirntrauma feststellten und das Kind in die Kinderklinik Sankt Augustin verlegten. Die dortigen Mediziner aber konnten dem Kleinen nicht mehr helfen. Das Baby starb.
Schuld am Tod des Kindes
Am Montag beschäftigte sich die 3. Kleine Strafkammer des Landgerichts Aachen mit der Frage, wer schuld am Tod des Kindes war und welche juristische Wertung der Fall erfahren soll.
Bislang haben sich schon drei Instanzen in fünf Verhandlungen mit dem Tod des Jungen befasst. Juristen haben versucht, die mögliche Schuld der Eltern am Leiden und am Tod des viermonatigen Kindes einer strafrechtlichen Norm zuzuordnen. War es Mord, fahrlässige Tötung oder Kindesaussetzung? Damit meinen Juristen den Tatbestand, eine hilflose Person – in diesem Fall ein Kind – sich in gefährlicher Lage selbst zu überlassen. Das erfülle den Straftatbestand eines Gefährdungsdeliktes.
Handelte es sich bei den Vorgängen um den Tod des Jungen um versuchte Kindesaussetzung oder, wie vom Oberlandesgericht in Erwägung gezogen, vielleicht sogar um den Rücktritt vom Versuch der Kindesaussetzung, weil die Mutter mit dem Säugling nach einem Tag doch ins Kreiskrankenhaus Mechernich fuhr?
17 Stunden ohne Hilfe
Bis dahin hatten sie es 17 Stunden lang hilflos und ohne ärztliche Versorgung gelassen. Fragen über Fragen, die nun die 3. Strafkammer unter Vorsitzendem Richter Dr. Sebastian Puth klären soll. Deshalb saßen am Montagmittag die 44-jährige Hausfrau und ihr heutiger Ehemann, ein 30-jähriger gebürtiger Euskirchener, wieder in einem Gerichtssaal des Aachener Landgerichts.
Nach der ersten Verurteilung der Eltern zu drei Jahren Haft für den Vater und zu zwei Jahren Haft auf Bewährung für die Mutter waren Staatsanwaltschaft und Verteidigung in Berufung gegangen. Die 4. Kleine Strafkammer des Landgerichts Aachen hatte die Berufungsanträge verworfen. Das Oberlandesgericht hob das Urteil nach Revisionsanträgen der Angeklagten auf.
Bewährungsstrafen für das Paar
Die 2. Strafkammer des Landgerichts milderte die Strafen ab, verurteilte das Paar zu Bewährungsstrafen von einem Jahr für den Mann und sechs Monaten für die Frau. Die Verteidiger aber hatten auf Freispruch plädiert.
Doch auch dieses Urteil hatte vor dem Oberlandesgericht keinen Bestand. In beiden Urteilen, so die Richter am Oberlandesgericht, seien die möglichen Beweggründe der Angeklagten für ihre Handlungen nicht ausreichend berücksichtigt worden. Nicht geklärt sei auch die Frage, ob eine frühere Behandlung das Leben des Jungen hätte retten können oder dadurch zumindest sein Leben verlängert oder sein Leiden verringert worden wäre.
Dass die rechtliche Bewertung auch diesmal nicht einfach sein wird, wurde zu Beginn der auf vier Tage angesetzten Verhandlung deutlich: „Mein Mandant verteidigt sich schweigend“, kündigte Verteidiger Gordon Christiansen an. Rechtsanwalt Peter Syben erklärte, auch seine Mandantin werde sich nicht äußern. Die als Zeugen geladenen Familienmitglieder des Angeklagten – Mutter, Stiefvater und Halbschwester – machten ebenfalls von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.
Unklarheiten
Bis heute ist nicht zu klären, ob die Mutter oder der Vater oder gar eine dritte Person das Baby so geschüttelt hat, dass es acht Tage später starb. Unklar ist auch, ob die Eltern erkannten, wie schwer die Verletzungen ihres Sohnes waren.
Am 20. März 2012 war der aus der Haft entwichene Vater des Jungen nachts zu seiner Frau gekommen. Der vier Monate alte Junge habe gegen 2 Uhr morgens plötzlich 10 bis 20 Minuten lang geschrien und sich verkrampft, hatten die Angeklagten bei der Polizei angegeben. Die Mutter hatte später bei der Vernehmung durch Beamte einer Bonner Mordkommission erklärt, sie habe den Ruf nach dem Notarzt gescheut, weil sie Angst vor dem Jugendamt gehabt habe. Der Vater sagte, er habe gefürchtet, entdeckt zu werden und wieder in Haft zu kommen.
In einem Rechtsgespräch zwischen Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft wurde angesprochen, ob es sich bei dem Tatbestand tatsächlich um das Verbrechen der Kindesaussetzung handeln könne oder ein anderer Straftatbestand zugrunde gelegt werden müsse. Darüber wollen die Verteidiger mit den beiden Angeklagten beraten. Der Prozess soll am 6. Februar um 9 Uhr fortgesetzt werden.