Categories: Ed Gein, Tags: 1950er, Mord, Ungelöst, USA, Vermisstenfall, Wisconsin
Die 15-jährige Evelyn »Evie« Hartley aus La Crosse (Wisconsin) hatte am Abend des 24. Oktober 1953 einen Job als Babysitter bei der Familie Rasmussen angenommen. Viggo Rasmussen war Dozent am La Crosse State College und wollte gemeinsam mit seiner Frau ein Footballspiel der Collegemannschaft besuchen, das jährlich zu Ehren der ehemaligen Universitätsangehörigen ausgerichtet wurde.
Das Haus der Rasmussen befand sich 2415 Hoeschler Drive inmitten einer relativ dicht besiedelten Einfamilienhausgegend. Das Paar hatte eine 20 Monate alte Tochter und beschäftigte normalerweise eine andere Babysitterin. Doch das Mädchen wollte an diesem Abend ebenfalls zu dem Spiel, also empfahl sie ihre Freundin Evelyn Hartley als Ersatz. Die Rasmussens waren einverstanden.
Gegen 18.30 Uhr traf Evelyn bei der Familie ein. Eine Viertelstunde später verließ das Ehepaar das Haus. Evelyn hatte vier oder fünf Schulbücher mitgebracht und plante, ihre Hausaufgaben zu erledigen, während sie auf das Baby aufpasste.
Spurlos verschwunden Sie hatte mit ihren Eltern zuvor verabredet, sich um halb neun telefonisch bei ihnen zu melden. Aber die Eltern warteten vergeblich auf Evelyns Anruf. Ihr Vater versuchte mehrfach, sie im Haus der Rasmussen zu erreichen – ohne Erfolg. Er stieg in seinen Wagen, um am Hoeschler Drive nach dem Rechten zu sehen.
Evelyns Vater fand die Haustür verschlossen vor. Im Haus brannte Licht. Das Radio lief. Doch Evelyn reagierte nicht auf sein Klopfen. Der Vater erhaschte durch das Wohnzimmerfenster einen Blick ins Innere des Gebäudes. Die Schulbücher seiner Tochter lagen verstreut herum. Auf dem Fußboden konnte er einen ihrer Schuhe und ihre Brille erkennen, die zerbrochen war.
Ein geöffnetes Kellerfenster Der Vater ging um das Haus herum, um irgendwo einen Zugang zu finden. Doch alle Fenster und Türen waren verschlossen – bis auf ein Kellerfenster auf der Rückseite des Gebäudes. Jemand hatte das Fenstergitter herausgenommen und gegen die Hauswand gelehnt. Im Keller stand eine Stufenleiter direkt unterhalb des Fensters. Wie sich später herausstellen sollte, gehörte die Leiter den Rasmussen. Sie hatten sie kürzlich für Malerarbeiten benutzt. Am Fensterrahmen waren Blutspritzer zu erkennen. Der Vater verständigte die Polizei.
Die Beamten schauten sich zunächst im Haus um. Das Baby schlief ruhig und fest in der Wiege. Die Polizisten entdeckten auf der Kellertreppe den zweiten Schuh von Evelyn Hartley. Im Wohnzimmer und auf dem Sims des geöffneten Kellerfensters waren Abdrücke zu erkennen, die von einem Turnschuh stammten. Der oder die Täter hatten augenscheinlich mehrfach probiert, ins Haus einzudringen. Die Spurensicherung stellten an drei weiteren Fenstern Werkzeugspuren fest.
Überall Blut Wirkliche Sorgen bereiteten den Beamten die Vielzahl an Blutspuren, die alle Evelyns Blutgruppe entsprachen. Sie deuteten auf einen massiven Blutverlust hin. Im Vorgarten waren beispielsweise zwei Lachen zurückgeblieben, von der die größere 45 Zentimeter im Durchmesser maß. An einer Garagenmauer, etwa 30 Meter entfernt vom Haus der Rasmussen, war in 1,20 m Höhe ein blutverschmierter Handabdruck zu sehen. Außerdem wies das Nachbarhaus mehrere Blutspritzer auf.
Die Ermittler spekulierten, dass der oder die Entführer Evelyn Hartley hinausgetragen oder -gezerrt hatten. Möglicherweise war der Täter durch irgendetwas gestört worden. Er hatte vorübergehend haltgemacht. Dadurch waren vermutlich die Blutlachen entstanden. Die Kripo fand jedoch keine plausible Erklärung dafür, warum der Täter nicht die Eingangstür benutzt hatte, um das Haus zu verlassen. Stattdessen hatte er den wesentlich umständlicheren Weg über den Keller gewählt.
Diese Tatsache sprach dafür, dass es sich bei den Entführern um zwei Männer gehandelt hatte. Ein einzelner Täter hätte das Mädchen kaum alleine durch das Fenster bugsieren können. Sofern das Mädchen zu diesem Zeitpunkt noch bei Bewusstsein war, hätte sie den Moment zudem zur Flucht nutzen können.
Die Polizei forderte Spürhunde an, die Evelyns Spur aufnehmen konnten. Zwei Querstraßen weiter verloren die Hunde ihre Witterung am Ende des Coulee Drive. Vermutlich hatte der Täter hier seinen Wagen geparkt.
Zeugenaussagen Ein Nachbar berichtete, dass er um etwa 20.00 Uhr einen hellen Wagen beobachtete habe, der langsam durch das Viertel gefahren sei. Es habe auf ihn so gewirkt, als habe der Fahrer die Gegend gemustert oder nach etwas Ausschau gehalten. Ein anderer Anwohner sagte aus, dass er kurz nach 19.00 Uhr Schreie gehört habe. Er habe jedoch geglaubt, dass es sich um spielende Kinder handele.
Die Polizei grenzte den mutmaßlichen Tatzeitpunkt später noch präziser auf die Zeit zwischen 19.00 und 19.15 Uhr ein. Denn das Ehepaar Rasmussen hatte Evelyn erklärt, dass sie das Baby um 19.00 Uhr zu Bett bringen sollte und eine Viertelstunde später mit einer Decke zudecken solle. Die Bettdecke lag noch unbenutzt neben der Wiege.
Zwei Tage nach Evelyns Verschwinden meldete sich ein Mann namens Ed Hofer bei der Polizei. Er berichtete den Ermittlern, dass er am Tatabend gegen 19.15 Uhr fast mit einem Wagen kollidiert sei. Es habe sich um einen grünen Buick Baujahr 1941 oder 1942 gehandelt. Im Innern des Wagens hätten sich zwei Männer und ein Mädchen befunden. Einer der Männer habe am Steuer gesessen, der andere neben dem Mädchen auf der Rückbank. Der Kopf des Mädchens habe gegen den Vordersitz gelehnt. Der Wagen sei in westlicher Richtung davongerast.
Hofer hatte die drei Personen schon wenige Minuten zuvor im Hoeschler Drive wahrgenommen. Da seien sie noch zu Fuß unterwegs gewesen. Er habe den Eindruck gehabt, dass die drei geschwankt oder getorkelt seien. Er habe spontan angenommen, sie seien angetrunken und wären auf dem Weg zu dem Footballspiel am College.
Verräterische Turnschuhe Mehrere Tage später wurde beinahe zur Gewissheit, was man die ganze Zeit bereits befürchtet hatte. Vier Kilometer südlich von Lacrosse fand man einen blutgetränkten Büstenhalter und eine Unterhose, die vermutlich Evelyn Hartley gehörten. Das Mädchen war höchstwahrscheinlich tot.
Die Sachen lagen nahe einer Unterführung am Highway 14. An derselben Landstraße entdeckte man in einigen Kilometer Entfernung außerdem eine blutverschmierte Jeans. In diesem Fall war sich die Polizei aber nicht sicher, ob die Hose möglicherweise von einem der Täter stammte.
Dafür stießen die Beamten im Coon Valley im Südosten von La Crosse auf mehrere Gegenstände, die man mit den Entführern in Verbindung brachte, darunter ein Paar Turnschuhe der Größe 11. Die Schuhe waren erst kürzlich an dieser Stelle abgelegt worden. Sie wiesen mehrere Blutspritzer auf, die mit Evelyns Blutgruppe übereinstimmten. Das Gummiprofil entsprach den Fußspuren am Tatort.
Die Polizei kontaktierte den Hersteller Goodrich und erfuhr, dass die Schuhe unter dem Modellnamen »Hood Mogul« in Illinois, Michigan, Iowa, Minnesota und Wisconsin verkauft worden waren. Einige Flecken ließen den Schluss zu, dass der Träger der Schuhe als Maschinist arbeitete.
Außerdem deuteten auffällige Gebrauchsspuren an der Sohle darauf hin, dass der Besitzer regelmäßig ein Motorrad der Marke Whizzer fuhr. Vermutlich hatten die Turnschuhe zwei Leuten gehört. Der Schuh war an einigen Stellen überdehnt. Dem zweiten Besitzer waren sie offensichtlich zu eng gewesen.
Ein Turmarbeiter? Nur 250 Meter entfernt tauchte eine abgetragene Jeansjacke der Konfektionsgröße 46 auf. Auf der Vorderseite, dem Rücken und den Ärmeln waren Blutflecken zu erkennen, zudem einige Spritzer Grundierungsfarbe, die für Metalloberflächen verwendet wurde. Die Jacke war am Saum gekürzt und mit einem weißen Bindfaden unfachmännisch wieder abgenäht worden. Einer der vier Metallknöpfe fehlte.
Etwa auf Höhe der Achseln hatten sich tiefe Striemen in den Stoff eingedrückt. Sie liefen einmal rund um die Jacke. Der Besitzer hatte offensichtlich noch etwas über der Jacke getragen. Die Polizei vermutete, dass es sich dabei um einen Sicherheitsgurt gehandelt hatte. In der linken Jackentasche fand man Bastfasern, wie man sie in Scheuerbürsten benutzte. Aufgrund der Spuren spekulierten die Beamten, dass der Träger der Jeansjacke möglicherweise als Turmarbeiter tätig gewesen war.
Große Fahndungsaktion Die Entführung von Evelyn Hartley löste eine der größten Fahndungsmaßnahmen in der Geschichte des Bundesstaates Wisconsin aus. Jeder Schüler und Lehrer an Evelyns Schule musste sich einem Lügendetektortest unterziehen. Es kam zur massenhaften Halterüberprüfung von Fahrzeugen, die im Großraum La Crosse gemeldet waren.
Die Polizei tourte mit den gefundenen Kleidungsstücken durch insgesamt 31 Gemeinden der Umgebung. Geschätzte 10.000 Bürger nahmen die Textilien in Augenschein. Keiner erkannte sie wieder. Man befragte eine Vielzahl verdächtiger Personen. Doch nirgends fand sich ein Indiz, das einen konkreten Tatverdächtigen mit dem mutmaßlichen Mord in Verbindung gebracht hätte.
Ed Gein Vier Jahre nach Evelyn Hartleys spurlosem Verschwinden geriet auch der Serienmörder Edward Theodore Gein unter Verdacht. Wie die Ermittlungen ergaben, hatte er just zum Zeitpunkt ihrer Entführung Verwandte in La Crosse besucht. Deren Haus befand sich nur wenige Querstraßen von dem Grundstück der Familie Rasmussen entfernt. Doch unter den gruseligen Fundstücken, die man auf seiner Farm sicherstellte, fand sich kein Hinweis auf Evelyn Hartley.
So ist der Vermisstenfall Evelyn Hartley bis heute ungeklärt geblieben. Zum Zeitpunkt ihres Verschwindens war die 15-Jährige gerade auf die High School gewechselt. Sie hatte einen glänzenden Notendurchschnitt, spielte Klavier und sang im Kirchenchor der First Presbyterian Church. Sie war das jüngste von vier Kindern der Familie Hartley. Einer ihrer Brüder war wenige Jahre vor ihrem Verschwinden an Kinderlähmung verstorben.
Auch Evelyns Eltern sind mittlerweile verschieden. Die beiden übrigen Geschwister leben heute in Australien und im US-Bundesstaat Oregon.