Der Kindernachmittag in der Freiburger Ökostation ist zu Ende. Eva-Maria Christof und eine 20-jährigen Helferin haben mit den Kindern gebastelt. Als die Ökostation abschließen und gehen wollen, fallen von hinten plötzlich Schüsse
FREIBURG. Ein Rentner verschwindet in Rheinfelden, seine Leiche wird Wochen später an ein Flusswehr geschwemmt. Eine junge Frau will nach Hause, sie kommt nie in Waldkirch an. Ein Arzt wird nach seinem Dienst in Lahr ermordet aufgefunden. Bis heute wissen nur die Täter, warum diese Menschen sterben mussten. Doch es wird weiter ermittelt: Mord verjährt nicht. In einer Serie hat sich die BZ auf Spurensuche begeben.
Der Kindernachmittag in der Freiburger Ökostation im Seepark ist zu Ende. Für den bevorstehenden Advent haben die Kinder Geschenke gebastelt, angeleitet von der Biologiestudentin Eva-Maria Christof und einer 20 Jahre alten Helferin, die gerade ihr freiwilliges ökologisches Jahr anfängt. Die beiden Frauen räumen auf, schließen den Eingang zur Ökostation ab, gehen zum Fahrradstand und packen ihre Taschen auf die Räder.
Plötzlich fallen von hinten Schüsse. Als erste bricht die 20-Jährige zusammen, dann trifft ein Geschoss den Oberkörper von Eva-Maria Christof und zerfetzt ihre Hauptschlagader. Für die Biologie-Studentin kommt jede Hilfe kommt zu spät, sie verblutet innerlich. Nur die 20-Jährige wird diesen Mordanschlag am 29. November 1995 schwer verletzt überleben.
Die Polizei beginnt noch in der Dunkelheit die Suche nach Spuren. Doch außer fünf Patronenhülsen im Gebüsch neben dem Fahrradstand findet sie zunächst nichts. Anderntags entdeckt die Polizei im Gebüsch neben der Ökostation ein Blatt Papier, auf das ausgeschnittene Druckbuchstaben geklebt sind: "Rache den aidsinfizierten Dealern aus der Ökostation. Auge und Auge, Zan um Zan". Wenn dies ein Bekennerschreiben ist, und dafür hält es Bernd Werneth, der damals die Ermittlungen geleitet hat, dann trägt es nur zur Verwirrung bei – auch wegen des Schreibfehlers "Zan". Für Werneth ist das Blatt vor allem ein Indiz, dass der Täter "nicht ganz richtig im Kopf gewesen ist". Denn alle Nachforschungen in der Ökostation und im Umfeld ergeben keinen Hinweis auf Aids oder Drogenkonsum. Im Hirn des Täters muss sich völlig Wirres zusammengebraut haben, das an diesem Novembertag zur Entladung kommt.
Werneth nimmt dennoch an, dass es eine geplante Tat war; darauf deutet das anonyme Bekennerschreiben hin, dessen Buchstaben einzeln aus zwei Massenillustrierten ausgeschnitten worden sind. Da keine Fingerabdrücke darauf zu finden waren, hat der Täter vermutlich mit Handschuhen gearbeitet. Zugleich fehlt dieser geplanten Tat jegliches Motiv, das mit den Opfern persönlich zu tun hat: Der Mörder hat die Frauen, die beide erst kurze Zeit in der Ökostation mitarbeiteten, offenbar zufällig ausgesucht.
Dass es sich um keine Beziehungstat handelte, schlossen die Ermittler rasch aus: Die Lebensumstände der jungen Frauen gaben dafür nichts her. Die Sinnlosigkeit des Mordes lenkte die Suche der Polizei auf Leute, die sich nicht normal verhalten – gleichsam einschlägig Verdächtige: kein Ergebnis. Aber sind Täter mit einem psychischen Knax nicht oft Wiederholungstäter? Doch auch das half der Polizei nicht weiter: Weder ist danach noch einmal ein vergleichbares Bekennerschreiben aufgetaucht noch hat es vorher anonyme Schmähschriften gegen die Ökostation gegeben.
Die Tatwaffe blieb bis heute verschwunden
Mit der Handfeuerwaffe vom Kaliber 7,65 mm wird niemals wieder bei einem Verbrechen geschossen. Hatte sie der Täter weggeworfen? Suchaktionen im See des Seeparks brachten nichts: Die Waffe bleibt verschwunden. In der Region Freiburg werden 150 Besitzer amtlich gemeldeter Waffen des gleichen Kalibers überprüft: Die Mordwaffe ist nicht darunter. Und verwertbare DNA-Spuren gibt es ebenfalls nicht.
Im Seepark hörten viele die Schüsse, doch niemand sah die Tat. Einem Zeugen ist kurz vor dem Mord ein Mann vor der Ökostation begegnet – beschreiben kann er ihn nicht. Am Tattag war im Gebüsch um die Ökostation in der Mittagszeit ebenfalls ein Mann beobachtet worden – ein Phantombild bringt der Polizei keine sachdienlichen Hinweise.
Werneth ist heute noch die Verzweiflung darüber anzumerken, wie alle Spuren im Sande verliefen. Unter rund 300 Hinweisen nichts, was weiterführte. "Nicht einmal die sonst üblichen Denunzianten haben sich gemeldet." Leicht lässt sich vermuten, dass der Täter im nahen Umfeld der Ökostation wohnte. Aber es gibt keinen Beweis, um ihn festzunageln. "Der Fall lässt sich vermutlich nur durch ein Geständnis klären", meint Werneth.
Oder durch Kommissar Zufall: Am Nachmittag eines jeden 29. November treibt es Werneth zur Ökostation: Vielleicht kommt ja doch der Mörder zum Tatort und benimmt sich auffällig. "An solchen Gedanken merken Sie, wie ich die Chance auf eine Lösung einschätze", sagt Werneth. Trotzdem – die Akte Mordfall Ökostation wird nicht geschlossen.