«Aktenzeichen» trifft «CSI»: Daheim bei Mördern Tatsache: Mord?
Sat.1 hat jetzt eine «spektakulär» aufgepeppte Variante des Fahndungsklassikers «Aktenzeichen XY» im Programm. TV-Experte Jens Szameit hat sich die Auftaktfolge angesehen.
Mord verjährt nicht – und der Fahndungsklassiker «Aktenzeichen XY … ungelöst» vergeht nicht. Seit 1967, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, werden im ZDF ungesühnte Verbrechensfälle vorgestellt. Ursprünglich vom kantigen Urgestein Eduard Zimmermann, seit 2002 vom ehemaligen Eisläufer Rudi Cerne, einem korrekt gescheitelten TV-Profi mit tadellosen Manieren. Die nachgestellten Szenen von Raub, Mord und Totschlag haben seit den 60er-Jahren erstaunlich wenig an schauspielerischem Dilettantismus eingebüsst. Dennoch verfolgen die «XY»-Sendungen auch nach fast 50 Jahren viele Millionen Zuschauer in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Liegt es am Reiz des Grauens, das einem hier gefühlt viel näherkommt als im fiktionalen TV-Krimi? Aktenzeichen XY «Wo ist mein Kind?»: Diese Fälle rauben Rudi Cerne den Schlaf
Aktenzeichen XY «Wo ist mein Kind?»: Diese Fälle rauben Rudi Cerne den SchlafAktenzeichen XY «Wo ist mein Kind?»: Diese Fälle rauben Rudi Cerne den SchlafAktenzeichen XY «Wo ist mein Kind?»:
Ein mit «CSI»-Effekten aufgepeppter «XY»-Klon mit Moderationsblondine So ähnlich muss sich Sat.1 wohl den «Aktenzeichen»-Erfolg der Konkurrenz erklärt haben. Jedenfalls hat der Privatsender mit dem Bällchenlogo ein Format schneidern lassen, das sich im Blut authentischer Mordfälle förmlich suhlt. Gut zwei Stunden lang lief die Auftaktfolge von «Tatsache Mord? Auf der Spur des Verbrechens» am Mittwochabend. Wie soll ich's umschreiben? Als mit «CSI»-Effekten und Horrofilmmusik aufgepeppten «XY»-Klon mit Moderationsblondine – und natürlich mit ausnahmslos «spektakulären» Fällen? «Spektakulär» – das ist augenscheinlich die Lieblingsvokabel der Macher. Aber «spektakulär» waren sie dann tatsächlich, die vorgestellten Ungeheuerlichkeiten aus der Auftaktsendung. Weil man als Zuschauer hautnah dran sein soll an Tathergängen und Blutpfützen wurde die Moderatorin Kamilla Senjo immer wieder wie von Geisterhand in die Spielszenen gebeamt. «Es ist der rätselhafteste Kriminalfall der letzten Jahre», raunte Frau Senjo eingangs dunkel. «Familie Schulze aus Drage verschwindet. Spurlos! Von einem Tag auf den anderen!» Dann löste sich die Familie im Rücken der Moderatorin mittels Tricktechnik in die sprichwörtliche Luft auf. Synthezisermusik – man war geflasht.
Rudi Cerne, bitte übernehmen! Der Fall Schulze ist sogar mir als ungeübtem Panorama-Teil-Leser ein Begriff. Natürlich auch der einschlägige ältere Fall des Bankierssohns Jakob von Metzler. Diese scheussliche Entführungsgeschichte wurde ebenso aufgerollt wie die eines sexlüsternen Pastors, der mithilfe von Maden und Ameisen des Mordes überführt wurde, sowie das seltsame Verschwinden eines trinkfesten Landwirts aus Oberbayern. Kompetente Köpfe wie die Münchner Kommissarslegende Josef Wilfling und die «Spiegel»-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen machten sachdienliche Einlässe. Kann man so aufziehen.
«Tatort»-Drehbuchautoren könnten die Schilderungen echter Ermittlungsarbeit ganz sicher als gute Inspirationsquelle nützen. Im Dienst der Aufklärungen steht die unangenehm zum Voyeurismus neigende Sat.1-Mordsschau aber nur sehr bedingt – auch wenn einmal eine Telefonnummer der Kripo eingeblendet wurde. Ungelöste Verbrechensfälle sind bei «Aktenzeichen XY» ganz sicher besser aufgehoben – Rudi Cerne, bitte übernehmen!
«Tatsache Mord? Auf der Spur des Verbrechens» lief am Mittwochabend, 24. August, um 20.15 Uhr auf Sat.1. Mit Swisscom TV Replay können Sie alle Sendungen bis zu sieben Tage nach Ausstrahlung anschauen.