Vor 23 Jahren erhängte sich Kurt-Werner W. aus Norddeutschland in einer Gefängniszelle mit einem Gürtel. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits zahlreiche seiner Verbrechen aufgedeckt worden. Doch noch immer ermittelt eine Soko – nach und nach ergibt sich ein schreckliches Bild. Über den Fall berichtet die „Hamburger Morgenpost“ (Mopo).
Jahrelang haben Lüneburger Ermittler Details über W. zusammengetragen, die eine Frage nahelegen: War W. einer der schlimmsten Serienmörder der Nachkriegszeit? Der eitle W., der mit seinem gepflegten Äußeren nicht auffiel, soll nicht nur gemordet, sondern auch gequält und vergewaltigt haben. Laut „Mopo“ könnte der Mann sieben Menschenleben auf dem Gewissen haben.
Wieso vergrub er einen neuen Sportwagen Seine kriminelle Karriere beginnt W. bereits im Alter von 14 Jahren. Damals dringt er mit einem Dolch bewaffnet in das Haus einer Frau ein, um Geld zu stehlen. Als die Frau erwacht, würgt er sie und flieht.
In den darauffolgenden Jahren folgen zahlreiche Vergehen. Viele Fragen versuchen die Ermittler nun zu klären. So etwa, wieso W. einen neuen Sportwagen in seinem Garten vergrub, an dem Spürhunde Leichengeruch wahrnahmen.
Frau durfte geheimen Raum nicht betreten
Zu Lebzeiten hatten Fahnder bereits das Haus durchsucht, in dem W. und seine Ehefrau lebten. Besondere Aufmerksamkeit richteten sie laut „Mopo“ auf einen Raum im Obergeschoss. W.‘s
Ehefrau durfte diesen auf Geheiß ihres Mannes nicht betreten.
Ermittler fanden dort unter anderem Ketten, Kanülen, Beruhigungsmittel, eine Abhöranlage und Waffen. Der Raum verfügte dem Bericht zufolge über mehrere Geheimfächer in Möbeln und Verstecken in der Wand.
Seine ungeklärten Taten sind nicht das einzige Rätsel, das W. hinterlässt. Vor seinem Selbstmord schrieb er zwei Abschiedsbriefe. Laut „Mopo“ enthalten diese verdeckte Hinweise und enden mit den Worten: „Bitte denkt nicht nur an meine schlechten Seiten. Gott sei mir gnädig.“
Biedermann und Bestie Nach 23 Jahren sind Lüneburger Ermittler auf der Spur von Kurt-Werner W. – dem vielleicht schlimmsten Serienmörder der Nachkriegsgeschichte
Hamburger Morgenpost27 May 2016 Von THOMAS HIRSCHBIEGEL und ANASTASIA IKSANOV
Warum vergräbt man einen Neuwagen im Garten? Diese Frage wollen die Ermittler jetzt klären. Diese Augen! Wer die Fotos von Kurt-Werner W. betrachtet, vergisst sie nie wieder. Zu diesen Bildern gibt es einen schrecklichen Verdacht: Der blonde Mann soll der schlimmste Serienmörder Norddeutschlands gewesen sein. Aktuell ermittelt eine SoKo der Lüneburger Polizei, ließ bereits auf verschiedenen Friedhöfen Leichen exhumieren.
Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist das Ergebnis eines komplizierten Puzzles. Ermittler haben über Jahre Indizien zusammengetragen. Die MOPO kennt die Details: Sie ergeben das Bild eines zutiefst kriminellen Mannes, das wir in den kommenden Tagen Stück für Stück veröffentlichen werden.
Es zeigt ein verpfuschtes Leben, das immer wieder um Gewaltverbrechen kreist. Es gibt Ermittlungen und Urteile gegen ihn, eine Haftstrafe, eine Flucht. Und einen seltsamen und dünnen Anstrich der Normalität, mit dem Kurt-Werner W. seine Abgründe zu kaschieren versuchte. Kurt-Werner W. hat vergewaltigt und gequält. Das wusste man schon länger. Was jetzt im Raum steht, ist viel monströser als das.
Sieben Morde könnten auf sein Konto gehen – darunter die Göhrde-Morde, Fälle, die damals das ganze Land in Atem hielten.
Zwischen seiner ersten Straftat und seinem Selbstmord 1993 vergehen 29 Jahre. Diese Zeit wird jetzt von der Lüneburger Kripo bis ins Kleinste überprüft. Denn: Die Tatmuster vieler weiterer Fälle passen zusammen. Als sicher sehen die Ermittler inzwischen an, dass Kurt-Werner W. 1989 im Raum Lüneburg die damals 41 Jahre alte Birgit M. ermordet hat. Die Leiche wurde nie gefunden. Hat der Friedhofsgärtner sie in einer frischen Grabstelle vergraben? Aber der Reihe nach.
Brutal schon als Teenager: Kurt-Werner W. wird 1949 geboren. Sein Vater arbeitet bei einem Energie-Unternehmen. Die Dinge laufen schnell aus dem Ruder. Mit 14 Jahren wird die „vorläufige Fürsorgeerziehung“angeordnet. Der Junge kommt in das „Wichern-Stift“.
1964 dringt der 15-Jährige bewaffnet mit einem Dolch ins Haus der Nachbarin ein und versucht, Geld zu stehlen. Als die Frau erwacht, würgt er sie und flieht. Kurt-Werner wird zu Jugendarrest verurteilt. Danach beginnt er eine Lehre als Elektriker.
Die erste Sex-Attacke mit 16: 1965 betatscht der Junge in Bardowick, einem Dorf bei Lüneburg, eine Radfahrerin. 1967 begeht er einen Betrug. Als Kripoleute ihn festnehmen wollen, droht er ihnen mit einem Kleinkalibergewehr. Die Beamten schießen, verletzen den 18-Jährigen am Bein. Er entkommt zunächst, wird später zu einem Jahr Jugendknast verurteilt.
1970: Er vergewaltigt eine 17Jährige. Tatort Elbe-Seiten-Kanal. Das Opfer: eine Anhalterin. Kurt-Werner W. vergewaltigt die 17-Jährige und versucht, sie zu erwürgen. Er legt das leblose Opfer in den Kofferraum seines Autos und rast in einen Wald. Als er die Klappe öffnet, attackiert die inzwischen wieder erwachte Frau ihn mit einem Spaten. Werner W. schlägt den Kofferraumdeckel zu und rast davon. Später lässt er die Frau frei.
Die Kripo ermittelt KurtWerner W. als Täter, findet bei ihm zwei Kleinkalibergewehre. Das Urteil wird 1971 gefällt: Fünfeinhalb Jahre Haft. KurtWerner W. verbüßt die Strafe im Knast Wolfenbüttel und wird 1974 entlassen. Der Mordfall Ilse Gerkens: Bei der Hausdurchsuchung, die zu W.s Haftstrafe führte, fanden die Ermittler auch Zeitungsausschnitte von 1968 über den Mord an Ilse Gerkens. Die Frau war in Lüneburg von einem Unbekannten vom Rad geschossen worden – mit einem Kleinkalibergewehr, wie es auch bei anderen Fällen eingesetzt wurde. Doch niemand scheint damals diese Spur weiterverfolgt zu haben.
Das bürgerliche Leben – und ein geheimer Raum: Bis in die 80er Jahre hält Kurt-Werner W. sich in Karlsruhe auf, kehrt dann nach Lüneburg zurück. W. hat von seinem Vater das Haus und mehr als 15 000 Quadratmeter Land geerbt.
Kurt-Werner W. hat inzwischen geheiratet und bezieht das Haus mit seiner Ehefrau. Doch ein Zimmer ist für sie tabu: der „geheime Raum“im Obergeschoss. Bis zu seinem Freitod 1993 hat sie den Raum vermutlich nie betreten.