UNGEKLÄRTE KRIMIN... Erwürgt: Die tote Rentnerin in der Platten...
06.08.2011 Eine Aufnahme des Innenhofs der Bobbauer Straße aus den Ermittlungsakten von 2001. Der Pfeil deutet auf die Wohnung. Eine Aufnahme des Innenhofs der Bobbauer Straße aus den Ermittlungsakten von 2001. Der Pfeil deutet auf die Wohnung. Foto: Polizei
Von Bernd Kaufholz
In Sachsen-Anhalt werden Jahr für Jahr rund 1500 sogenannte Kapitalverbrechen begangen - darunter rund 100 Tötungsdelikte. Die meisten Fälle werden aufgeklärt. Doch bleiben immer noch einige Straftaten übrig und die Täter unerkannt. Die Volksstimme nimmt sich in ihrer Sommerserie gemeinsam mit Staatsanwaltschaft und Polizei einiger dieser Delikte an und fragt: Wer kann Hinweise geben?
Wolfen. Die zu DDR-Zeiten heißbegehrten Neubauwohnungen in der Plattenbausiedlung Wolfen-Nord stehen im Jahr 2001 bereits so gut wie leer. Wer hier von den einst 35000 Einwohnern noch ausharrt, hat keine andere Möglichkeit, in ein wohnlicheres Umfeld zu ziehen oder ist in einem Alter, in dem er sich mit den heruntergekommenen Gegebenheiten des einstigen Vorzeige-Wohngebiets abgefunden hat.
Zu den knapp 10000 Mensche, die im Sommer vor zehn Jahren in der "Trabantenstadt der Bitterfelder Chemiearbeiter" noch leben, gehört die 61 Jahre alte Renate M. Die Invalidenrentnerin ist nicht mehr so gut zu Fuß. Deshalb ist sie hin und wieder auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen.
Allerdings kann sie in ihrem Fünfgeschosser in der Bobbauer Straße 87 nicht mit Unterstützung rechnen. Nur zwei der zehn Wohnungen sind noch bewohnt - ihre eigene und die eines einzelnen Herrn, der sich allerdings beruflich bedingt kaum in seinen vier Wänden aufhält.
Und genau dieser Leerstand soll später die Ermittlungen der Dessau-Roßlauer Mordkommission dermaßen erschweren, dass das Geschehen, in der Wohnung von Renate M. bis heute im Großen und Ganzen noch im Dunkeln liegt.
Totenschein: "Unklare Todesursache"
Hilfe bekommt die 61-Jährige von Hartmut Berger (Name geändert) aus der Nachbarschaft. Der 38-Jährige geht manchmal für sie einkaufen oder zur Sparkasse und unterstützt sie bei anderen Gängen.
Am Mittag des 4. August 2001 will Berger die Frau besuchen. Ob die Tür offen stand oder ob er einen Schlüssel hatte, will Kriminalhauptkommissar Ingolf Weimer von der Dessau-Roßlauer Mordkommission nicht preisgeben. "Es gibt so wenig Spuren in dem Fall, dass wir bestimmte Fakten, die möglicherweise nur der Täter wissen kann, nicht öffentlich machen wollen."
Berger, der ebenfalls in der Plattenbausiedlung wohnt, betritt die Dreiraumwohnung in dem Sechseingangsblock und stolpert beinahe über die Rentnerin. Sie liegt am Boden. Für den 38-Jährigen ist es, nachdem er sich zu der Leblosen hinunter gebeugt hat, keine Frage: Renate M. ist tot. An eine Straftat denkt der Besucher jedoch nicht. Denn äußerlich gibt es keine Anzeichen dafür.
Er informiert den Rettungswagen. Die Notärztin stellt kurz darauf den Tod fest, notiert jedoch auf dem Totenschein: "Unklare Todesursache - nicht in Anwesenheit anderer verstorben."
Damit wird der Fall zu einer Todesursachenermittlung. Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau ordnet die Öffnung der Leiche in der Universitätsklinik Halle an. Bei der Obduktion stellt sich heraus, dass die "Bauchschmerzen", die die Notärztin im Zusammenhang mit dem Ableben der Rentnerin hatte, durchaus berechtigt waren. "Gewalt gegen den Hals", lautet die Diagnose - und somit ein Verbrechen.
Die Tat könnte etwa zwölf Stunden vor dem Auffinden der Leiche begangen worden sein - also gegen Mitternacht.
Auch in Bezug auf die Todesursache hält sich die Mordkommission bedeckt und verrät nicht, ob das Opfer mit den Händen erwürgt, mit einem Tatwerkzeug stranguliert oder vielleicht unter sogenannter weicher Bedeckung (Kissen) erstickt wurde. Berücksichtigt man allerdings, dass der 38-Jährige, der M. fand, kein "Strangwerkzeug" am Hals des Opfers entdeckte, dürfte diese Todesart wohl ausscheiden.
"Wir haben uns die unaufgeräumte und recht unsaubere Wohnung natürlich genau angesehen, aber ein Motiv konnten wir nicht herausfinden", sagt Weimer. Somit sei bis heute unklar, ob die Rentnerin und der Täter in irgendeiner Beziehung standen oder ob es sich um eine reine Zufallstat gehandelt hat.
Rund 150 Menschen im Wohngebiet befragt
Die Kriminalisten beginnen unmittelbar nach dem Auffinden der Getöteten damit, ausgehend von der Wohnung, dann im immer weiteren Umkreis, zu ermitteln.
"Das soziale Umfeld im Wohngebiet war nicht einfach. Trotzdem haben wir etwa 150 Leute befragt", erinnert sich der Kriminalhauptkommissar. "Aber die Ausbeute war mehr als mäßig. Rund 50 Zeugen kannten das Opfer zwar unter dem Vornamen Renate, aber mehr als dass sie sich hin und wieder mal am Getränke-Imbiss-Stand im Carré-Innenhof aufgehalten hat, konnte niemand sagen", so Weimer.
Innerhalb der Familie stößt die Kripo ebenfalls ins Leere. Es habe beinahe keinen Kontakt zwischen der Frau und ihren Angehörigen gegeben. "Die Ausnahme war ein damals Zwölfjähriger. Dabei handelte es sich um den Adoptivsohn der Ex-Schwiegertochter von Renate M."
Der Junge lebte in einem Heim, das etwa 100 Kilometer von Wolfen entfernt lag. Doch hin und wieder besuchte er seine Oma. Dann schlief er dort für einige Zeit. "Natürlich haben wir auch überprüft, wo er sich am Tattag aufgehalten hat. Es ist auszuschließen, dass er in der Nacht vom 4. zum 5. August in der Bobbauer Straße war."
Nachdem die Kriminalisten alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, nimmt sich auf Wunsch der Dessauer Behörde die "Operative Fallanalyse" des Landeskriminalamts der Sache an. In der OFA werden die objektiven Daten der Tat einer neuen Bewertung unterzogen und Hypothesen über ihren Hintergrund aufgestellt.Allerdings werden auch dabei keine neuen Ansätze gefunden.