So 20.03.2016 | 19:00 | Täter - Opfer - Polizei Buchtipp - „Die Tote von Wandlitz“ Es ist der Juli 1988, der letzte Schultag vor den großen Ferien. Eine 13-Jährige aus Berlin fährt zu Verwandten, die im Bezirk Potsdam wohnen. Dort kommt das Mädchen nie an.
Eines von drei Verbrechen, die Remo Kroll und Frank-Rainer Schurich in ihrem Buch „Die Tote von Wandlitz - Authentische Mordfälle aus der DDR“ nachzeichnen.
Die Autoren sind vom Fach: Remo Kroll arbeitet bei der Berliner Polizei, Frank-Rainer Schurich war früher Professor für Kriminalistik an der Berliner Humboldt-Universität.
Für diesen Mordfall haben sie sich entschieden, weil er einer der größten Kriminalfälle der 1980erjahre in der DDR war. Beide erinnern sich noch gut an die Ermittlungen. Im Buch wird auch beschrieben, warum der Mord trotz aller Bemühungen 15 Jahre lang nicht aufgeklärt werden konnte. Erst das Jahr 2003 bringt den Durchbruch…
Nachzulesen – neben anderen Fällen - in „Die Tote von Wandlitz“ Verlag Bild und Heimat
„Das Böse ist immer und überall“, philosophierte die Austropopband Erste Allgemeine Verunsicherung 1986 in ihrem Hit vom Banküberfall. Was da so witzig aus dem Lautsprecher rieselt, kann Kriminalisten allerdings nur zu einem schiefen Grinsen auf dem Gesicht verführen. Es ist ihr Arbeitsalltag, der da persifliert wird, ein oftmals sehr grausiger Arbeitsalltag. Der ist gar nicht lustig, häufig genug frustrierend, und mit den locker daherkommenden „Tatort“-Teams hat er nun überhaupt nichts zu tun.
Blättchen-Autor Frank-Rainer Schurich nahm sich dieses Alltags an und legte jetzt zusammen mit zwei Mitautoren drei bemerkenswerte Bücher über ihn vor. Korrekter ausgedrückt handelt es sich um die Erzählung historischer Kriminalfälle aus dem Berlin-Brandenburgischen Raum. Gemeinsam ist diesen Veröffentlichungen, dass ihnen das Reißerische, dem man sich als interessierter Leser gerade bei kriminalhistorischer Sachliteratur inzwischen zum Überdruss ausgesetzt sieht, fast vollkommen abgeht.
Ich sage absichtsvoll „fast“: Der von Schurich gemeinsam mit Remo Kroll verfasste Band ist bei Bild und Heimat Berlin in der Reihe „Blutiger Osten. Das Original“ erschienen. Wenn ich richtig gezählt habe, dürfte es der 35. Band der Gruselreihe sein. Aber für den Reihentitel können die Autoren nichts. Der Verlag will seine Bücher verkaufen – und dieser Markt ist hart umkämpft. Den Kollateralschaden haben die ostdeutschen Tourismus-Werber…
Allerdings weicht der hier zu besprechende Titel „Die Tote von Wandlitz“ vom Schema ab. Der dem Band seinen Titel gebende Fall fällt zudem aus jedem „gewohnten“ Rahmen: Es ist der Fall eines MfS-Personenschützers, der sich aufgrund einer neuen Liebe seiner Ehefrau entledigen wollte und diese ziemlich kaltblütig und erbarmungslos in einem Waldstück bei Wandlitz umbrachte.
Der Täter Werner Maschke war schnell gefasst worden. Der Generalstaatsanwalt der DDR Josef Streit wollte die Todesstrafe beantragen. Die Sache musste dem Ersten Sekretär des SED-ZK, das war im Februar 1972 Erich Honecker, vorlegt werden. Honecker sagte „Nein“ – Maschke wurde dennoch im September 1972 hingerichtet. Die Schilderung dieses Vorganges, den man getrost einen Justizmord nennen kann, treibt einem durchaus einen Schauer über den Rücken.
Die anderen beiden Fälle des Bandes hingegen schildern mit akribischer Genauigkeit kriminalistische Ermittlungsarbeit. Gemeinsam ist beiden nicht nur ein sehr langer Ermittlungszeitraum – auch die Tatsache, dass sich die Ermittlungen weit über das Ende der DDR hinzogen, macht sie bei aller Tragik zu einem Lehrstück deutscher Polizeiarbeit.
Am 1. Juli 1988 wurde in der Nähe des Veltener Autobahnsees die 13-jährige Maria Meißner missbraucht und ermordet. Trotz aufwendigster Ermittlungen – wie in allen Fällen dieser Art – konnte der Täter zunächst nicht gefasst werden. Die Autoren schildern in ihrem Bericht, wie es dennoch im Dezember 2003 Eberswalder Kriminalisten durch die nun mögliche DNA-Analyse gelang, den Täter ausfindig und haftbar zu machen. Für die sogenannten „Altfälle“ – es existieren noch einige auch aus den Zeiten der DDR – war das ein nicht allzu häufiger Glücksumstand: „Aufgrund der Umstrukturierungen nach 1990 werden sich viele Fälle überhaupt nicht mehr aufklären lassen. Es gingen im Zuge der Auflösung von Dienststellen der Deutschen Volkspolizei und des MfS und der Einrichtung von neuen Dienststellen in den ostdeutschen Bundesländern wichtige Asservate bzw. vergleichsmaterial für heute mögliche DNA-Untersuchungen verloren.“
Auf diese vorsichtige Weise beschreiben die Autoren ihr Bedauern über die offensichtlich in größerem Umfange erfolgte Zerstörung von Beweismaterial. Auch das Maria gehört habende untersuchungsentscheidende Kleidungsstück befand sich in einer Asservatensammlung des MfS und wurde 1989 der Kriminalpolizei übergeben. Ähnlich kompliziert gestaltete sich der Mordfall Gerhard Herdegen aus dem Jahre 1987. Der Fall wurde im November 1989 zu den Akten gelegt – durch einen Zufall, einen akribisch arbeitenden Kriminaltechniker und einen psychologisch versierten Berliner Kriminalisten konnte auch dieser Mord aufgeklärt werden: 1995. Verurteilt wurde dieser Täter allerdings „nur“ wegen Körperverletzung mit Todesfolge.
Frank-Rainer Schurich und Remo Kroll ziehen ein Fazit aus ihrer Analyse beider – und ähnlich gelagerter – Fälle: „Die Beschäftigung mit Altfällen ist in der Regel eine ziemlich aussichtslose und deprimierende kriminalistische Tätigkeit. Oft fehlt auch die Zeit, sich mit alten Fällen zu beschäftigen, weil zu viele neue bearbeitet werden müssen. Und man muss sich die kindliche Eigenschaft, an Wunder zu glauben, bewahrt haben, den Zufall schätzen und kalkulieren können und fest an die eigenen Fachkompetenzen glauben mit dem unbedingten Willen, einen Fall nach so langer Zeit doch noch zu lösen.“ Voraussetzung dafür, dieser Einschub ist hier anlässlich der realen Situation bei den deutschen Landespolizeibehörden notwendig, eine ordentliche Ausstattung mit gut ausgebildeten Kriminalisten und Kriminaltechnikern.
Von den heutigen technischen Ermittlungsmöglichkeiten konnten die Ermittler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur träumen. Frank-Rainer Schurich und Michael Stricker beschreiben im Band „Die Bestie aus dem Wald“ die sich seit den 1890er Jahren bis in das Jahr 1935 hinziehende verzweifelte Suche nach einem Mörder, dem möglicherweise reichsweit Kinder, Jungen zumeist, in einer nicht mehr konkret zu benennenden, aber sicher erheblichen Zahl zum Opfer fielen. Nachgewiesen werden konnten ihm schlussendlich „nur“ zwölf Knabenmorde aus der Zeit zwischen 1933 und 1935. Kurz vor seiner Hinrichtung im Mai 1936 gestand „Onkel Tick-Tack“, so wurde er von einigen seiner Opfer genannt, weitere acht Morde. Auch bei diesem Täter waren es neben dem berühmten Kommissar Zufall ein akkurat arbeitender Staatsanwalt – Wilhelm Beusch aus Schwerin –, dem als erstem ein möglicher Zusammenhang zwischen ungeklärten Vermisstenfällen und Funden seltsamer Kindesleichen auffiel und der Chef der Berliner Mordinspektion Ernst Gennat, dem es gelang, mit seinen Ermittlern den Serienmörder Adolf Seefeld zu stoppen.Eine Mordserie muss als eine solche erst einmal erkannt werden… Seefeld arbeitete als Wanderuhrmacher und lockte seine Opfer gern mit Uhren an, daher der Spitzname. Beusch verstrickte sich später übrigens tief in das Mordsystem der NS-Justiz. Auch das wird dankenswerterweise von den Autoren nicht verschwiegen.
Die in einem auch für Nicht-Spezialisten sehr lesefreundlich geschriebene „Bestie aus dem Wald“ ist streng genommen ein Sonderdruck des ersten Kapitels eines umfangreichen Werkes der beiden Autoren in der „Schriftenreihe Polizei“ des Berliner Verlages Dr. Köster: „Der Serienmörder Adolf Seefeld und die moderne Kriminalistik“. Neben der erwähnten Falldarstellung legen Schurich und Stricker umfangreiche Erörterungen zu in der Literatur umstrittenen Fakten wie dem Aussagewert des erwähnten „Geständnisses“ Seefelds, der immer noch offenen Fragen nach den Todesursachen seiner Opfer und möglichen weiteren Mordtaten dieses Mannes vor. Daneben wurden Expertisen zu genau jenem Gutachten – immer wieder wurde und wird behauptet, dieses wäre unter der Anwendung von Folter zustande gekommen, die Autoren lehnen diese These ab – und zum möglicherweise verwendeten Gift, dessen Geheimnis Seefeld mit ins Grab nahm, aufgenommen. Den Band runden die zeitgenössischen Gerichtsdokumente ab.
Frank-Rainer Schurich und Michael Stricker haben mit „Der Serienmörder Adolf Seefeld“ ein opulentes kriminalgeschichtliches Werk vorgelegt, dessen hoher fachlicher Qualitätsanspruch Schule machen sollte und das auch Nicht-Fachleute wie den Rezensenten von der ersten bis zur letzten Seite in seinem Bann hält. Die Autoren entlassen ihre Leser mit einem verstörend wirkenden Zitat ihres US-amerikanischen Kollegen Edward Spitzka: „Die wilde Bestie schlummert in uns allen. Wir sollten uns nicht immer auf Geistesgestörtheit berufen um ihr Erwachen zu erklären.“ Blättchen-Lesern wird der Fall Seefeld übrigens aus gutem Grunde bekannt vorkommen.
Frank-Rainer Schurich / Remo Kroll: Die Tote von Wandlitz und zwei weitere authentische Kriminalfälle aus der DDR, Bild und Heimat, Berlin 2015, 208 Seiten, 12,99 Euro. F rank-Rainer Schurich / Michael Stricker: Die Bestie aus dem Wald. Historischer Kriminalfall, Verlag Dr. Köster, Berlin 2015, 135 Seiten, 9,95 Euro.
Frank-Rainer Schurich / Michael Stricker: Der Serienmörder Adolf Seefeld und die moderne Kriminalistik, Verlag Dr. Köster, Berlin 2015, 395 Seiten, 24,95 Euro.