Prozess Stuttgart: Schülerin auf Toilette gefesselt Menschenraub: Motiv bleibt rätselhaft Von George Stavrakis 14. Januar 2016 - 06:00 Uhr
Erpressung, Sexspiele oder gar Mord? Das Motiv für die gescheiterte Entführung einer 15-Jährigen aus einer Schule in Nürtingen bleibt auch am ersten Prozesstag im Dunkeln.
Stuttgart/Nürtingen - Wer es war, scheint geklärt. Ein 27 Jahre alter Mann aus Neuffen hat am ersten Prozesstag vor dem Landgericht Stuttgart gestanden, im Mai vorigen Jahres versucht zu haben, eine Schülerin zu entführen. „Das große Rätsel bleibt das Motiv“, sagt sein Verteidiger Stefan Holoch. „Ich glaube, er weiß es selbst nicht“, so Holoch weiter.
Der in Heidelberg geborene, mehrfach vorbestrafte Angeklagte hat alle Vorwürfe vor der 4. Strafkammer über seinen Anwalt eingeräumt. Neben dem Hauptvorwurf des Menschenraubs werden ihm noch Beleidigungen, Faustschläge gegen Passanten, ein versuchter Diebstahl und Widerstand gegen Polizisten vorgeworfen – meist begangen im Alkoholrausch. „Und dann kam der Paukenschlag“, sagt der Verteidiger.
Es ist der 5. Mai 2014. Gegen 12.15 Uhr geht eine 15-jährige Schülerin des Max-Planck-Gymnasiums in Nürtingen (Kreis Esslingen) aus der Englischstunde auf die Toilette. „Als ich reinkam habe ich gesehen, wie eine Kabinentür zuging“, so das Mädchen vor Gericht. Als sie selbst aus ihrer Kabine kommt, springt ein schwarz gekleideter Mann auf sie zu, drückt sie an eine Kabinenwand, wobei sie sich den Kopf wuchtig anschlägt, und er beginnt ihren Kopf mit schwarzem Klebeband zu umwickeln. „Ich habe keine Luft mehr bekommen“, sagt die tapfere Zeugin, die immer noch traumatisiert ist, vor Gericht aber Stehvermögen zeigt.
Gefesselt und in Kabine gezerrt
Der Unbekannte fesselt das Mädchen an den Händen und zerrt es in eine Kabine, in der eine schwarze Sporttasche steht. Dort fixiert er die Beine der Schülerin mit Klebeband und versucht, sie in die Sporttasche zu stecken. Zuvor hatte es die Jugendliche geschafft, das Band von der Nase zu schieben – sie kann wieder gut atmen. Dann trägt der Mann sein Opfer halb aus der Tasche heraushängend aus der Toilette in Richtung Ausgang, dreht aber wieder um. „Er hat wohl gemerkt, dass das eine dumme Idee war“, sagt die Zeugin. Er setzt die gefesselte Schülerin in einer Toilettenkabine ab und verschwindet. Das Mädchen wird von einer Mitschülerin gefunden. „Ich habe keine Ahnung, was er mit mir wollte“, sagt die heute 16-Jährige. Klar ist nur, dass sie ein Zufallsopfer war. Noch am selben Abend hatte sich der Mann in Stuttgart der Polizei gestellt.
Der unscheinbare Angeklagte, der nach seinem Abitur mehrere Studiengänge in den Sand gesetzt hat, gibt zwar Auskunft zu seinem Lebenslauf – zu den Vorwürfen lässt er aber seinen Anwalt sprechen. Alles sei soweit zutreffend, sein Mandant entschuldige sich bei dem Opfer, den Eltern und den anderen Schülerinnen und Schülern, wolle aber nichts weiter sagen und werde auch keine Fragen beantworten, so Verteidiger Holoch.
„Quälen, missbrauchen, töten?“
„Jeder fragt sich, was Sie mit dem Mädchen machen wollten“, sagt Vorsitzende Richterin Cornelie Eßlinger-Graf und sie listet Möglichkeiten auf. Geld erpressen von den Eltern? Unwahrscheinlich, da der 27-Jährige nicht wissen konnte, wen er auf der Toilette in seine Gewalt bringt. „Quälen, sexuell missbrauchen, töten?“ fragt die Richterin. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Mannes hatte man eine große Menge an Pornografie sichergestellt – auch Fesselsex-Darstellungen. „Sie wollten mit dem Opfer sicher nicht Schach spielen oder tiefgründige Gespräche führen“, sagt so die Richterin. Sie lege ihm dringend ans Herz, sich zu öffnen. „Wenn man nicht weiß, was mit Ihnen los ist, kann man Ihnen auch nicht helfen“, so die erfahrene Kammer-Chefin.
Es bleibt dabei: Der Angeklagte schweigt, sein Motiv für den Überfall auf die Schülerin bleibt rätselhaft – vorerst. Bei der Polizei hatte er lediglich ausgesagt, er habe sich schon Wochen zuvor mit dem Plan für den Menschenraub beschäftigt. Ob die Worte der Richterin bei ihm einen Sinneswandel bewirken, bleibt abzuwarten. Es sind noch weitere sieben Verhandlungstage mit mehr als 40 Zeugen terminiert.
Auf ein besonders erfolgreiches Leben blickt der merkwürdige Angeklagte nicht zurück.
Suizidversuch in Italien
Als Sohn eines Bauunternehmers in Heidelberg geboren, zieht er als Kind nach Stuttgart. Die Eltern trennen sich, er macht in Tübingen das Abitur. Pilot kommt als Beruf infrage, die Bundeswehr will ihn nicht. Er beginnt mehrere Studiengänge und Ausbildungen, bringt aber nichts zu Ende. Schon als Jugendlicher spricht er übermäßig dem Alkohol zu. Im Alter von 21 Jahren schnappt er sich das Auto seines Vaters und fährt nach Italien – ohne Führerschein. Dort will er sich umbringen, fährt gegen einen Brückenpfeiler und überlebt leicht verletzt. „Ich hatte keine Perspektive für mich gesehen“, sagt der Mann. Zwischenzeitlich ist er obdachlos. Seine einzige längere Beziehung : 2011 für acht Monate mit einer thailändischen Prostituierten. Der Prozess wird am 18. Januar fortgesetzt.
Prozess zum Mädchenraub von Nürtingen Staatsanwalt fordert mehrjährige Haftstrafe Von red/lsw 28. Januar 2016 - 16:58 Uhr
Warum der Täter das Mädchen in der Damentoilette überfiel und in einer Reisetasche aus einem Gymnasium in Nürtingen verschleppen wollte, ist weiter unklar. Das Urteil wird am kommenden Montag verkündet.
Stuttgart - Im Prozess um die versuchte Entführung einer 15-Jährigen aus einer Schule in Nürtingen hat die Staatsanwaltschaft auf eine Haftstrafe von fünf Jahren und drei Monaten plädiert. Das Landgericht Stuttgart wirft dem 27 Jahre alten Angeklagten Menschenraub und gefährliche Körperverletzung vor. Noch immer ist unklar, warum er das Mädchen in der Damentoilette überfiel und in einer Reisetasche aus einem Gymnasium verschleppen wollte. Der Mann hatte die Tat zum Prozessbeginn am 13. Januar gestanden. Das Urteil wird am kommenden Montag (12.30 Uhr) verkündet.
Laut Anklage hatte er das 1,60 Meter große und knapp 50 Kilogramm schwere Mädchen am 5. Mai 2015 mit Klebeband gefesselt und wollte es in einer Reisetasche wegtragen. Dies scheiterte jedoch. Noch am Abend der gescheiterten Verschleppung stellte er sich der Polizei. Ein psychiatrischer Gutachter sprach von einem „hoch ungewöhnlichen und ausgesprochen unheimlichen Delikt“. Der 27-Jährige habe wohl eine narzisstisch-schizoide-dissoziale Persönlichkeitsstörung.
Die Polizei stieß auf pornografische Bilder auf dem Laptop des Angeklagten. Darunter habe sich auch „sadistisches Hardcorematerial“ befunden, so eine Polizistin, die als Zeugin aussagte. Die Bilder geben aber keinen Aufschluss über eine sexuelle Störung, sagte der Gutachter. Der Täter habe zudem ein Alkoholproblem.
Versuchte Entführung auf Schultoilette - Täter zu mehrjähriger Haft verurteilt Update 01.02.2016 - Urteil des Landgerichts Stuttgart
NÜRTINGEN/STUTTGART: Der 27-jährige Mann, der im Mai letzten Jahres in Nürtingen auf einer Schultoilette versucht hatte, ein Mädchen zu entführen, muss für mehrere Jahre in Haft. Das Landgericht Stuttgart verurteilte den Mann am Montagnachmittag wegen Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung einer 15-jährigen Schülerin zu 4 Jahre und 3 Monate Haft. Er war damals auf die Toilette eines Nürtinger Gymnasiums gegangen und habe auf sein wahllos ausgewähltes Opfer gewartet. Er fesselte und knebelte die Schülerin und versuchte anschließend diese in einer Sporttasche zu verstauen, um sie an einen Ort zu bringen mit "wenig Menschen". Was genau er dort mit dem Mädchen vorhatte, bleibt auch nach Urteilsverkündung offen. Die Tat an sich hat er aber bestanden. Der Täter war vorbestraft und hat psychische Probleme. Zur Tatzeit hatte er Alkohol getrunken.
NÜRTINGEN/STUTTGART: Im Zuge der intensiven Fahndungsmaßnahmen nach dem Vorfall an einer Nürtinger Schule, bei dem ein 15-jähriges Mädchen zur Mittagszeit gegen 12.30 Uhr gefesselt in den Toilettenräumen aufgefunden wurde, hat sich am Dienstagabend, kurz vor 20 Uhr, ein 27-jähriger Mann bei der Polizei in Stuttgart gestellt und behauptet, die Polizei würde ihn im Zusammenhang mit einem Vorfall am Mittag an einer Nürtinger Schule suchen. Beamte des Polizeipräsidiums Reutlingen holten den unter Alkoholeinwirkung stehenden Tatverdächtigen daraufhin zur weiteren Abklärung und Überprüfung ab.
Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen hat sich die 15-Jährige noch während des Unterrichts etwa gegen 12.20 Uhr zur Toilette begeben und ist dort nach Verlassen der Kabine von einem Mann abgepasst und festgehalten worden. Als sie zu schreien anfing, umwickelte sie der Unbekannte mehrfach mit einem mitgeführten Klebeband am Kopf, fixierte ihre Hände und Füße und verbrachte sie in eine Kabine, in der seine Tasche stand. Anschließend wollte er das Mädchen in die Tasche legen, was aber misslang, weil diese zu klein war. Er verließ daraufhin die Örtlichkeit und ergriff die Flucht. Schülerinnen entdeckten das gefesselte Mädchen nur wenig später.
Der 27-jährige, in Nürtingen wohnhafte, Tatverdächtige wurde noch in den Abendstunden vernommen. Hierbei räumte er die Tat unter dem Einfluss von Alkohol begangen zu haben ein. Ein schlüssiges Motiv benannte der offenbar psychisch angeschlagene Mann bislang nicht. Auf der Flucht entledigte er sich seiner mitgeführten Tasche und seiner Basecap. Letztere wurde zwischenzeitlich in der Nähe des Nürtinger Kraftwerkes aufgefunden. Weitere Ermittlungen sind noch im Gange.
Der 27-Jährige wird voraussichtlich im Laufe des heutigen Tages auf Antrag der Staatsanwaltschaft Stuttgart wegen Verdachts des versuchten Menschenraubs dem Haftrichter vorgeführt. (Quelle: Polizei, 6.5.15, 11:24)
Pressemeldung vom 5.5.15:
NÜRTINGEN: Verdacht der Freiheitsberaubung in Schule
Am Dienstagmittag, gegen 12.34 Uhr, ging beim Führungs- und Lagezentrum des Polizeipräsidiums Reutlingen die Meldung ein, dass ein 15-jähriges Mädchen an einer Schule in der Steinenbergstraße in Nürtingen bei Stuttgart in der Toilette aufgefunden worden sei. Eine männliche Person habe mit einer Tasche die Flucht ergriffen.
Die Polizei fuhr unverzüglich nach Eingang der Meldung zum Tatort. Gleichzeitig wurden umfangreiche Fahndungsmaßnahmen an denen auch ein Polizeihubschrauber beteiligt ist, eingeleitet.Die Fahndung ist zurzeit noch im Gange.
Nach ersten Ermittlungen vor Ort ist das Mädchen von einem ihr unbekannten Mann in der Toilette angegangen und gefesselt worden. Der Tatverdächtige, ein Mann im Alter von 25-35 Jahren, ging in Richtung Innenstadt flüchtig und ließ das Mädchen zurück. Das Mädchen ist augenscheinlich nicht verletzt und wird zurzeit betreut. Die Hintergründe der Tat sind derzeit noch völlig unklar. Die Kriminalpolizeidirektion hat noch vor Ort die Ermittlungen aufgenommen. Personenbeschreibung des Tatverdächtigen:
Ca. 25-35 Jahre alt, 175-180 cm groß, schlanke Statur, Dreitagebart, bekleidet mit schwarzer Hose, schwarzem Shirt mit Kapuze, schwarzer Schildmütze