Vier Jahre nach Fund der Babyleiche in Potsdam Suche nach der Mutter geht weiter
Schock kurz vor Weihnachten: Am 23. Dezember 2011 wurde in Potsdam-West die Leiche eines Neugeborenen gefunden. Vier Jahre später fehlt von der Mutter noch immer jede Spur, doch die Ermittler geben nicht auf.
Potsdam. Kommenden Dienstag würde die Kleine Geburtstag feiern, ihren vierten. Die Tochter von Katrin Krämer ist jetzt neun Monate alt. „Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich darüber nachdenke, was da passiert ist“, sagt die junge Mutter und schiebt den Kinderwagen mit ihrem Baby aus dem Rewe-Markt in Potsdam-West, nur rund 200 Meter weiter von der Stelle, wo das Mädchen ohne Namen gefunden wurde. Einen Tag vor Heiligabend im Jahr 2011. Eingewickelt in ein blutiges Handtuch aus dem Discounter. Tot. Umgebracht, kurz nach der Entbindung.
Ein roter Regionalzug fährt vorbei. Am Bahndamm am Ende des meist menschenleeren Mietgaragenkomplexes in der Kantstraße war die Säuglingsleiche gefunden worden. Kurzzeitig wurde darüber spekuliert, ob das Kind vielleicht aus einem vorbeifahrenden Zug geworfen wurde, aber die Tatortspuren widerlegten diese Theorie schnell: Die Mutter wurden im näheren Umfeld vermutet.
Auf dem Handtuch wurden DNA-Spuren gefunden
Weil auch die Fernseh-Fahndung in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ keine Hinweise brachte, griffen die Ermittler im Juli 2014 zur Ultima Ratio: Mehr als 700 Potsdamer aus dem Wohngebiet rund um die Fundstelle wurden zum Massen-Gentest geladen. Auf dem Frotteehandtuch, in das die kleine Leiche gewickelt worden war, waren DNA-Spuren von einer Frau und einem Mann sichergestellt worden – mutmaßlich die Eltern.
„Ich musste keine Speichelproben abgeben", sagt Katrin Krämer, obwohl sie mit ihren 28 Jahren genau innerhalb der Probanendegruppe lag. Sie sei erst vor zwei Jahren in die Gegend gezogen. Andere, die zum Tatzeitpunkt in Potsdam-West lebten, waren inzwischen weggezogen und nicht zum Test erschienen. Andere entzogen sich ohne Grund. Der Test ist freiwillig.
„Wir versuchen immer noch, die fehlenden Leute zur Abgabe einer Probe zu animieren“, sagt Nils Delius, Sprecher der Staatsanwaltschaft Potsdam. „Der Fall wird nicht einfach zur Seite gelegt.“ Eine gute Handvoll Leute habe gar nicht auf die Einladung reagiert. Knapp eineinhalb Jahre nach dem Massentest im Potsdamer Polizeipräsidium sind zudem noch immer nicht alle Proben ausgewertet und abgeglichen. „Das ist sehr aufwendig und erfordert Zeit“, erklärt Staatsanwalt Delius.
„Mit den Nachbarn spricht man nicht groß über den Test oder das, was passiert ist. Man hat allgemein nicht so viel Kontakt hier“, sagt ein Garagenmieter, der wegen seines Rentenalters nicht zur Speichelprobe musste. Es klingt nicht wie die Stigmatisierung der Gegend, sondern wie eine allgemeine Gesellschaftsbeschreibung: Wer weiß schon in größeren Neubaublöcken wie jenen rund um die Kantstraße genau was seine Nachbarn machen? Ein Stück weit klingt die Erklärung des Rentners auch wie eine Entschuldigung, wie oft in solchen Fällen. Eine hochschwangere Frau, die plötzlich keinen Bauch mehr hat. Und kein Baby. Fällt das niemandem auf? Offenbar nicht.
Auf dem Bornstedter Friedhof bleiben viele Menschen am Grab stehen
Wie kommt es dazu, dass so etwas passiert? In welcher ausweglosen Extremsituation muss sich die Mutter befunden haben? Diese Fragen, sagt Jutta Erb-Rogg, stellten auch die Besucher auf dem Bornstedter Friedhof immer wieder, die am Grab an der Mauer nahe des Eingangs stehen bleiben. „Die Geschichte berührt die Leute“, erzählt Friedhofsleiterin Erb-Rogg.
„Die Aufmerksamkeit ist immer noch groß, nicht nur in der Zeit vor Weihnachten.“ Auf dem Grab zwei Blumensträuße in Steckvasen. Nicht mehr ganz frisch, aber auch noch nicht verwelkt. „Nette Menschen kümmern sich um das Grab“, sagt sie. Gartenbaufirmen etwa, die ohnehin auf dem Friedhof zu tun haben, harken das Laub um die Stelle, wo das Baby im Februar 2012 unter großer Anteilnahme begraben wurde.
„Das Konzept des Grabs geht auf“, erklärt Jutta Erb-Rogg. Nicht nur die goldene Kugel auf dem Grabstein des Berliner Steinmetz Michael Spengler ist ein Blickfang und zieht die Leute an. Auch die bewusst sehr klein gehaltene Inschrift animiere die Menschen, näher zu treten. „War auf Erden fern von jenem Großen, das gebend durch die Zeiten geht“ steht auf dem Stein, ein abgewandeltes Zitat aus dem Gedicht „Sie war“ von Rainer Maria Rilke. Eine Elegie für ein unerwünschtes Kind. Sie war nur kurz am Leben. Sie trägt keinen Namen. Aber vergessen, sagt Jutta Erb-Rogg, ist das tote Mädchen aus Potsdam-West nicht.
Ähnlicher Fall in der Uckermark In Gartz (Uckermark) gibt es einen ähnlichen, ebenfalls ungelösten Fall von Kindstötung.
Ein totes Baby war dort im Mai 2014 bei Mäharbeiten auf einer Wiese entdeckt worden.
Das Mädchen steckte in einer schwarzen Mülltüte. Laut Obduktion war der Säugling bei der Geburt „vollständig entwickelt und lebensfähig“ und starb eines „nicht natürlichen Todes“.
Von der Mutter fehlt bis heute jede Spur. Im Frühjahr hatt die Polizei erneut Flugblätter in der Region verteilt und auf Hinweise gehofft – vergeblich.
Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt wegen Totschlags gegen unbekannt.
VOR VIER JAHREN: BABYLEICHE IN POTSDAM-WEST GEFUNDEN Unvergessen von Jana Haase
Heute vor vier Jahren wurde an einem Garagenkomplex in Potsdam-West die Leiche eines Neugeborenen gefunden. Noch immer wird ermittelt. Doch trotz aufwendiger Ermittlungen liegen die Hintergründe der Tat nach wie vor im Dunkeln.
Potsdam - Der Fall hat Potsdam zu Weihnachten vor vier Jahren erschüttert: Einen Tag vor Heiligabend war damals an einer Böschung hinter einem Garagenkomplex in der Kantstraße die Leiche eines Babys gefunden worden. Ein Anwohner hatte den grausigen Fund gemacht. Der in ein blutverschmiertes Handtuch gewickelte Säugling war nur wenige Stunden nach der Geburt umgebracht und dann wie Müll entsorgt worden, wie die Ermittler danach feststellen mussten.
Heute, vier Jahre später, liegen die Hintergründe der Tat immer noch im Dunkeln. Vergessen ist das Schicksal des Babys aber nicht. Immer noch bringen Potsdamer Blumen zu seinem Grab auf dem Bornstedter Friedhof – ein Strauß orangeroter Lampionblumen liegt jetzt vor dem Granitstein, eine kleine Engelsfigur und Kerzen finden sich dort. Die Friedhofsmitarbeiter kümmern sich um die Pflege des Grabes. An einem Baum daneben haben sie einen Zettel mit wenigen Worten zu dem Mädchen befestigt. „In Memoriam“ steht darüber – zum Gedenken.
Kein Hinweis auf die Eltern
Die Ermittlungsarbeit ist unterdessen noch nicht abgeschlossen, sagt Nils Delius, der Sprecher der Potsdamer Staatsanwaltschaft, den PNN. Trotz eines Massen-DNA-Tests, einer Belohnung von 10 000 Euro und bundesweiter Aufrufe nach Hinweisen ist die Identität des namenlosen Mädchens bislang nicht geklärt. Die Ermittler haben auch noch keinen Hinweis auf die Eltern oder andere mögliche Täter.
Der DNA-Massentest sei zwar „weitgehend abgearbeitet“, sagt Delius – einige wenige Personen müssten aber noch getestet werden. Rund 1000 Potsdamer waren im Sommer 2014 zur Abgabe einer Speichelprobe aufgefordert worden – alle Frauen und Männer, die zur Tatzeit zwischen 16 und 45 Jahre alt waren und in Potsdam-West wohnten (PNN berichteten).
Freiwillige Teilnahme an Speicheltests Dass jetzt, anderthalb Jahre später, immer noch Tests ausstehen, sei aber nicht ungewöhnlich, erklärt Delius. Denn die logistische Abwicklung eines solchen Massentests sei teilweise kompliziert: So müsse beispielsweise bei weggezogenen Kandidaten jeweils die neue Adresse ausfindig gemacht und dann ein Termin vereinbart werden: „Das dauert einfach.“
Die Teilnahme an diesen Speicheltests ist freiwillig. Weigert sich jemand, dann müssten die Ermittler genau überlegen, „wie man das zu werten hat“, erklärt Delius: Es könne nachvollziehbare Beweggründe für die Weigerung geben – die müssten dann überprüft werden. Jemand, der sich weigert, sei nicht automatisch verdächtig, betont Delius.
"Es ist eigentlich alles versucht worden" Auf jeden Fall heißt es für die Ermittler abwarten auf das Endergebnis der DNA-Tests – und gleichzeitig hoffen auf weitere mögliche Anhaltspunkte in dem Fall. Denn die gibt es bisher nicht. „Wenn wir neue Anhaltspunkte haben, können wir zum Beispiel über eine Ausweitung des Tests nachdenken“, sagt Delius.
Hoffnungsvoll klingt er nicht: „Es ist eigentlich alles versucht worden – und mit großem Aufwand.“ Spezial-Fährtenhunde, die sogenannten Mantrailer, waren in den Tagen direkt nach dem Fund des toten Babys im Einsatz – vergeblich. Auch die breit angelegte Suche nach einem dunklen Auto mit PM-Kennzeichen, das am Abend des 22. Dezember 2011 an dem Garagenkomplex gesehen worden war, blieb erfolglos. Die Ermittler überprüften Tausende Fahrzeuge – ohne Ergebnis. „Wir sind nicht weitergekommen“, konstatiert Delius.
Aufrufe im Fernsehen, wo das MDR bei „Kripo Live“ und das ZDF bei „Aktenzeichen XY ungelöst“ berichteten, lieferten keine Spur zu den Eltern. Nur ein Ermittlungserfolg konnte vermeldet werden: Die Spezialisten sicherten die DNA der Mutter aus den Spuren am Handtuch. Damit könnte die Frau eindeutig identifiziert werden – falls es irgendwann einmal eine Tatverdächtige gibt.
Die Anteilnahme am Schicksal des Mädchens war seinerzeit groß: Rund 150 Gäste waren Anfang 2012 zur Beerdigung gekommen. Für das Grab schuf der Berliner Bildhauer Michael Spengler ein besonderes Grabmal: Auf einem geschliffenen Findling ruht ein vergoldeter, eiförmiger, kleinerer Stein, auf dem das Geburts- und Sterbedatum des namenlosen Mädchens vermerkt sind.
25.05.2022, 10:55 Uhr Polizei bittet um Mithilfe Nach mehr als zehn Jahren neue Erkenntnisse zum toten Baby in Potsdam
Nach mehr als 10 Jahren liefern technische Weiterentwicklungen bei der DNA-Analyse neue Erkenntnisse über die Mutter eines 2011 in Potsdam tot aufgefundenen Babys. Jetzt bittet die Polizei um Mithilfe.
„Victoria“, so nennen die Ermittler das Neugeborene, das am 23. Dezember 2011 in Potsdam-West zwischen dem Garagenkomplex an der Kantstraße und dem angrenzenden Bahndamm tot in ein Handtuch gewickelt aufgefunden wurde. Auch mehr als zehn Jahre nach dem gewaltsamen Tod des Mädchens wird nach der Mutter und anderen Zeugen gesucht, die sachdienliche Hinweise zu dem Tötungsdelikt geben können.
Trotz zahlreicher Hinweise, der Auslobung einer weiterhin geltenden Belohnung in Höhe von 10.000 Euro und der Auswertung von mehr als 1600 DNA-Proben im Rahmen einer DNA-Reihenuntersuchung im Jahr 2014 sind die Hintergründe der Tat nach wie vor unklar.
Erweiterte Befugnisse bei der molekulargenetischen Untersuchung des Spurenmaterials am Handtuch und technische Weiterentwicklungen im Bereich der Erbgutanalyse lassen nun aber Rückschlüsse zur Augen-, Haar- und Hautfarbe und zum Alter der Mutter von „Victoria“ zu.
Die Ermittler fragen:
► Wer kennt eine Frau, die im Dezember 2011 im Alter zwischen 25 und 35 Jahren schwanger war, eine blaue Augenfarbe, eine blonde Naturhaarfarbe sowie eine helle Hautfarbe hat und als Mutter des verstorbenen Neugeborenen in Betracht kommen könnte?
Hinweise nimmt die Polizei in Potsdam telefonisch unter 0331/5508 2766, per E-Mail an mord-kommission.pdwest@polizei.brandenburg.de oder auch postalisch an die Henning-von-Tresckow-Straße 9-13 in 14467 Potsdam entgegen. Auch das Hinweisformular kann genutzt werden.
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