Folgemitteilung - Stand Ermittlungsverfahren wegen möglicher Vorfälle in einer Kindertagesstätte in Mainz-Weisenau
Die Staatsanwaltschaft teilt angesichts der zahlreichen Anfragen zu dem Stand des Ermittlungsverfahrens folgendes mit: Die polizeilichen Ermittlungen sind zu einem jedenfalls vorläufigen Abschluss gekommen. Es wurden 32 Kinder, die in der Tagesstätte betreut wurden, polizeilich angehört. Die Anhörung ist bei 30 Kindern als so genannte Video-Vernehmung erfolgt. Daneben wurden über 35 Eltern und weitere Bezugspersonen der Kinder sowie mehr als 10 sonstige Zeugen, etwa ehemalige Erzieher oder Praktikanten der Einrichtung, vernommen.
Ebenfalls vernommen oder schriftlich angehört wurden Kinderärzte Die Rechtsmedizin wurde hinsichtlich eines Kindes mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt, weil dieses körperliche Auffälligkeiten im Intimbereich aufwies, die allerdings im Ergebnis nicht auf einen Übergriff o.ä. zurückzuführen waren.
Zur Bewertung der Aussagen von kindlichen Zeugen wurde ferner eine aussagepsychologische Sachverständige zugezogen, deren schriftliches Gutachten zwischenzeitlich ebenfalls vorliegt.
Die insgesamt sechs Beschuldigten haben sich bislang nicht geäußert; ihren Verteidigern werden derzeit die Ermittlungsergebnisse durch Gewährung von Einsicht in die ausgesprochen umfangreichen Akten bekanntgegeben. Der Aktenbestand umfasst bereits mehr als 2.000 Seiten. Für die Verteidiger besteht Gelegenheit, binnen einer angemessenen Frist eine Stellungnahme abzugeben; in diesem Rahmen können beispielsweise auch ergänzende Beweiserhebungen angeregt werden.
Die dem Verfahren zugrundeliegenden Vorwürfe haben sich nach dem bisherigen Ermittlungsstand nicht erhärtet; es haben sich bislang überwiegend entlastende Erkenntnisse ergeben.
Der Abschluss des Ermittlungsverfahrens wird zu gegebener Zeit mitgeteilt werden.
Zum Hintergrund:
Das Bischöfliche Ordinariat hatte die Staatsanwaltschaft Mainz am 10.06.2015 über mögliche Vorfälle in der katholischen Kindertagesstätte „Maria Königin“ in Mainz-Weisenau unterrichtet. Danach sei es zu - teilweise sexualisierten - Übergriffen zwischen strafunmündigen Kindern gekommen, die in der Einrichtung betreut wurden. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens ist zu klären, ob es zu strafbaren Verletzungen der Aufsichtspflicht durch das in der Kindertagesstätte eingesetzte Personal gekommen ist.
gez. Keller Leitende Oberstaatsanwältin
Admin und Foren Moderatorin Hinweise zu den hier aufgeführten Fällen bitte an die zuständige Polizeidienststelle
Ermittlungen gegen einen Pfarrer im Zusammenhang mit den möglichen Vorfällen in einer Kindertagesstätte in Mainz-Weisenau
Bei der Staatsanwaltschaft ist heute eine Vielzahl von Medienanfragen eingegangen, wonach den anfragenden Journalistinnen und Journalisten belastbare Informationen vorlägen, dass im Zusammenhang mit den Ereignissen in einer Kindertagesstätte in Mainz auch gegen einen Pfarrer ermittelt werde.
Hierzu teile ich mit:
Am 19.06.2015 wurde gegen den Pfarrer der katholischen Gemeinde Mainz-Weisenau ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauches von Kindern eingeleitet. Die zugrundeliegende Strafanzeige wurde an dem genannten Tag von der Mutter zweier Kinder erstattet, die in dem Ermittlungsverfahren gegen Erzieherinnen und Erzieher der Kindertagesstätte „Maria Königin“ in Mainz-Weisenau, deren Trägerin die Gemeinde ist, als Zeuge angehört worden waren. Nach den Angaben dieser beiden angehörten Kinder bzw. ihrer Mutter sei es zu sexuellen Handlungen des Pfarrers an diesen Kindern gekommen. Die Vorwürfe haben sich im Zuge der weiteren Ermittlungen, insbesondere auch durch die aussagepsychologische Begutachtung der angeblich betroffenen Kinder, nicht bestätigt.
Auch die aufgrund gerichtlicher Anordnung erfolgte Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten und der Räumlichkeiten der Pfarrei führten nicht zum Auffinden belastenden Beweismaterials. Der Verteidiger des Beschuldigten hat am 24.11.2015 eine umfangreiche Stellungnahme von rund 30 Seiten abgegeben, nach deren Auswertung das Ermittlungsverfahren voraussichtlich abgeschlossen werden können.
gez. Keller Leitende Oberstaatsanwältin
Admin und Foren Moderatorin Hinweise zu den hier aufgeführten Fällen bitte an die zuständige Polizeidienststelle
Der Fall Kita Mainz-Weisenau: Kein Anhaltspunkt für sexuelle Übergriffe - Doch wie konnte der Verdacht entstehen? Von Reinhard Breidenbach
MAINZ - In ihrem Verteidigungsplädoyer für einen Angeklagten der Worms-Prozesse wegen Kindesmissbrauchs zitierte die Anwältin Gabriele Haas den polnischen Dichter Stanislaw Jerzy Lec: „Keine Schneeflocke in der Lawine wird sich je verantwortlich fühlen.“ 24 Angeklagte der Worms-Prozesse wurden 1996/97 freigesprochen. In der Hauptverhandlung hatte sich herausgestellt, dass die laut Anklage missbrauchten Kinder der Mitarbeiterin eines Kinderschutzdienstes erst auf intensives suggestives Befragen vermeintlich „Erlebtes“ berichteten.
Jene Mitarbeiterin war sich keines Fehlverhaltens bewusst. Die Kinder hatten auch nichts „erfunden“. Sie reagierten, wie es ein Gutachter formulierte, auf einen „suggestiven Leidensweg“ und sagten Dinge, weil sie überzeugt waren, dass die Erwachsenen als Autoritäten diese Dinge unbedingt so hören wollten. Auch die Kinder der Weisenauer Kita Maria Königin haben nichts erfunden, als sie, zunächst von ihren Eltern, über Vorgänge befragt wurden, die später in die Lesart mündeten, es habe sexuelle Übergriffe von Kindern untereinander gegeben.
FALL WEISENAU Im Juni äußerten Eltern den Verdacht, in der katholischen Kita Maria Königin in Mainz-Weisenau habe es sexuelle Übergriffe zwischen Kindern gegeben. Das Bistum schaltete die Staatsanwaltschaft ein und kündigte dem Erziehungspersonal fristlos. Der Verdacht hat sich nicht erhärtet.
Jemand aus der Elternschaft, so der gegenwärtige Erkenntnisstand, hat diesen Verdacht als Erste (oder Erster) Anfang Juni ausgesprochen. Welche Beobachtungen, Vermutungen, Befürchtungen oder Emotionen dem zugrunde lagen und wie sie zu bewerten sind, ist offen. An dieser Stelle aber setzte das Lawinenartige ein. Die Ursache dafür ist, dass der Vorwurf sexueller Übergriffe ein unglaublich großes Gewicht hat und Existenzen zerstören kann.
Wie fragt man Kinder?
Man mag sich die Gefühlslage von Eltern vorstellen, die unversehens mit dem Verdacht konfrontiert werden, ihr Kind sei von anderen Kindern mit sexuellen Übergriffen traktiert worden oder habe vielleicht sogar selbst solche Übergriffe begangen. Keinem Erwachsenen ist vorzuwerfen, dass er in einer solchen Situation sein Kind nicht in der Weise befragt, wie es spezialisierte Expertinnen und Experten der Aussagepsychologie heutzutage tun. Im Fall Weisenau begann die fachpsychologische Befragung der Kinder erst, als die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde.
Das Bistum Mainz als letztlich verantwortliche Stelle für die Kita reagierte auf den Verdacht, es habe sexuelle Übergriffe zwischen Kindern gegeben, mit der fristlosen Entlassung aller pädagogischen Kräfte der Kita, sechs Erzieherinnen und einem Erzieher. Die Erzieherinnen klagten vor dem Arbeitsgericht, drei Verfahren sind noch nicht beendet.
Die ersten Erklärungen des Bistums atmeten eine de facto vollständige Überzeugung, dass es die Vorfälle gab. Das mag damit zusammenhängen, dass die Lawine ihr Werk getan hatte, dass sich der anfängliche Verdacht durch Weitertragen und Befragungen der Kinder durch Eltern und Kommunikation der Eltern untereinander zur Quasi-Gewissheit verfestigt hatte.
Es bleiben Frontstellungen und tiefe Gräben
Nachdem die Staatsanwaltschaft 32 Kinder und 35 Erwachsene nach den Regeln der Aussagepsychologie befragt hat, ist der Verdacht auf sexuelle Übergriffe in keiner Weise bestätigt, vielmehr entkräftet. Kindern (bis 14 Jahre) hätte wegen Strafunmündigkeit ohnehin kein Strafverfahren gedroht, nun steht zu erwarten, dass auch im Falle von Erwachsenen kein strafrechtlicher Vorwurf übrig bleibt. Vor allem stehen dann die sieben Erziehungspersonen der Kita nicht mehr im Verdacht, sie hätten in strafrechtlich relevanter Weise ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt, indem sie Übergriffe nicht bemerkten.
Es bleiben Frontstellungen und tiefe Gräben. Die entlassenen Kita-Erzieherinnen werfen dem Bistum vor, völlig überzogen, als „Medienspektakel“, Kündigungen ausgesprochen und damit Reputationen zerstört zu haben. Das Bistum erklärt, es habe im Sinne des Kinderschutzes schnell handeln müssen; zudem könne nach arbeitsrechtlichem Maßstab Erziehungspersonal auch dann wegen Unzuverlässigkeit untragbar sein, wenn kein strafrechtlicher Vorwurf gegeben ist. In diesem Kontext ist oft die Rede davon, es habe erhebliche organisatorische und disziplinarische Missstände in der Kita geben.
Wie sich in all diesen Wirrnissen die Eltern fühlen und – am Wichtigsten – die Kinder, ist noch nicht abschließend zu beantworten. Ebenso wenig, ob jemand die Lawine hätte aufhalten können.