Spektakuläre Kriminalfälle (13): Mord an Kassiererin vor laufender Kamera 13.05.2015 - 10:00 Uhr
Noch immer hadert Gothas Kripo-Chef Matthias Kehr damit, dass der Mord in einer Gothaer Spielothek von Januar 2007 bis heute noch nicht aufgeklärt ist. An die Adresse des Täters gerichtet sagt Matthias Kehr: Der solle sich nicht sicher fühlen.
Gotha. Das Dienstzimmer von Kriminaldirektor Matthias Kehr wirkt nüchtern. In der einen Ecke dominiert ein Schreibtisch mit Computer und Bildschirm, ein Tisch mit Stühlen steht daneben. Auf der gegenüberliegenden Seite fällt der Blick auf zwei Schränke. Einer davon ist gefüllt mit Akten zu einem einzigen Fall. „Soko Spielothek“ steht auf allen Ordnern. Es handelt sich um das Material, dass die Kriminalbeamten zum Gothaer Spielotheken-Mord zusammengetragen haben.
Die Akten „Soko Spielothek“ stehen in Kehrs Arbeitszimmer immer in Reichweite. Vor wenigen Wochen erst hat er wieder den Fall aufgerollt und eine kriminaltechnische Falluntersuchung veranlasst. Das heißt für Gothas Kripo-Chef und seine etwa 120 Leute: alle Unterlagen noch einmal durchgehen, Fakten analysieren, bewerten und Schlussfolgerungen ziehen, die zum Täter führen könnten.
Der Mord in einer Spielothek am Coburger Platz geschah vor laufender Kamera. Dennoch ist der Täter bis heute nicht ermittelt. Selbst die Sendung „Aktenzeichen XY“ brachte in dem Fall wenig Licht ins Dunkel.
Sonntag, 28. Januar 2007: Die Kreisstadt wird vom schwersten Verbrechen seit Jahren erschüttert. Ein maskierter Mann betritt zwischen 19 und 20 Uhr die Spielothek am Coburger Platz. Mit vorgehaltener Pistole bedroht er die Angestellte Sieglinde H., öffnet die Kassenschublade und nimmt sich 3000 Euro. Andere Berichte sprechen von 800?Euro Beute. Zur genauen Höhe macht Kripochef Kehr auch acht Jahre nach dem Fall keine genauen Angaben – mit Blick auf die weiteren Ermittlungen, wie er sagt.
Eigentlich hat der Täter, was er will. Doch dann schießt er. Der Maskierte dreht sich um und tötet die 57-jährige Sieglinde H. mit zwei Schüssen und flüchtet. Die Überwachungskamera zeichnet den Mord auf. Doch das Bild lässt wenige Rückschlüsse auf den Täter zu.
Die Polizei ist wenig später mit zahlreichen Einsatzwagen am Tatort. Kurz vor 23 Uhr untersuchen Beamte der Spurensicherung das Gebäude. Die Kripo lässt das Gelände rund um das Dienstleistungszentrum weiträumig absperren und setzt Suchhunde zum Auffinden des Täters ein. Die Berufsfeuerwehr Gotha wird mit der Drehleiter angefordert, damit das Dach der Spielothek nach dem Täter abgesucht werden kann. Beamte der Spurensicherung suchen im Gebäude und auf dem Gelände nach brauchbaren Hinweisen auf den Täter. Im gesamten Stadtgebiet setzen Polizeikontrollen ein.
Am Morgen des nächsten Tages kehrt am Coburger Platz der Alltag zurück. Teile des Mehrzweckgebäudes sind noch geschlossen. Im Durchgang vom Parkdeck zum Platz legen Bewohner und Verwandte des Opfers Blumen nieder. Manchen Passanten wird erst da bewusst, dass sich die Bluttat in ihrer Nachbarschaft zugetragen hat.
In der Spielothek sollen sich zum Tatzeitpunkt mehrere Personen aufgehalten haben, offenbar in einem anderen Raum. Keiner hat etwas Genaueres gesehen. Agenturmeldungen zufolge hat sich ein Zeuge beim Knall der Pistole auf den Boden geworfen und den Täter nur beim Verlassen der Spielothek gesehen. Einer Zeugin, die ihr Auto in der Böhnerstraße abgestellt hat und dann in Richtung Von-Zach-Straße und Bendastraße zu Fuß unterwegs war, sei am Sonntagabend nach 19.15 Uhr ein dunkel gekleideter Mann aufgefallen. Mehr nicht.
Vier Tage nach den tödlichen Schüssen in der Spielothek am Coburger Platz verfolgt die Polizei eine erste heiße Spur. Die Ermittler veröffentlichten das Phantombild eines Verdächtigen. Auch die Fernsehsendung „Aktenzeichen XY“ nimmt sich wenige Wochen später des Falls in Gotha an, zeigt ein Phantombild und bittet Zeugen dringend, sich zu melden. Die Belohnung sind 3000 Euro. Gothas Kriminalbeamte bilden eine Sonderkommission, die bis heute noch keine heiße Spur hat. Experten haben am Tatort zahlreiche Fingerabdrücke sichergestellt. Auch Projektile und Hülsen der Tatwaffe finden die Beamten. Sie werden mit Datenbanken abgeglichen. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft nennt das „kriminaltechnisches Einmaleins“.
Klar nur: Wenige Augenblicke nach Betreten der Spielhalle fielen mehrere Schüsse, Sieglinde H. war offenbar sofort tot. Wie viele Schüsse der Täter abgegeben hat und welche Verletzungen das Opfer erlitt, das bleibt aus Ermittlungsgründen offen. Zum Täter gibt es keine Beschreibung, allenfalls vage Angaben zur Kleidung. Zu einem möglichen Fluchtfahrzeug gibt es keine Erkenntnisse. Die Ermittlungen laufen in jede Richtung. Eine heiße Spur fehlt.
Eine Verbindung zu einem Mordfall in Dermbach (Wartburgkreis) in 1990er Jahren hält Gothas Kripo damals für mehr als unwahrscheinlich. Für Matthias Kehr verbindet sich heute damit ein Hoffnungsschimmer. Denn die kriminaltechnischen Untersuchungsmöglichkeiten haben sich im Laufe der acht Jahre, die seit dem Spielothek-Mord ins Land gegangen sind, rasant verbessert.
Im Dermbacher Fall hatte sich zum Beispiel Blut des Täters unter den Fingernägeln des Opfers mit dessen Blut vermischt, das war entdeckt und analysiert worden. Das führte zu dessen Überführung. „Es lohnt sich immer wieder, einen ungeklärten Fall anzuschauen“, sagt Matthias Kehr auch an die Adresse des Täters. Der solle sich bloß nicht in Sicherheit wiegen. Die Polizei bleibt ihm auf der Spur. Denn: Mord verjährt nicht.