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Hilfe bei Kindesmissbrauch - So arbeitet die Forensische Ambulanz der Rechtsmedizin in Mainz | Anlaufstelle für Opfer häuslicher Gewalt
Hilfe bei Kindesmissbrauch - So arbeitet die Forensische Ambulanz der Rechtsmedizin in Mainz
Stand 11.8.2025, 6:43 Uhr
Sarina Fischer ist Reporterin im SWR Studio Mainz Von Autor/in Sarina Fischer
Die Forensische Ambulanz der Rechtsmedizin Mainz ist Anlaufstelle für Opfer häuslicher Gewalt, auch für Kinder und Jugendliche. Eine Ärztin erklärt, wie ihnen dort geholfen wird.
In der Forensischen Ambulanz am Institut für Rechtsmedizin der Unimedizin Mainz gibt es eine weiße Tür, die beklebt ist mit bunten, von Tieren umrankten Buchstaben aus Holz. Sie bilden den Schriftzug "Kinderuntersuchungsraum". Der Raum selbst ist ebenfalls kinderfreundlich gestaltet: zum Beispiel mit einer deckenhohen Eulen-Tapete, ein Teddybär hockt auf einer Kommode und etwas versteckt hinter einer hölzernen Sichtschutzwand sitzt eine menschliche Handpuppe auf einer Arztliege.
"Mit dieser Puppe zeigen wir dem Kind, welche Körperstellen wir uns genauer anschauen wollen", erklärt Ärztin Johanna Görg. Sie ist eine von dreizehn Rechtsmedizinerinnen und -medizinern, die derzeit in der Forensischen Ambulanz am Institut für Rechtsmedizin in Mainz arbeiten. In diesem Raum untersuchen sie Kinder und Jugendliche, bei denen der Verdacht besteht, dass sie körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren haben.
ZitatDie Forensische Ambulanz der Rechtsmedizin in Mainz Die Forensische Ambulanz am Institut für Rechtsmedizin der Unimedizin Mainz ist Anlaufstelle für Erwachsene, aber auch für Kinder und Jugendliche, die Opfer von körperlicher oder sexualisierter Gewalt geworden sind oder sein könnten.
In der Ambulanz werden die Betroffenen kostenlos untersucht - bei Minderjährigen vor allem im Auftrag von Jugendämtern, bei Erwachsenen finanziert über die Krankenkassen. Außerdem können dort gegebenenfalls Beweise für gewaltsame Übergriffe gesichert und dokumentiert werden.
Die Mitarbeitenden der rechtsmedizinischen Forensischen Ambulanz beraten diverse Institutionen in jedem Einzelfall. Sie stehen beispielsweise im Austausch mit Jugendämtern, Kinderärztinnen und -ärzten sowie Kinderschutzgruppen an Kliniken in Rheinland-Pfalz.
(Quelle: Unimedizin Mainz)
Jugendämter und Kinderärzte suchen Rat bei Forensischer Ambulanz Oft seien es die Jugendämter oder auch Kinderärztinnen und -ärzte, die sich zuerst bei ihnen melden würden, um in Einzelfällen Rat zu suchen, erzählt Johanna Görg.
"Wir besprechen dann gemeinsam und wägen ab, ob eine Untersuchung des Kindes bei uns in der Ambulanz wirklich Sinn ergibt oder ob man den Fall auch anderweitig beurteilen könnte. Aber manchmal braucht es eben die rechtsmedizinische Untersuchung und Expertise." Unabhängig davon müsse das Kind aber natürlich auch einverstanden sein mit einer Untersuchung.
Dazu würden sie dann einen Termin in der Forensischen Ambulanz ausmachen. Der fängt zunächst mit einem Gespräch an: "Wir wollen das Kind kennenlernen und dass es sich ein bisschen an den Untersuchungsraum gewöhnen kann", erläutert Görg. "Es geht auch darum, erstmal eine Vertrauensbasis aufzubauen."
Kinder werden von Kopf bis Fuß untersucht Danach beginnt die eigentliche körperliche Untersuchung. "Wir schauen uns das Kind wirklich von Kopf bis Fuß an. Wir inspizieren jeden Zentimeter der Haut, auch an Stellen, die vielleicht bei einer einfachen Untersuchung gar nicht so sehr im Fokus stehen, aber die eben sehr aussagekräftig sein können", erläutert die Rechtsmedizinerin.
Zum Beispiel könnten auch Hämatome hinterm Ohr sein, wenn man sie auf der Vorderseite der Ohrmuschel gar nicht sehen würde. "Auch die Mundhöhle wird oft vergessen, da kann man beispielsweise Verletzungen an der Schleimhaut finden."
Verletzungen der Kinder in der Ambulanz in Mainz sind vielfältig Hämatome, also blaue Flecken, fänden sie bei den Untersuchungen der Kinder schon recht häufig. Ansonsten seien die Verletzungen aber sehr unterschiedlich und individuell. Manchmal sei auch noch gar nicht sicher, ob die Verletzungen von einer Misshandlung kämen:
"Gerade die Grenzfälle, wo am Anfang noch nicht klar ist, ob es sich um Gewalt handelt, sind die, bei denen wir einbezogen werden", sagt Görg. "Handelt es sich vielleicht auch um die Folgen eines Unfalls? Kinder sind sehr aktiv und verletzen sich auch mal." Das würden sie mit ihrer Expertise dann versuchen zu beurteilen.
Untersuchungsbogen und Gutachten Bei der Untersuchung orientieren sich Johanna Görg und ihre Kolleginnen und Kollegen der Forensischen Ambulanz an einem ausführlichen Untersuchungsbogen, den sie komplett oder je nach Einzelfall auch nur in Teilen ausfüllen. Auf dem Bogen können sie zum Beispiel auf Abbildungen von Körperteilen einzeichnen, wo welche Verletzungen vorliegen. Außerdem ist viel Platz für Notizen.
Bei Verdacht auf sexualisierte Gewalt werde dann auch mit dem Einverständnis des Kindes eine genitale Untersuchung durchgeführt. Dabei könnten gegebenenfalls auch Spuren gesichert werden. Nach einer ersten Einschätzung könne das Jugendamt beispielsweise noch ein größeres Gutachten beantragen, so Görg. "Das kann man dann theoretisch auch bei Gericht verwenden."
Nachfrage in der Forensischen Ambulanz hat zugenommen Im Schnitt würden sie sich in der Forensischen Ambulanz pro Woche mit ein bis zwei neuen Fällen von mutmaßlich misshandelten Kindern und Jugendlichen beschäftigen, berichtet Johanna Görg. Das schwanke zwar häufig auch, aber als Trend der letzten Jahre hätten die Zahlen durchaus zugenommen.
"Es gibt auf jeden Fall eine größere Aufmerksamkeit und ein gestiegenes Interesse für das Thema", stellt die Rechtsmedizinerin fest. Allmählich werde häusliche Gewalt enttabuisiert, trotz der vermutlich weiterhin hohen Dunkelziffer an Vorfällen. In der rechtsmedizinischen Forensischen Ambulanz in Mainz würden sie das daran merken, dass sie mehr Anfragen bekämen.
Manche Fälle von Kindesmissbrauch wirken nach Auch wenn Johanna Görg in der Forensischen Ambulanz "nur" ihren Job macht: Es gebe durchaus Fälle, die sie nach der Untersuchung und nachdem der Fall abgeschlossen sei, noch länger beschäftigen würden, gibt die Ärztin zu.
"Ich denke, das sollte auch so sein. Ich glaube, es wäre gefährlicher, wenn man diese Tätigkeit ausübt und einen das überhaupt nicht beschäftigt." Und darüber zuhause mit jemandem zu sprechen, gehe wegen der ärztlichen Schweigepflicht natürlich auch nicht. "Aber das fängt der Kollegenkreis hier schon gut auf."
Ihr Job sei in vielerlei Hinsicht sehr intensiv und grundsätzlich könne jede ärztliche Tätigkeit auch belastend sein, nicht nur in der Rechtsmedizin. "Man hat eben sehr viel Verantwortung. Die eigene Einschätzung kann sehr schwere und weitreichende Folgen haben." Nichtsdestotrotz gebe ihr diese Arbeit auch Erfüllung: "Wenn man sieht, welchen Einfluss man haben kann und wie die rechtsmedizinische Expertise Fälle in die richtigen Bahnen lenken kann, dann ist das schon eine sehr sinnhafte Aufgabe."
Sendung vom Mo., 11.8.2025 6:00 Uhr, SWR4 RP am Morgen, SWR4 Rheinland-Pfalz