Wangen sz Vor vier Jahren rutschte ein Motorradfahrer im Allgäu auf einem Ölfleck aus und starb. Ein Schuldiger konnte bis heute nicht ermittelt werden, die Polizei arbeitet weiter an dem Fall.
Die Straße ist unbedeutend. Sie führt durch die Hügel zwischen Markt Rettenbach und Ottobeuren. Tiefste Provinz im Landkreis Unterallgäu. Am 17.April vor vier Jahren geschah dort aber etwas, das speziell die Motorradfahrer in Deutschland erschütterte. Von unbekannter Hand war Öl auf der Fahrbahn ausgebracht worden. Ein Motorradfahrer fuhr hinein, verlor die Kontrolle über seine Maschine und prallte gegen ein entgegenkommendes Auto. Der zweifache Familienvater starb als Opfer eines Anschlags. Das Entsetzen war groß. Gerade jetzt, im Frühling, wenn die Motorräder wieder aus den Garagen geholt werden, erinnern sich viele Biker mit Unbehagen an die Vorfälle.
Die Nachforschungen übernahm die Ermittlungsgruppe Ölfleck, die zuerst bei der Kripo Memmingen angesiedelt war, dann bei den Kriminalern in Kempten. Bis heute ist der Fall nicht gelöst, obwohl selbst die TV-Sendung „Aktenzeichen XY“ ungelöst die Geschichte aufgriff. Aber der Polizei ist es über die Jahre gelungen, immer mehr Details des Anschlags zu ermitteln – und sie lässt den Fall definitiv nicht ruhen. Das vielleicht alarmierendste Ergebnis: Es ist ein Serientäter am Werk. Sieben weitere Ölanschläge werden ihm zugeordnet.
Der Radius des Täters geht dabei über bayerische Landstriche hinaus und reicht weit ins Württembergische hinein. So gab es vor acht Jahren einen Zwischenfall bei Bad Schussenried im Landkreis Biberach – die erste Spur, die der Täter hinterließ. Am Karfreitag 2007 beseitigte die Polizei dort vier Ölflecken und grüne Glasscherben. Dies wurde zum Kennzeichen der Anschläge. Der Täter benutzte Altöl, das in grüne Wein- oder klare Sektflaschen gefüllt war. Die Behältnisse warf er auf die Straße.
2008 fielen dann Ölflecke auf einer Straße bei Beuron im Gebiet der oberen Donau auf. 2010 war Schwendi betroffen, ein Ort rund 30Kilometer südlich von Ulm gelegen. Bei diesen Anschlägen im Württembergischen kam niemand zu Schaden. Am 28. Oktober2007 war jedoch im bayerischen Landkreis Dillingen ein 31Jahre alter Autofahrer wegen einer Öllache verunglückt. Er wurde schwer verletzt.
Der letzte, eindeutig der Serie zugeordnete Anschlag war jener, beim dem der Motorradfahrer starb. Wobei die Ermittler einige Zeit brauchten, um auf die anderen Zwischenfälle zu stoßen und eine Verbindung herzustellen. Erst großräumige Abfragen bei regionalen Polizeidienststellen erbrachten die entsprechenden Informationen. Später wurde sogar noch in Tirol, Vorarlberg, Liechtenstein und den nordostschweizerischen Kantonen angeklopft. In diesen Fällen aber ohne Ergebnis.
Polizei ermittelt DNA Der Polizei gelang es aber, die DNA des mutmaßlichen Täters zu ermitteln. An mehreren Flaschenbruchstücken konnten die selben Erbgutspuren gefunden werden. Nur die dazu gehörende Person fehlt bis heute. Ein DNA-Massentest an rund 1400Männern, die ins polizeiliche Täterbild passten, blieb ohne Ergebnis. Auffällig war auch ein bestimmter Typ einer bestimmten Fahrzeugmarke. Doch die Überprüfung verschiedener Halter solcher Autos lief bisher auch ins Leere.
Inzwischen änderte sich aber der Blick auf den Täter. Je mehr sich die Dimension des Falles durch das Bekanntwerden weiterer Anschläge ausweitete, aktualisierten die Fallanalytiker der bayerischen Polizei ihr entworfenes Personenprofil. Zuerst hieß es, der Täter habe wohl eine Abneigung gegen Motorradfahrer. Jetzt gehen die Spezialisten davon aus. dass der Täter sein Selbstwertgefühl durch das Erzeugen von Angst aufwerten will. Sie schätzen, dass ein Mann hinter den Anschlägen steckt, der kontrolliert handelt, aber eher zurückgezogen und eigenbrötlerisch lebt.
Täter war nahe der Unfallstelle Gut möglich übrigens, dass der Täter nach dem tödlichen Motorradanschlag am 17.April 2011 am Tatort war. Bereits kurz nach diesem Anschlag fand die Polizei in der Gegend von Ottobeuren und Markt Rettenbach insgesamt zehn Ölflecke, drei davon im Bereich des Unfalls. Anhand einer eineinhalb Jahre später ermittelten Zeugin wurde die Annahme erhärtet, dass die Ölflecke nacheinander von Nord nach Süd auf die Straßen verteilt wurden. Die Lache, die den Unfall verursachte, war wohl höchstens zehn Minuten vorher aufgebracht worden. Er geschah gegen 17Uhr. Um diese Zeit hat sich der Täter laut den Ermittlungen bereits auf der Rückfahrt befunden.
Die Polizei geht davon aus, dass er mit höchster Wahrscheinlichkeit zurück zur Unfallstelle kam und dort eventuell sogar länger blieb. Weshalb die Ermittler auf weitere Zeugen hoffen. Bis heute haben sie über 500 Spuren abgearbeitet. Zwei Beamte stehen in Kempten nach wie vor bereit, im Falle eines Falles neuen Anhaltspunkten sofort nachzugehen. Die Belohnung für Hinweise auf den Täter ist zudem weiter ausgesetzt. Sie liegt bei 53000 Euro.
ALLGÄU Wie Motorradfahrer mit den Öl-Anschlägen umgehen Die Motorradfahrer der Region lassen sich den Spaß an ihrem Hobby nicht vermiesen: Biker berichten, wie sie mit den Öl-Anschlägen in Rettenbach und Ottobeuren umgehen. Von Claudia Goetting
Auch wenn es nach jetzigem Stand keinen Zusammenhang zwischen dem jüngsten Ölfleck-Anschlag bei Traunstein und der Anschlagsserie in der Region gibt: Vielen Motorradfahrern im Allgäu dürfte der Schrecken in die Glieder gefahren sein, als sie von dem aktuellen Fall erfahren haben. Ein Unbekannter hat vor einer Woche vorsätzlich auf einer oberbayerischen Kreisstraße eine Ölspur gelegt. Passiert ist zum Glück nichts.
Eine Öllache auf der Straße: „Das ist eine Katastrophe. Aber wenn man nicht zu schnell unterwegs ist, kann man vielleicht noch ausweichen“, sagt Motorradfahrer Adi Ballerstedt aus Lindenberg (Westallgäu). Hat sich seit den Anschlägen sein Fahrstil geändert? Fährt die Angst mit? „Man muss natürlich wachsam sein. Aber wenn man Angst hat, darf man nicht Motorrad fahren. Wichtig ist, dass man vorausschauend fährt. Man muss mit allem rechnen“, sagt der 72-Jährige.
Motorradclub Blöcktach: "Viele Mitglieder betroffen und schockiert"
Nach dem Anschlag zwischen Markt Rettenbach und Ottobeuren, bei dem im April 2011 ein 37-jähriger Familienvater auf einer vorsätzlich gelegten Ölspur gestürzt, mit einem Auto zusammengestoßen und gestorben war, ist auch beim Motorradclub Blöcktach (Ostallgäu) viel diskutiert worden. „Viele Mitglieder waren sehr betroffen und schockiert“, sagt Werner Dempfle, der seit 2000 Vorsitzender des Clubs ist. Auch das Motiv war damals Gesprächsthema: „Ich kann mir nicht vorstellen, warum jemand so etwas tut. Das ist unbegreiflich.“
Seinen eigenen Fahrstil hat der 46-jährige Eggenthaler zwar vor ein paar Jahren geändert, aber nicht wegen der Anschläge. „Ich bin zweifacher Familienvater. Da wird man automatisch ruhiger.“ Auch wenn die Anschläge in der Region mittlerweile ein paar Jahre her sind: „Jedes Mal, wenn ich an der Unfallstelle vorbeikomme, passe ich bewusst auf, dann kommen auch die Erinnerungen wieder hoch“, sagt Dempfle.
Motorradfahrer sind weniger riskant unterwegs als früher
„Nicht erst seit den Anschlägen sind Ölspuren ein wichtiges Thema im Unterricht“, sagt Christian Unger, Regionalvorsitzender Allgäu des Landesverbandes Bayerischer Fahrlehrer (LBV). Schon eine Tröpfchen-Ölspur, die etwa ein Traktor verursacht hat, könne für einen Motorradfahrer gefährlich werden. „Den einzigen Rat, den wir geben können, ist: vorausschauendes Fahren. Auf jeden dunklen Fleck achten, es könnte immer Öl sein. Es gibt kein anderes wirksames Hilfsmittel.“ Er glaubt, dass Motorradfahrer nicht mehr so riskant fahren wie früher. „Die haben das im Hinterkopf, vor allem wenn sie in Gegenden unterwegs sind, in denen es bereits Vorfälle gab.“
„Es sieht so aus, dass der tödliche Unfall bei Markt Rettenbach der Schlusspunkt der Anschlagserie war“, sagt Polizeisprecher Björn Bartel. Bei allen Ölspuren, die danach in der Region gefunden wurden, gebe es keine Hinweise auf eine vorsätzliche Tat. Und der Fall bei Traunstein stehe nach derzeitigen Ermittlungen in keinem Zusammenhang mit der Anschlagserie.
Für Hinweise, die zur Ergreifung des Attentäters von Markt Rettenbach führen, ist weiter eine Belohnung von 53.000 Euro ausgesetzt.
16.04.2021, 06:57 Uhr Toter Motorradfahrer: Zehn Jahre nach dem "Ölfleck-Anschlag" Vor zehn Jahren starb ein Familienvater aus Markt Rettenbach im Allgäu bei einem Motorradunfall. Der 37-Jährige war auf einer Öllache ausgerutscht, die jemand absichtlich auf der Straße platziert hatte. Der Täter ist noch immer unbekannt.
Am Palmsonntag vor zehn Jahren brach der damals 37-jährige Familienvater aus Markt Rettenbach (Landkreis Unterallgäu) zu einem Ausflug mit dem Motorrad auf – von dem er nicht lebend zurückkehrte. In einer Kurve stürzte er und prallte frontal in ein entgegenkommendes Auto. Der Vater von zwei Kindern starb noch an der Unfallstelle. Der Grund für den Unfall war eine Öllache, die ein Unbekannter absichtlich auf der Straße platziert hatte.
Öllache auf der Straße: Motorradfahrer war chancenlos "Der Motorradfahrer war nach unserer Einschätzung chancenlos. In dem Moment, wo er auf diesen Ölfleck kommt, verliert das Motorrad einfach die Straßenhaftung und es kommt unweigerlich zum Sturz", sagt der Leiter der Kemptener Kriminalpolizei, Josef Ischwang. Der Täter hat mutmaßlich eine mit Motoröl gefüllte Weinflasche aus dem fahrenden Auto geworfen. Die Flasche zerbrach, die Öllache vor einer Kurve auf der Straße von Markt Rettenbach nach Ottobeuren wurde für den Familienvater zur tödlichen Falle.
Weitere Ölfallen im Allgäu Noch acht weitere solcher Ölfallen fand die Polizei an diesem 17. April 2011 auf Straßen im Allgäu. Da der nördlichste Fund bei Erkheim und der südlichste bei Ronsberg im Ostallgäu rund 15 Kilometer Luftlinie auseinander liegen, ging die Polizei gleich davon aus, dass der Täter motorisiert gewesen sein muss: vermutlich war er mit dem Auto unterwegs, um die neun mit Öl gefüllten Flaschen transportieren zu können.
DNA gefunden, Täter unbekannt Anhand von Glasscherben der zerbrochenen Flaschen hat die Polizei die DNA des Täters identifiziert. Es ist dieselbe Person, die seit 2007 bereits an sieben weiteren Orten in Bayern und Baden-Württemberg insgesamt an die 50 mit Öl gefüllte Flaschen auf Straßen geworfen hatte. Mit dem Todesfall in Markt Rettenbach endete die Serie.
Polizei bekommt immer noch Hinweise Die Sonderermittlungsgruppe Ölfleck aus bis zu 14 Polizisten fahndete bis 2014 mit Hochdruck nach dem Täter. Auch ein DNA-Reihentest an rund 1.400 Personen aus der Region brachte keinen Erfolg. Dass der Täter aus der Gegend kommen könnte, war auch nur eine Vermutung.
Noch immer gehen bei der Polizei Hinweise ein, allein zehn im letzten halben Jahr. Diese sind laut Kriminalpolizist Ischwang aber meist sehr unkonkret und etwa derart, dass jemand gesehen habe, wie jemand anderes einen Ölkanister in seine Garage getragen habe.
Die Beamten hoffen nach wie vor auf die entscheidende heiße Spur. Als am aussichtsreichsten wird dabei ein Zufallstreffer bei einem DNA-Abgleich erachtet.