SCHWEINFURT Ungelöste Kriminalfälle: Tödliches Ende einer verbotenen Liebe
Die Icedom-Morde: 2009 wurde in Schweinfurt ein irakisches Paar mit sechs Schüssen getötet.
Viele Fragen sind seither offen.
Ein Liebespaar ist am 10. August 2009 kurz vor Mitternacht auf dem Parkplatz vor der Eishalle im Schweinfurter Stadtteil Hainig mit sechs Schüssen förmlich hingerichtet worden. Als die schreckliche Tat am nächsten Morgen entdeckt wurde, sorgte der Doppelmord auch wegen der Umstände deutschlandweit für Schlagzeilen: Die Getöteten, er 35, sie 30 Jahre alt, waren irakischer Herkunft und ihre Liebe eine verbotene – zwischen Schwager und Schwägerin. Weil die Toten muslimischen Glaubens waren, stand schnell das Wort „Ehrenmord“ im Raum.
Das alles erhöhte den Druck auf die Ermittler der Kriminalpolizei. Sie hatten bald einen Tatverdächtigen ermittelt. Der war anfangs nur Zeuge. Drei Wochen nach der Tat wurde der Mann Anfang September 2009 festgenommen und später wegen zweifachen Mordes auch angeklagt. Der heute 34-Jährige aus dem Umfeld der Familien ist aber nach 16 Verhandlungstagen nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ freigesprochen worden.
Bei der Kripo in Schweinfurt ist der Ausgang des Verfahrens „eine schmerzhafte Geschichte“, räumt Erster Kriminalhauptkommissar Herbert Then ein. Zum einen, weil man sicher war, den Richtigen gefasst zu haben. Zum zweiten, weil ein grausamer Doppelmord, über den bis heute gesprochen wird, weiterhin als ungeklärt gilt. „Ein Mordfall ist aber nie erledigt“, sagt der Leiter der Schweinfurter Mordkommission K 1. Then meint: „Diesen Fall haben wir immer noch sehr genau auf dem Schirm.“
Dass man sich damit aktuell nicht näher befasst, liegt an der im Vergleich zu den Vorjahren enormen Steigerung von Gewaltdelikten mit Mord und Totschlag in den vergangenen beiden Jahren im Zuständigkeitsbereich der Schweinfurter Kripo, also dem Gebiet Main-Rhön. Das heißt aber auch: Die Ermittler waren schon mehrmals dabei, die Akten noch einmal – mit einem neuen Team – von A bis Z zu durchforsten. Es gebe aktuell freilich keinen Hinweis, räumt Then ein. Sobald aber einer vorliegt, vielleicht auch durch diese Veröffentlichung, werde man sofort wieder loslegen. Zur Seite gelegt werde kein Mordfall, dieser „mit Sicherheit nicht“, sagt der Kommissar.
Um dem zunächst unbekannten Täter auf die Spur zu kommen, hatte die Kripo eine 30-köpfige Sonderkommission gebildet. Sie verfolgte rund 300 Spuren und vernahm mehr als 100 Personen. Anfang September 2009 nahm die Polizei den später Angeklagten, ein Onkel des männlichen Opfers, fest. Auch dessen heute 22-jähriger Bruder war kurzzeitig verhaftet worden. Er musste aber wieder auf freien Fuß gesetzt werden.
Im Prozess hatte der bis dahin Hauptverdächtige eine Beteiligung oder gar die Tat immer bestritten. Wie alle Beteiligten stammte auch der Angeklagte aus dem Irak, viele der Familien lebten zum großen Teil schon lange in Schweinfurt. Das Liebesverhältnis des männlichen Opfers, verheiratet und fünffacher Vater, mit der Schwester seiner Frau war der Familie nicht verborgen geblieben. Es begann schon 2005. Anfang 2009 spitzte sich die Lage zu, weil die erzürnten Eltern des Mannes von der Liaison erfuhren. Bei einem Besuch im Irak musste er sogar auf den Koran schwören, die Beziehung zu beenden.
Der damals Angeklagte spielte dabei eine Vermittlerrolle. Er forderte den Onkel auf, von der geschiedenen Schwester seiner Frau zu lassen. Der befolgte das aber nicht. Schwager und Schwägerin trafen sich weiterhin. Weil seine Frau das ahnte, begann sie, Beweise zu sammeln, unter anderem Mitschnitte von Telefongesprächen zwischen den Liebenden. Als das bekannt wurde, kam es fast jeden Tag zu mitunter auch handfesten Streitigkeiten unter allen Beteiligten. Am Tattag, dem 10. August 2009, ein Montag, rief der Mann seine Geliebte wieder einmal an. Sie reagierte auf dieses Telefonat aber aufgewühlt, wie eine Zeugin berichtete, und verließ ihre Wohnung in der Schweinfurter Niederwerrner Straße gegen ihre Gewohnheit noch spät abends gegen 22 Uhr. Die Liebenden trafen sich am Icedome, wo die Leichen der beiden am 11. August um 8 Uhr von einem US-Soldaten im Mercedes A-Klasse der Frau gefunden wurden. Sie waren mit jeweils drei Kopfschüssen aus nächster Nähe erschossen worden, lagen blutüberströmt im Auto.
Die Tatwaffe, eine Pistole, wurde nie gefunden. Als Todeszeitpunkt hatte das Schwurgericht im viel beachteten Prozess eine Tatzeit zwischen 23.23 und 23.56 Uhr als möglich festgestellt. Der oder die Mörder hatte für diesen Zeitraum die Handys der Opfer ausgeschaltet. Aber auch die Mobiltelefone tauchten nie mehr auf. Der oder die Täter haben sie wie die Tatwaffe entsorgt.
Das Handy des später freigesprochenen Angeklagten war um diese Zeit in der Nähe eingeloggt. Er kam also durchaus als Täter in Betracht. Aber: Es fanden sich bei ihm weder DNA der Opfer noch Schmauchspuren. Außerdem – so das Schwurgericht – fehlte bei ihm ein drängendes Tatmotiv. Als Täter hätten „durchaus weitere Personen in Betracht kommen“ können, übte die Vorsitzende damals versteckte Kritik an den Ermittlern.
Es gab diese anderen Verdächtigen durchaus. Ein Bruder der getöteten Frau soll eine solche Tat einmal angekündigt haben. Auch die als Zeugin gehörte Witwe hatte die Schwurgerichtsvorsitzende mit ihrer Bemerkung gemeint. Diese soll im Irak nach einem Killer gesucht haben.
Es gab außerdem Zeugen, die beobachteten, dass die Witwe ein in der Tatnacht benutztes Familienauto auffällig intensiv reinigte. Nachgesagt wurde ihr sogar ein Verhältnis zum Angeklagten. Ihr nur von anderen Familienmitgliedern gedecktes Alibi sei „mit großer Vorsicht zu behandeln“, merkte die Vorsitzende bei der Urteilsverkündung an.
Die Polizei hatte nach Auswertung der Handy-Kontakte des Angeklagten sogar „von einem Durchbruch bei den Ermittlungen“ gesprochen. Die Auswertung der Funkdaten hatte nämlich ergeben, dass sein Handy zur angenommenen Tatzeit um 23.30 Uhr nahe dem Icedome aktiv war. Der Angeklagte hatte demgegenüber angegeben, zu dieser Zeit zu Hause gewesen zu sein.
Ihn entlastete aber das Gutachten eines Berliner Rechtsmediziners zum Todeszeitpunkt. Der Professor hatte unter Berücksichtigung der Temperaturen in der Tatnacht (rund 16 Grad Celsius) und der zum Untersuchungszeitpunkt am nächsten Tag auf 32 Grad abgekühlten Leichen als Todeszeitpunkt frühestens 23.45 Uhr errechnet.
Die bisherige Annahme, dass beide zeitgleich um 23.30 Uhr getötet wurden, nannte er „nicht unmöglich, aber sehr unwahrscheinlich“. Das Handy des Angeklagten war zwar auch um 23.45 Uhr aktiv. Das aber dieses Mal tatsächlich in der Nähe seiner Wohnung – und die lag weit entfernt vom Tatort.
Es platzten in diesem Indizienprozess weitere sicher geglaubte Beweise wie Seifenblasen. Während zunächst klar schien, dass an den Handflächen des Angeklagten gefundene Partikel „typisch für ein Schussgeschehen“ seien, musste sich die Gutachterin des Landeskriminalamtes später korrigieren: Die gleichen Partikel waren auch an Händen von Putzfrauen im LKA gefunden worden.
Urheber dafür war ein eingesetztes Reinigungsmittel. Auch DNA-Spuren auf einem in der Wohnung des Angeklagten gefundenen Hemd führten ins Leere. Es wies keine eindeutigen Spuren auf.
Wenn auch vieles dafür sprach und spricht, dass die schreckliche Tat mit der Besonderheit dieser Liaison zu tun hatte: Bei ihren neuen Ermittlungen wird sich die Kripo nicht mehr nur aufs nähere, familiäre Umfeld konzentrieren, sondern einen größeren Kreis ziehen. Man hofft auf den vielleicht entscheidenden Hinweis, wird aber unabhängig davon den Doppelmord „in jedem Fall nochmals aufgreifen“, sagt Then. Kein Mord dürfe ungesühnt bleiben.
Wer kann der Kripo hier mit Zeugenaussagen weiterhelfen? Hinweise an die Kripo unter Tel. (0 97 21) 202-17 31.
SCHWEINFURT Doppelmord: Bringt DNA-Probe für Soko "Icedome" den Durchbruch? Akribische Ermittlungen
Die ganz heiße Spur fehlt. „Noch“, sagt Emil Kossner. Schweinfurts Kripochef ist auch Leiter der Sonderkommission „Icedome“, die unmittelbar nach dem mutmaßlichen Doppelmord in der Nacht auf den 11. August gebildet wurde. Ein Mann und eine Frau waren in Schweinfurt erschossen in einem Mercedes A-Klasse aufgefunden worden. Mit Rückblick auf den Fall.
140 Spuren gibt es derzeit. Noch sind nicht alle ausgewertet. „Bei uns dauert das ein wenig länger als im Fernsehen, die Hoffnung, den Fall zu klären, haben wir aber noch lange nicht aufgegeben“, sagt der Erste Kriminalhauptkommissar Kossner.
Die Sonderkommission hat im Gebäude der Schweinfurter Kripo in der Alten Bahnhofstraße den größten Raum belegt. 30 Beamte umfasst sie derzeit. Eine Soko bedeutet für die ihr nicht angehörenden Kollegen eine enorme Mehrbelastung. „Straftaten gibt es ja weiter, das müssen sie auffangen“, erinnert der Kripochef.
In der Mitte der polizeilichen „Icedome-Zentrale“ stehen ein mächtiger Tisch, aber nur zirka 15 Stühle drum herum. Jeden Morgen findet dort dennoch für alle Soko-Mitglieder verpflichtend eine Lagebesprechung statt. „Sie dient dazu, dass alle auf dem möglichst gleichen Ermittlungsstand sind“, so Kossner.
Mitten auf dem Tisch stehen die derzeit wichtigsten Ordner: „Spur“, sind die Deckel außen beschriftet. Auf dem ersten Ordner befinden sich alle Hinweise der Spuren 1 bis 50. Auf dem Zweiten die von 51 bis 100. Neben der Papierform ist jeder Anruf, jeder Kontakt, jeder Hinweis in einen der Computer eingegeben. Alle Daten und bisher zusammengetragenen Fakten werden via EDV untereinander abgeglichen, damit nichts durch die Lappen geht.
Aufgeteilt ist die Crew in vier Arbeitsgruppen, im Deutsch der Polizei heißt das Einsatzabschnitt. In Gruppe eins arbeiten die Sachbearbeiter, großteils Beamte der Kripo Schweinfurt. Die sind auch in Ermittlungsgruppe 2 vertreten, die Kollegen der Polizeiinspektion Schweinfurt ergänzen. Dann die Kriminaltechniker, der neben den hiesigen Spurensuchern noch Spezialisten des Landeskriminalamtes – Waffen- und Chemiekundige – angehören. „Operative Maßnahme“ steht über der vierten Gruppe: Das sind die Fahnder, gebildet aus allen möglichen Polizeiabteilungen. Dienstkleidung ist für alle zivil.
Details über Fahndungsmaßnahmen und Ermittlungen gibt der Sokoleiter nicht preis. Die Ermittlungen erfolgen in enger Absprache mit der Staatsanwaltschaft. Dass es bisher nur wenige Hinweise aus der Bevölkerung gab, darüber sei die Soko nicht verwundert: Wegen des peripher gelegenen Tatorts am Hainig zwischen Eishalle und Schützenhaus und wegen des Todeszeitpunkts.
Die Obduktion ergab, dass der 35-jährige Mann und seine Schwägerin (30) gegen Mitternacht mit jeweils mehreren Kopfschüssen getötet worden sind. Das Sommerfest der Bürgerlichen Schützen war schon gegen 22 Uhr zu Ende. „Für viele Hinweise vielleicht zu früh“, meint Kossner. Auch die Fahndung nach einem kleinen blauen Pkw samt Insassen blieb bisher erfolglos. Mehr Hinweise kamen aus dem offensichtlich großen Familien- und Verwandtenkreis der Opfer. Die in Schweinfurt weiterhin kursierenden Gerüchte, dass die Opfer ein Verhältnis hatten, sind auch bei der Soko gelandet. „Ja, es gibt Hinweise darauf“, sagt Kossner.
Er bestätigt auch, dass die junge Frau entgegen ihre Gewohnheit nach einem Anruf nachts noch einmal ihre Wohnung in der Niederwerrner Straße verlassen hat. Angeblich – und wie ebenfalls berichtet – um „Jemandem“ zu helfen. Wer die Person ist, ist nicht bekannt.
Weil beide Opfer irakischstämmig und muslimischen Glaubens waren, sind Experten – zum Teil aus den eigenen Reihen – damit beschäftigt, Glaubensfragen und religiöse Hintergründe zu klären. Die Denkweise der jeweiligen Ethnien spiele vermehrt eine Rolle, sagt Kossner. Beim aufgeklärten Mord an der 15-jährigen Schülerin aus Schweinfurt war das erst kürzlich ein ebenso wichtiger Bestandteil der Ermittlungen.
Die Soko glaubt im aktuellen Fall eher an ein Tötungsdelikt, konzentriert ihre Ermittlungen auch darauf. „Wenngleich nichts ausgeschlossen ist“, sagt Kossner und meint die Theorie erweiterter Selbstmord – wenn dagegen auch die verschwundene Tatwaffe, eine kleinkalibrige Pistole, spricht.
Die Beamten hoffen, dass sich die Nadel im Heuhaufen – möglicherweise in Form einer DNA-Probe – unter den noch nicht ausgewerteten Spuren befindet. Mindestens drei Tage dauert die Auswertung einer DNA-Spur – „das braucht noch seine Zeit“. Die Soko arbeitet schon das zweite Wochenende auch samstags und sonntags, wird noch weitere drei Wochen in voller Besetzung fast rund um die Uhr akribisch jedes Detail durchleuchten. Außerdem hofft die Soko noch auf den vielleicht entscheidenden Zeugenhinweis.