Europe‘s Most Wanted „Blut an den Händen“: Gewalttäter aus Luxemburg unter den Most Wanted Ben Montassar misshandelt im Jahr 2018 in Vianden eine junge Frau über Stunden und versucht dann wiederholt, sie zu töten.
Steve Remesch Redakteur 09.12.2024 Am Montag hat das europäische Fahndungsnetzwerk Enfast seine jährliche Intensivkampagne zum Jahresende gestartet. Unter dem Motto „Blood on their hands: Help find those who took lives“ werden 24 neue Profile von Mördern und Personen, die eines versuchten Tötungsdelikts beschuldigt werden, auf die Fahndungsliste der „Europe‘s Most Wanted“ gesetzt.
„Sie haben Leben genommen – lassen wir sie zur Rechenschaft ziehen“, lautet der eindringliche Appell der Kampagne. Weiter heißt es: „Ein kurzer Blick genügt. Schon wenige Sekunden, die Sie den Profilen widmen, könnten dazu beitragen, diese Personen vor Gericht zu bringen und potenzielle weitere Opfer zu schützen.“
Unter Auflagen auf freiem Fuß Auch Zielfahnder aus Luxemburg richten diesen Appell an die Öffentlichkeit: Gesucht wird Ben Mahfoudh Montassar, der 2018 im Großherzogtum einen Mordversuch begangen haben soll und deswegen 2023 verurteilt wurde.
Ein Blick in die Prozessakten offenbart, dass Montassar tatsächlich „Blut an den Händen“ hat. Während er auf der Flucht ist, wartet sein Opfer weiterhin auf Gerechtigkeit. Dass die junge Frau überlebt hat, ist ihrem entschlossenen Widerstand zu verdanken: Immer wieder gelang es ihr, sich aus den Griffen des Täters zu befreien. Diese Feststellung ist auch im Urteil der Richter der Kriminalkammer dokumentiert. Die Details zum Fall sind schwer zu ertragen, verdeutlichen aber, wie häusliche Gewalt gegen Frauen aussieht und eskaliert.
Anatomie eines Femizids Am 21. Dezember 2018 misshandelt Ben Montassar seine Freundin zum wiederholten Mal – ein Muster, das sich in der knapp zweimonatigen Beziehung bereits mehrfach gezeigt hatte. Zuvor sind Hiebe mit der flachen Hand und Faustschläge Teil seiner Gewalt. Doch in jener Nacht steigert sich die Situation dramatisch. Das Paar hält sich im Elternhaus einer 14-jährigen gemeinsamen Bekannten in Vianden auf, wo es Unterschlupf gefunden hat. Aus einer Diskussion entwickelt sich eine handfeste Auseinandersetzung: Montassar zieht die junge Frau an den Haaren, drückt ihr die Hand auf den Mund, um sie zum Schweigen zu bringen, und verpasst ihr schließlich einen brutalen Faustschlag ins Gesicht.
Das Opfer blutet stark, doch anstatt Hilfe zu leisten, stößt Montassar die junge Frau mit den Füßen vom Bett. Anschließend scheint er sich zunächst zu beruhigen und hilft ihr sogar, die Blutspuren vom Boden aufzuwischen. Doch die Situation eskaliert erneut - mehrmals: Und jeder weitere Streit mündet in brutaler Gewalt. Montassar zieht dabei spezielle Handschuhe mit Metallverstärkungen an und schlägt die Frau mit Fäusten und Ellbogen. Zudem tritt er sie wiederholt mit den Füßen.
Gegen 4 Uhr morgens gelingt es ihr, aus dem Haus zu flüchten. Sie nimmt ein Küchenmesser mit. Um 4.40 Uhr kehrt sie aus der Kälte ins Haus zurück, legt das Messer auf den Nachttisch und versucht, sich schlafen zu legen. Doch Montassar greift sie erneut an: Er kniet auf ihren Schultern und drückt ihr mit einer Hand den Hals zu. Sie ringt nach Luft und kann nicht mehr atmen.
Eine unmissverständliche Ansage Es gelingt ihr schließlich, sich zu wehren und den Angreifer von sich zu stoßen. Doch Montassar greift nach dem Messer und schlägt ihr mit dem Schaft ins Gesicht. Anschließend drückt er ihr die Klinge gegen das Gesicht. Als sie sich erneut mit aller Kraft mit den Füßen zur Wehr setzt, schneidet er ihr in den Fuß. Seine Ansage ist unmissverständlich: „Tête de ma mère, elle est une pute, si je ne te tue pas“, zitiert das Gerichtsurteil seine Worte.
Kurze Zeit später versucht Montassar, seine Drohung in die Tat umzusetzen: Er kniet sich erneut auf ihre Schultern und drückt ihr den Hals zu, bis sie beginnt, ohnmächtig zu werden. Dann greift er nach einem Kissen und presst es ihr auf Nase und Mund. Die 14-jährige Bekannte ist die ganze Zeit über Zeugin, kann ihn jedoch nicht abhalten. Montassar lässt erst von seinem Opfer ab, als er fürchtet, dass die Mutter des Teenagers durch das Poltern und Geschrei aufwachen könnte.
Täter ruft Opfer bei der Polizei an Am Morgen ist Ben Montassar verschwunden, mitsamt dem Personalausweis und den Schuhen seines Opfers. Als die junge Frau schließlich bei der Polizei sitzt, um Anzeige zu erstatten, ruft er sie per Video-Call an. Dadurch können die Beamten erkennen, dass er sich erneut in Vianden aufhält. Kurz darauf wird er festgenommen. Der gestohlene Personalausweis und die stahlverstärkten Handschuhe werden sichergestellt.
Bis Juli 2019 sitzt Ben Mahfoudh Montassar in Untersuchungshaft. Dann entscheidet eine Ratskammer, ihn unter Auflagen auf freien Fuß zu setzen. Diese Freiheit nutzt er, um unterzutauchen. Am 13. Juli 2023 wird er in Abwesenheit vom Gericht in Diekirch zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt. Seit dem 15. März dieses Jahres wird er mit einem europäischen und internationalen Haftbefehl gesucht. Seit Freitag ist er einer von zwei Most-Wanted-Kandidaten aus Luxemburg.
19 Fahndungen – Acht Festnahmen Das Luxemburger Fugitive Active Search Team (FAST) hat seit 2016 insgesamt 19 Straftäter über die Plattform www.eumostwanted.eu zur Fahndung ausgeschrieben – Ben Montassar eingeschlossen. Acht der Gesuchten konnten festgenommen werden, einer davon in Luxemburg, wie die Pressestelle der Polizei auf Nachfrage des „Luxemburger Wort“ bestätigt. Zuletzt wurde erst in der vergangenen Woche der mutmaßliche Investmentbetrüger Philippe W. aus Luxemburg in Athen aufgespürt. Die Erfolgsbilanz der EU-Most-Wanted-Webseite kann sich sehen lassen: Seit ihrer Einführung im Jahr 2016 wurden 164 von 454 veröffentlichten Fahndungsprofilen erfolgreich abgeschlossen. Davon gingen 53 Festnahmen direkt auf die Veröffentlichung auf der Plattform zurück.